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„Gesundheit ist keine Ware und Ärzte sind keine Kaufleute“

Sommerinterview IV: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) über Gesundheitspolitik, Klimaschutz, Mobilität in der Metropole und seinen Willen, Bürgermeister zu bleiben

Interview Sven-Michael Veit und Marthe Ruddat

taz: Herr Tschentscher, wollen Sie Bürgermeister-Kandidat der SPD bei der Bürgerschaftswahl 2020 werden?

Peter Tschentscher: Ja. Dafür werde ich auf dem Landesparteitag im November kandidieren.

Dann wären Sie konkurrenzlos: Die CDU traut sich nicht mehr, die Grünen trauen sich noch nicht.

Das ist mir auch schon aufgefallen. Aber nach den Gründen müssen Sie die anderen fragen.

Es wird Ihr erster Wahlkampf als Bürgermeisterkandidat – eine ungewohnte Rolle?

Das ist ja nicht mein erster Wahlkampf, nur mein erster als Spitzenkandidat. Ich habe den Wechsel von Schwarz-Grün zum SPD-Senat schon mitgestaltet, insofern habe ich Wahlkampf­erfahrung und bin tatkräftig gestimmt.

Sie sind Mediziner. Bereitet Ihnen die zunehmende Kommerzialisierung im Gesundheitssystem Sorgen?

Man darf es nicht übertreiben. Ein Krankenhaus hat betriebliche Strukturen und ist insofern ein Unternehmen. Es hat aber eine soziale Aufgabe, die wir nicht kommerzialisieren dürfen. Gesundheit ist keine Ware und Ärzte sind keine Kaufleute. Heute neigen viele Kliniken dazu, den betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkt als allein maßgeblichen Faktor zu betrachten. Das ist eine Gefahr.

Hamburg hat seinen Landesbetrieb Krankenhäuser 2007 verkauft, die Stadt ist nur noch mit 25,1 Prozent an den Hamburger Asklepios-Kliniken beteiligt. Welchen Einfluss kann die Stadt mit dieser Minderheit geltend machen?

Einen nur sehr begrenzten Einfluss, bei Investitionsentscheidungen beispielsweise. Bei 75-prozentiger Mehrheit eines privaten Anteilseigners ist der Einfluss auf den Geschäftsbetrieb entsprechend gering.

Sie haben sich damit abgefunden, dass die 25 Prozent an den Asklepios-Kliniken keinen Vorteil bringen?

Nein, aber ich bin realistisch genug zu sehen, dass ein überwiegend privatisiertes Unternehmen entsprechend privatisiert betrieben wird. Die Entscheidung, die Krankenhäuser in Hamburg weitgehend zu verkaufen, war eine schlechte politische Entscheidung des damaligen CDU-Senats und hat eindeutig negative Folgen.

Sie haben sich dem Klimaschutz verschrieben. Wildern Sie absichtlich im Revier Ihres grünen Koalitionspartners?

Nein, wir kümmern uns im Senat um Themen, die wichtig für die Stadt sind. Ich habe als Bürgermeister die „Chicago Climate Charta“ unterzeichnet, die besagt, dass die großen Städte dieser Welt sich zum Pariser Klimaschutzabkommen bekennen und den Klimaschutz auf der Handlungsebene umsetzen müssen. Das war weit vor der heutigen Erkenntnis, dass das Thema das ganze Land bewegt.

Und der grüne Umweltsenator Jens Kerstan beklagt, dass die SPD besseren Lärmschutz verhindere.

Ich erwarte, dass wir relativ bald Vorschläge bekommen für den Lärmaktionsplan und für die Klimaschutzstrategie. Wir müssen jetzt einen Plan mit vielen konkreten Maßnahmen für die kommenden Jahre beschließen, um die CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren. Es ist jetzt an der Umweltbehörde, voranzuschreiten. Wir haben als Gesamtsenat einen Auftrag.

Sie haben einen „umweltfreundlichen und komfortablen Nahverkehr zum zentralen Thema des nächsten Jahrzehnts“ erklärt. Hätte man da nicht schon früher drauf kommen können?

Damit haben wir auch schon früher begonnen. Denn das sind die Themen, die die Menschen bewegen. Dazu gehört die E-Mobilität, aber vor allem der U- und S-Bahn-Bau. Und damit lösen wir ein Versprechen ein, den so genannten Hamburg-Takt. Der soll sicherstellen, dass alle Menschen in Hamburg an jedem Ort innerhalb von fünf Minuten ein Angebot bekommen, mit dem öffentlichen Personennahverkehr unterwegs zu sein.

Schnellbahnen schön und gut – aber sie kosten Milliarden und fahren erst in 15 Jahren: Was passiert jetzt?

Wir bauen U- und S-Bahnhöfe: Die Station Elbbrücken ist gerade eröffnet worden, Oldenfelde und Ottensen werden folgen. Wichtig ist die Strategie, und die besteht darin, die leistungsfähigsten Verkehrsträger, die Schnellbahnsysteme, auszubauen: Sie sind das Rückgrat der Mobilität in einer Metropole wie Hamburg. Das ist eine Dekadenstrategie, wo es Jahr für Jahr vorangeht: Ausbau des Busverkehrs, höhere Taktfrequenz und längere Züge. Die neue U5 ist nur das Gesicht dieser Strategie.

Dr. Peter Tschentscher,

53, Arzt, verheiratet, ein Sohn. Erster Bürgermeister seit dem 20. März 2018, davor seit 2011 Finanzsenator. 2008 bis 2011 Mitglied der Bürgerschaft, davor der Bezirksversammlung Nord.

Die Wahlen am 26. Mai waren ernüchternd: 20 Prozent in Europa, 24 in den Bezirken, nur noch zweite Kraft hinter den Grünen. Deprimierend?

Wir hatten eine sehr starke europapolitische Färbung. Die Themen, die nicht auf Bezirks­ebene entschieden werden, haben die gesamtpolitische Stimmung in Deutschland natürlich dominiert. Und bei einer Bundes-SPD, die unter 15 Prozent liegt, sind glänzende Wahlergebnisse natürlich schwer.

Ihr Ziel für die Bürgerschaftswahl lautet 20plusX?

Dass wir so stark wie möglich abschneiden. Es gibt auch keine Wechselstimmung in Hamburg, die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Politik des Senats ist hoch.

Und Sie wollen Bürgermeister bleiben?

Das ist mein Ziel.

Einer rot-grünen Koalition?

Über Koalitionen reden wir nach der Wahl. Aber natürlich sind die Grünen eine naheliegende Option.

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