Carrie Lams Drohungen: Hongkongs Autonomie auf der Kippe

Die Regierungschefin schließt den Einsatz des Militärs gegen die Protestbewegung nicht aus. Die Formel „ein Land, zwei Systeme“ ist gescheitert.

Cinesische Soldaten stehen in Formation

Parade am 70. Jahrestag der Volksrepublik China: Soldaten am Rande des Tiananmen-Platzes Foto: Jason Lee/reuters

Hongkongs Regierungschefin von Pekings Gnaden, Carrie Lam, hat am Dienstag erklärt, sie könne das Eingreifen des chinesischen Militärs zur Beendigung der monatelangen Massenproteste in ihrer Stadt nicht länger ausschließen. Das ist ein Offenbarungseid wie auch eine Drohung. Ersteres, weil Lam damit andeutet, dass sie die Krise vielleicht nicht entschärft bekommt, sondern dies nur mit militärischen Mitteln aus Peking möglich sein könnte. Und Letzteres ist die Drohung: Entweder, so Lams Botschaft an friedliche wie gewalttätige Demonstranten gleichermaßen, ihr hört mit den Protesten auf, oder ich gebe die Verantwortung an Chinas Regierung ab, und es könnte zu einer Art Tiananmen-Massaker 2.0 in Hongkong kommen.

Lam signalisiert damit zugleich, dass sie nicht bereit ist, auf die Forderungen der Demonstranten einzugehen. Die wollen eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt und demokratische Reformen. Lam hat mußmaßlich Anweisungen aus Peking erhalten, dass sie den Demonstranten auf keinen Fall nachgeben darf. Genau dieser Verdacht befeuert die Proteste immer weiter. Denn Hongkongs Demokratiebewegung will eine Regierung, die gegenüber Peking die Autonomie der Stadt verteidigt und sich nicht als Vollstreckungsgehilfe Chinas versteht.

Jetzt zeigt auch die Drohung, militärisch einzugreifen (die implizit auch schon vom chinesischen Festland kam), dass die Hongkonger Autonomieformel „ein Land, zwei Systeme“ gescheitert ist. Sie soll die Autonomie garantieren. Sie hat auch eine Weile funktioniert und könnte weiter funktionieren, wenn denn die Regierungen in Peking und Hongkong selbst an sie glauben und entsprechend handeln würden. Doch beide tun das nicht. Genau deshalb gehen die Hongkonger auf die Straße. Sie genießen immer noch mehr Rechte als die Menschen auf dem Festland. Doch wenn ihnen mit Chinas Militär gedroht wird, statt auf ihre berechtigten Forderungen einzugehen, bewegt sich Hongkong in Richtung Diktatur.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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