piwik no script img

„Am Endesteht Aussage gegen Aussage“

Die Frauen, die Detlef H. angezeigt haben, hätten sich nicht gekannt, sagt Katharina Wulf. Die Prozessbeobachterin hält die Vorwürfe deshalb für glaubhaft

Foto: Friederike Grabitz

Katharina Wulf, ist Geschäfts­führerin des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-­Holstein (LFSH), dem Dachverband der Frauenberatungsstellen. Sie beobachtet den Prozess gegen Detlef H.

Interview Friederike Grabitz

taz: Frau Wulf, warum setzt sich Dora M. dem Druck eines öffentlichen Prozesses gegen den ehemaligen Außenstellenleiter des Weißen Rings aus?

Katharina Wulf: Sie möchte Gerechtigkeit, nicht nur für sich, sondern auch für die anderen Frauen. Sie möchte, dass untersucht wird, was ihr und den anderen geschehen ist. Sie ist sich sicher bewusst, dass das nicht einfach ist, weil am Ende Aussage gegen Aussage stehen wird, aber sie tut es dennoch. Wir bewundern ihre Kraft und ihren Mut in dieser Sache.

Es gab seit 2012 Gerüchte, dass beim Weißen Ring Lübeck etwas schief läuft. Erst 2018 haben dann aber insgesamt 29 Frauen Anzeige gegen den ehemaligen Leiter Detlef H. erhoben. Wie kam das?

Ende 2017 wurde H. vom Weißen Ring ehrenvoll entlassen. Betroffene Frauen haben sich darüber empört und sich gefragt: „Wie kann jemand ehrenvoll entlassen werden, der mir das angetan hat?“ Gleichzeitig gab es schon Gerüchte – das hat noch mehr Frauen ermutigt, sich zu melden. Und es gab #MeToo.

Gegen diese internationale Kampagne wird gern ein Argument vorgebracht: Vorwürfe gegen Männer, sexuell übergriffig geworden zu sein, ließen sich selten widerlegen. Und selbst wenn es nicht zu einer Verurteilung komme, schadete es den betroffenen Männern.

Das ist die Debatte, die wir mit #MeToo immer haben: Dürfen wir einer Frau noch ein Kompliment machen oder muss ich immer gleich denken, dass ich angezeigt werde? Ich glaube, das ist Quatsch. Ich weiß, dass die allerwenigsten Frauen ein Interesse daran haben, als Opfer einer sexuellen Straftat in der Öffentlichkeit zu stehen. Den beiden Zeuginnen von heute hat man sehr deutlich angesehen, wie unangenehm ihnen die Aussagen vor Gericht waren.

Wird die Ausbildung der BeraterInnen bei einem Verein wie dem Weißen Ring, der so stark auf Ehrenamtliche setzt, weniger ernst genommen?

Nein, aber es stehen weniger Ressourcen zur Verfügung, um sich zu professionalisieren. Wir würden uns wünschen, dass es in ehrenamtlichen Institutionen ein Controlling gibt. Dazu gehört zum Beispiel eine Beschwerdestelle, die nicht bei der gleichen Dienststelle angesiedelt ist. Die neue Vorsitzende des Landesverbandes hat gesagt: „Ich will, dass alle Vorfälle bei mir landen.“ Das ist gut. Es gibt für Arbeitsverhältnisse das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, weil in diesem Bereich eine besondere Abhängigkeit besteht. Wir vom LFSH fordern das auch für Ehrenämter: Auch hier bestehen Machtverhältnisse, die missbraucht werden können. Denken Sie allein an Sportvereine, Reiterhöfe und Feuerwehren.

Welche Folgen wird das Verfahren für den Weißen Ring haben?

Wir sehen darin eine Chance. Es ist wichtig, dass die Organisation jetzt eine gute Aufarbeitung vornimmt und evaluiert, an welcher Stelle die Lücke gewesen ist, und was passieren soll, wenn unprofessionelles oder sogar übergriffiges Verhalten vermutet wird. Die Gerüchte, die es vor dem Prozess gab, sind für den Verein schädlicher, als ein transparenter Umgang mit Fehlern es wäre.

Detlef H. bezeichnet sich selbst als Opfer. Er spricht von einer Medienkampagne gegen ihn. Auch wenn er nicht verurteilt werden sollte: Hat er in jedem Fall verloren?

Ja. Dieser Prozess hat eine Signalwirkung. Er zeigt, dass Frauen zusammenhalten und sich gegenseitig ermuntern sollten, sich zu wehren, wenn Dinge passieren, mit denen sie nicht einverstanden sind. Es hat auch eine andere Konsequenz, eine gesellschaftliche: Die Zeiten, in denen so etwas ungestraft passieren kann, sind einfach vorbei. Diese Frauen, die ihn angezeigt haben, kannten sich nicht. Das und die schiere Menge der Anzeigen macht sie für uns glaubhaft. Das hat eine Bedeutung auch unabhängig davon, ob es am Ende zu einer strafrechtlichen Verurteilung kommen wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen