Filmemacher über Rechtsextremismus: „Sie sind Teil der Geschichte“

Im thüringischen Themar feierten 2017 über 6.000 Neonazis ein Musikfestival. Adrian Oeser hat die Kleinstadt in einem Film porträtiert.

Szene aus „Themar – Die Kleinstadt und der Rechtsrock“

Mit Nazis singen? Szene aus „Themar – Die Kleinstadt und der Rechtsrock“ Foto: Evangelos Anthim/ZDF

taz: Herr Oeser, wie hat das Neonazifestival von 2017 die Stadt Themar verändert?

Adrian Oeser: Vieles hat sich in Themar bewegt, vor allem wurde der Ort gespalten. Man muss sich die Stadt vor den Rechtsrockkonzerten als ganz normale Kleinstadt vorstellen, in der es mit Sicherheit persönliche und auch politische Konflikte gab, die aber nie alle betroffen haben. Die wenigsten haben mit den Konzerten gerechnet und auf einmal mussten viele sich positionieren. Themar ist gespalten zwischen Leuten, denen es schlicht egal ist, denjenigen, die solche Konzerte gut finden und einer Minderheit, die sehr couragiert und auch witzig protestiert. Themar ist ein vielschichtiger Ort.

31, lebt in Frankfurt am Main und ist freier Filmemacher, derzeit für den Hessischen Rundfunk. Im Januar 2018 lebte und filmte er für drei Wochen in Themar.

Diejenigen, die schweigen, schweigen sie aus Angst oder aus Zustimmung?

Da bin ich mir nicht sicher. Man hört oft das Argument, dass durch die Gegenproteste und die Medienöffentlichkeit die Konzerte erst größer werden könnten. Es gibt also das Gefühl: Wenn wir die ignorieren, dann verschwinden die ganz von selbst wieder. Aus der Geschichte haben wir aber gelernt, dass wenn man Nazis machen lässt, es tödlich für alle wird, die in dem konstruierten Weltbild von Nazis nicht lebenswert sind. Sie zu ignorieren, zeugt von sehr privilegierter Toleranz, die sich nur diejenigen leisten können, die nicht von neonazistischer Gewalt betroffen sind. Toleranz funktioniert nur, wenn die Gegenseite auch dazu bereit ist, das Recht eines jeden Menschen auf Unversehrtheit und Würde zu respektieren. Und das tun Neonazis eben nicht.

Braune Gegenden, abgehängte Jugendliche, verwaiste Innenstädte. Wenn der Rechtsextremismus in Ostdeutschland betrachtet wird, bleiben Klischees oft nicht aus. Wie viele davon hat ein Filmemacher aus Frankfurt am Main im Gepäck, wenn er nach Themar fährt?

Bevor ich das erste Mal nach Themar gefahren bin, dachte ich, dass ich in einen Naziort komme und hatte natürlich ein mulmiges Gefühl. Ich kannte die Bilder vom Festival 2017, bei dem ungestört der Hitlergruß gezeigt werden konnte. Bilder von „Dunkeldeutschland“, einem Ort, der geprägt ist von Neonazis. In Themar habe ich dann aber ein ganz anderes Bild bekommen: von einem sehr mutigen, kreativen und humorvollen Protest, der meinen Blick auch darüber hinaus verändert hat. Wenn ich heute von Orten lese, in denen es große Neonaziszenen gibt, dann denke ich auch an die Leute, die sich zur Wehr setzen – auch wenn es natürlich oft zu wenige sind. Und die wenigen werden leider zu selten beachtet.

Neben Nazigegnern treffen sie auch Tommy Frenck, eine zentrale Person in Thüringens Neonaziszene. Wieso?

Ich hatte nie die Illusion, dass ich große Einblicke oder Informationen bekomme, wenn ich mit Neonazis drehe. Trotzdem war mir klar, dass ich mit ihnen drehen muss, weil sie Teil der Geschichte sind, die ich erzählen will. Nämlich: Wie kam es zu den Konzerten? Wie haben sie Themar verändert? Ich bin im Film beobachtend und suchend vorgegangen, habe also keinen Recherchefilm gemacht, habe mir im Vorfeld also nicht die lokale Neonaziszene angeschaut. Stattdessen bin ich nach Themar gefahren, um den Ort kennenzulernen und abzubilden. Gleichzeitig war mir klar, dass wenn ich einen Neonazi im Film interviewe, dann muss ich den auch kontextualisieren mit einer guten Expertin, der Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss.

