Spreeufer für alle: „Die Baubürokratie ist entsetzlich“

Die Lage im Holzmarkt ist verfahren. Dabei sei das Hippie-Dorf auch wegen der Lebendigkeit des Projekts sehr wichtig, sagt Michael Sontheimer.

So idyllisch wie lebendig: Das Hippiedorf Holzmarkt am Spreeufer Foto: Peter Meissner

taz: Herr Sontheimer, das Hippie-Dorf Holzmarkt an der Jannowitzbrücke, das aus der legendären Bar 25 hervorgegangen ist, wurde lange Zeit von vielen Entscheidungsträgern in dieser Stadt hofiert. Jetzt wird der Holzmarkt stiefmütterlich behandelt. Was ist passiert?

Michael Sontheimer: Wenn ich das so genau wüsste, wäre ich froh. Zunächst ist einem als alter Berliner schon klar, dass die Baubürokratie in dieser Stadt ganz entsetzlich sein kann: fantasie- und ambitionslos und oft unendlich langsam. Zum anderen haben sich die Prioritäten der Berliner Wohnungspolitik in den letzten Jahren stark verändert. Das große Grundstück an der Spree ist 2012 von der alternativen Schweizer Pensionskasse Abendrot gekauft und an die Holzmarkt-Genossenschaft verpachtet worden. Damals sagte der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Hans Panhoff, dass man auf diesem Areal nicht wohnen könne, dass da nur Gewerbe entstehen dürfe. Was auch dem gültigen Flächennutzungsplan entspricht. Seit anderthalb Jahren amtiert ein anderer Baustadtrat, Florian Schmidt. Der ist ebenfalls von den Grünen, aber sieht es genau anders herum. Er stimmte in das derzeitige Mantra ein: Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen. Der Diskurs hat sich um 180 Grad gedreht.

Wir reden hier vom Eckwerk, das die Holzmarkt-Genossenschaft, nur durch die Bahntrasse getrennt, neben ihrem Dorf bauen wollte: fünf- bis zwölfstöckige Häuser mit Holzfassaden für Wohnen und Arbeiten, für junge Leute aus der IT-Szene. Warum hat die Politik dieses Projekt so ausgebremst, warum gab es nie den lang versprochenen Bebauungsplan?

Was den grünen Baustadtrat Florian Schmidt mit dem Eckwerk und Holzmarkt geritten hat, ist mir ein völliges Rätsel. Ich habe eine Informationsveranstaltung mit ihm im Holzmarkt moderiert, da erklärte er vollmundig, er bekenne sich zum Holzmarkt, er sei ein hundertprozentiger Anhänger des Holzmarkts, der Holzmarkt müsse geschützt werden. Und so weiter. In Wirklichkeit hat er anderthalb Jahre verhindert, dass überhaupt irgendetwas Nennenswertes passiert. Ich frage mich inzwischen, warum er es drauf anlegt, als Eckwerk- und als Holzmarkt-Mörder in die Berliner Stadtgeschichte einzugehen. Er hat sich standhaft geweigert, mit dem Vorstand der Holzmarkt-Genossenschaft überhaupt zu sprechen. Das geht, wie ich finde, überhaupt nicht.

Die Bar 25 Die Bar entsteht 2003 als mobiler Club in einem alten DDR-Wohnwagen, der irgendwann auch auf der Brache an der Spree zwischen Jannowitzbrücke und Hauptbahnhof parkt. Im September 2010 schließt der Club, die BSR hat ihm gekündigt. Im Oktober 2012 bekommt die inzwischen gegründete Holzmarkt-Genossenschaft den Zuschlag für die 18.000 Quadratmeter, auf dem sich die Bar 25 befand. Käufer ist die Schweizer Stiftung Abendrot, sie wird das Grundstück per Erbbaurecht an die Holzmarkt-Genossenschaft verpachten. Im April 2014 stellen die Architekten Kleihues + Kleihues und Graft ihren Entwurf für das Eckwerk vor, den sie im Auftrag des Holzmarkts erstellt haben.

Der Holzmarkt Im Mai 2017 wird der Holzmarkt eröffnet. Es gibt einen zentralen Dorfplatz und Park inklusive Kita, Café und Bäcker, Restaurant und Club, Veranstaltungshaus und Probebühne, Studios und Ateliers. Das Eckwerk allerdings steckt in einer Krise. Der neue Bebauungsplan, Voraussetzung fürs Eckwerk, lässt auf sich warten. Im Oktober 2018 verklagt die Holzmarkt-Genossenschaft das Land auf 19 Millionen Euro Schadenersatz und setzt einen 90-Tage-Rat ein, der zwischen Holzmarkt und Bezirk vermitteln soll. Aktuell hüllt sich Baustadtrat Florian Schmidt nach wie vor in Schweigen und der Holzmarkt muss sich gegen Auflagen des Bezirks wehren, nach 21 Uhr keine Getränke auszuschenken.

Michael Sontheimer

64, arbeitete ab 1978 für die taz, dann die Zeit und schreibt seit 1995 für den Spiegel. Er ist Mitglied im Kuratorium der taz Panter Stiftung und des Aufsichtsrats der Holzmarkt-Genossenschaft.“

Ein Grund, warum das Eckwerk scheiterte, war der Konflikt des Holzmarkts mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, mit der Florian Schmidt zusammenarbeitet, um den Erwerb von Wohnhäusern zu ermöglichen.

Die Leute vom Holzmarkt haben wirklich sieben Jahre lang unermüdlich alles probiert, um das Eckwerk bauen zu können. Sie haben aber von Anfang an gesehen, dass sie vom Bauen in dieser Größenordnung nicht viel verstehen und sich darum mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag zusammengetan. Das war ein großer Fehler, denn die Gewobag hat eine sehr konfliktorientierte Geschäftsführung. Die hat versucht, das Eckwerk zu übernehmen, um sich ein Vorzeigeprojekt an die Brust zu heften. Es kam zum Bruch und Ende vergangenen Jahres sah sich die Holzmarkt-Genossenschaft gezwungen, für die erbrachten Planungs- und anderen Leistungen das Land Berlin auf 19 Millionen Euro Schadenersatz zu verklagen.

Das hat natürlich nicht dazu beigetragen, mit der Politik ins Gespräch zu kommen.

Nicht wirklich. Baustadtrat Schmidt war in höchstem Maße beleidigt.

Könnte der Bezirk überhaupt durchsetzen, dass auf dem Gelände doch noch Wohnen entsteht?

Ja, das könnten die Bezirkspolitiker, aber die Lage ist böse verfahren. Im vergangenen Jahr hat die Stiftung Abendrot den Pachtvertrag mit der Eckwerk Entwicklungs GmbH über den Teil des Grundstücks, auf dem das Eckwerk entstehen sollte, gekündigt. Nun muss Abendrot einen anderen Bauträger oder eine andere Genossenschaft finden, die dort bauen will. Die Schweizer sprechen wohl gerade mit vier Interessenten über das Eckwerk-Areal, aber wenn sich Florian Schmidt und der Bezirk nicht endlich mal klar äußern, was dort gebaut werden kann, und die Interessenten deshalb abspringen, haben die Schweizer endgültig die Nase voll und sie verkaufen diesen Teil des Grundstück wieder. Bis Anfang Juli wollen sie das klären.

Und was passiert dann?

Dann könnten wir den Worst Case haben. Dann bekommen irgendwelche Investoren Zugriff auf dieses Filetgrundstück an der Spree und lassen dort weitere Luxuswohnungen im Miami-Style hochziehen. Das wäre ein Desaster für Berlin.

Und auch für den Holzmarkt?

Klar. Wir haben das Eckwerk abschreiben müssen und mittlerweile schon genug Luxusmieter am Hals, die vor allem eines wollen: Ruhe. Schon seit letztem Jahr gibt es Beschwerden von Bewohnern vom anderen Ufer der Spree, die unter Geräuschen leiden, die man nicht hören kann, oder die auf ihren Balkons sitzen und die Lautstärke messen. Sie haben die Unterstützung der Bürokraten des Bezirks. Diese haben dem Holzmarkt tatsächlich verboten, nach 21 Uhr noch Getränke zu verkaufen. Die Bezirksverordnetenversammlung hat diese für Berlin absurde Einschränkung temporär außer Kraft gesetzt, aber die Grünen haben sich lediglich der Stimme enthalten.

Ist es nicht bizarr, einen Ort mit Lärmklagen zu zerstören, der explizit gebeten wurde, auch öffentlich zu sein?

In der Tat hat die Holzmarkt-Genossenschaft 2013 einen städtebaulichen Vertrag mit dem Bezirk unterschrieben und sich darin verpflichtet, dass es eine öffentliche Durchwegung im Holzmarkt geben soll. Jetzt gibt es den Uferweg, es kommen viele Leute, von DDR-Rentnern aus der unmittelbaren Nachbarschaft, die da ihren Kaffee trinken, bis zu jungen Leuten aus aller Welt, die am Ufer sitzen. Und plötzlich ist die Öffentlichkeit unerwünscht, denn die Öffentlichkeit ist zu laut. Sie redet und lacht. Nee, so geht für mich Berlin wirklich nicht.

Wir hatten hier die Initiative Mediaspree versenken, die ein Spreeufer für alle gefordert hat. Ist der Holzmarkt eine letzte Erinnerung an diese Zeit, ein Relikt?

Gerade vor diesem Hintergrund ist der Holzmarkt ein Leuchtturm, den es unbedingt zu verteidigen gilt. Man muss sich doch nur das Spreeufer ansehen: Da steht das „Living Levels“-Hochhaus mit den Luxuseigentumswohnungen von diesem Ex-Stasi- und KGB-Spion Maik Uwe Hinkel. Oder dieser unsägliche neue Mercedes-Platz. Eine schlimmere Architektur geht eigentlich kaum.

Sind Sie deshalb im Aufsichtsrat des Holzmarktes aktiv geworden?

Erstens halte ich den Holzmarkt städtebaulich für sehr wichtig. Ich wohne am Volkspark Friedrichshain und radle regelmäßig nach Kreuzberg, durch eine Wüstenei aus chlorgrün gekachelten Plattenbauten aus der Spätzeit der DDR und der besagten Nachwende-Investoren-Architektur. Plötzlich taucht am grünen Fluss eine Oase auf. Der Holzmarkt. Es ist großartig, dass hier etwas so Lebendiges entstanden ist.

Und der zweite Grund für Ihr Engagement?

Zweitens war die Bar 25, aus der die Holzmarkt-Genossenschaft hervorgegangen ist, ein später Ausläufer des Techno-Hedonismus der 1990er Jahre, der doch eine schöne Sache war. Das Eckwerk war für junge Leute gedacht, die zum Leben und Arbeiten nach Berlin kommen, die ihr Umfeld in großem Maße selbst gestalten wollen, die viel an ihren Rechnern sitzen und nach Abschluss des Projekts vielleicht auch wieder woandershin wollen. Es wäre ein Ort für die Kreuzberger Mischung des 21. Jahrhunderts geworden.

Mochten Sie auch die Architektur des Eckwerks?

Sehr. Die Entwürfe sind faszinierend und haben Preise bekommen. Das Eckwerk wäre ein Unikat in Berlin, ein echter Hingucker geworden. Aber schon beim Wort Holzbauweise fängt jeder Baubürokrat an zu hyperventilieren, wegen des Brand- und Lärmschutzes. Also, es war von Anfang an klar, dass man da ziemlich dicke Bretter würde bohren müssen.

Wie ist denn jetzt die Stimmung im Holzmarkt?

Gemischt. Die Leute, die das Projekt seit sieben Jahren vorantreiben, sind manchmal erschöpft, sie fühlen sich wie Sisyphus, der diesen schweren Stein bewegt, bis er ihm wieder davonrollt. Gleichzeitig schafft eine solche lange Auseinandersetzung auch Entschlossenheit. Sie sagen: Wir finden dieses Projekt wichtig für diese Stadt, wir geben hier nicht klein bei, warum soll das an irgendwelchen merkwürdigen, undurchschaubaren politischen Widerständen scheitern?

Waren die Holzmarkt-Leute zu verträumt?

Wer nicht träumt, kann sich gleich einsargen lassen. Die Holzmark-Leute waren ein bisschen zu früh dran.

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