Themar liegt in Thüringen unweit der Grenze zu Bayern. In der Kleinstadt leben knapp 3.000 Menschen. Im Sommer 2017 reisten 6.000 Anhänger*innen der Neonaziszene zu einem Rockkonzert in der Umgebung an. Eine Debatte entbrannte, ob die Veranstaltung verhindert werden sollte, sogar eine Verschärfung des Versammlungsrechts stand im Raum.

Blaukehlchen verhinderten ein Jahr später beinahe eine Neuauflage des Festivals. Zum Schutz des Brutgebiets der seltenen Vögel wollte der Landkreis 2018 das Konzert verbieten. Das Verwaltungsgericht aber hob das Verbot auf. 2.200 Besucher*innen kamen. Außerdem 300 Gegendemonstrant*innen.

Auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit Rechten und Rechtsextremen gibt es keine eindeutige Antwort. Lesen Sie unsere Beiträge dazu in der taz-Debattenserie „Wie umgehen mit Rechten“: taz.de/UmgehenmitRechten

Frenck empfing Sie in seinem Gasthof, organisierte extra für den Dreh einen „Liederabend“. Trotz Skepsis zeigen Sie das Konzert. Bilden Sie unfreiwillig seine Inszenierung ab?

Bevor ich den Film gemacht habe, habe ich mich mit der Darstellung von Neonazis und extremen Rechten beschäftigt. Oft werden Homestorys gedreht. Es wird etwa gezeigt, wie Götz Kubitschek seine Ziegen melkt oder wie jung und gutaussehend die Identitäre Bewegung ist. Ich wollte das nicht reproduzieren, keine Homestory drehen oder erzählen, wie sich die Neonazis fühlen. Ich wollte sie in ihrer Funktion als Konzertorganisatoren und Liedermacher zeigen.

Sie zeigen Frenck als politischen Akteur, in seiner gewählten Umgebung?

Ich wollte den Inszenierungscharakter kontextualisieren, ihn thematisieren. Bei dem Liederabend habe ich mit mir gerungen. Das ist schon absurd, wenn ein Konzert organisiert wird, nur damit die Kamera was zum Aufnehmen hat. Gleichzeitig hatte ich dadurch die Möglichkeit zu sehen, wie es dort aussieht, wer zum Konzert kommt, was für Ideologie dort öffentlich vertreten wird. Ich habe mich deswegen dazu entschieden, es zu zeigen. Aber: Was man dort zu sehen bekommt, wollen sie auch zeigen. Frenck hat danach auf Facebook gepostet, dass es eine gute Möglichkeit gewesen sei, sich von der positiven Seite zu zeigen. Diese Spannungsfelder beim Dreh lege ich im Film offen.

„Themar: Die Kleinstadt und der Rechtsrock“, Mittwoch, 29. 5. 2019, 21 Uhr, 3sat

Besuche auf Götz Kubischeks Hofgut, ein Spaziergang im Wald mit Björn Höcke. Journalist*innen gehen immer wieder auf die Inszenierung extremer Rechter ein, versuchen sie darin kritisch zu stellen. Kann so etwas funktionieren?

Es kann funktionieren, extrem Rechte kritisch zu stellen. Leider kann der Inszenierungscharakter oft nicht aufgebrochen werden. Man sollte zeigen, wenn sie Unwahrheiten und Lügen erzählen. Ihre menschenverachtende Ideologie entlarven. Ich glaube aber leider nicht, dass man dadurch Leute abschreckt. Die öffentliche Strategie der Neuen Rechten etwa ist es ja, Ängste zu schüren, Opferinszenierungen zu bedienen, die irrational sind. Ich bin skeptisch, ob man dieser Irrationalität mit rationalen Argumenten beikommt. Das kann man besser, indem man gute Recher­chearbeit macht oder auf die Recherche von antifaschistischen Strukturen zurückgreift. Die haben oft einen viel besseren Einblick in Organisationen und Ideologien.

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