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Kommentar Polizei und „Fusion“-FestivalKanonen gegen Konfetti

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Die Sicherheitsbehörden bereiten sich auf das „Fusion“-Festival vor wie auf einen Aufstand. Dahinter verbirgt sich ein ­Kulturkampf.

Ort gelebter Utopie: Eingangstor zum „Fusion“-Festivalgelände Foto: dpa

B is zu 1.000 Polizisten, Wasserwerfer und Räumpanzer, unterstützt durch Bundeswehrsoldaten: Laut einer Recherche der Zeit bereiten sich die Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern auf die „Fusion“ Ende Juni vor wie auf den nächsten Aufstand. Zur 21. Auflage des Techno-Festivals heißt es dann wohl: Kanonen statt Konfetti und Schlagstöcke statt Drumsticks. Dabei handelt es sich um eine vollkommen realitätsferne Hochrüstung – ein Lehrstück für einen sich radikalisierenden Polizeistaat.

Angegriffen wird ein Festival, das zehntausende Teilnehmer alljährlich als gewaltfrei, sicher und ohne Sorge vor einem übergriffigem Staat erlebten. Mit Füßen getreten wird das Sicherheitskonzept der Veranstalter, das seit 1997 funktioniert und niemals zu ernsthaften Problemen geführt hat. Das Wichtigste aber ist: Angegriffen wird ein Freiraum der politischen Linken. Die Fusion ist nicht nur ein Ort des Feierns, sondern auch der Vernetzung, ein Ort gelebter Utopie abseits kapitalistischer und repressiver Normalität.

Der verantwortliche Neubrandenburger Polizeichef kennt die Fusion aus Videos und das Gelände von einem Hubschrauberüberflug. Obwohl kein Handlungsbedarf bestand, hat er vor Monaten eine wissenschaftliche Arbeit in einer Polizeifachhochschule angeregt, in deren Kuratorium er sitzt. Das erwünschte Ergebnis: Es brauche mehr Polizei. Kaum auszudenken, dass diese 1.000 Polizisten, selbst wenn sie keine Wache auf dem Festivalgelände bekommen, nicht auch zum Einsatz kommen. Wie sonst könnte der Hunderttausende Euro teure Einsatz gerechtfertigt werden?

Hinter den vermeintlichen Sorgen um die Sicherheit verbirgt sich ein ­Kulturkampf. Dazu gehört auch, dass mit jener Bachelorarbeit sensible Daten der Fusion-Veranstalter bei einem ­verurteilten rechten Gewalttäter landeten, einem an die Fachhochschule versetzten Polizisten, der als AfD-Mitglied Jugendliche, die zuvor Konfetti geworfen hatten, mit Reizgas attackierte. Die Fusion muss das als Warnung verstehen.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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24 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Unangemessenheit hatte schon immer ihre geographische Heimat in Mitteleuropa, besonders in Deutschland.

  • Es könnte ja immernoch alles gut werden, wenn die genehmigende Behörde die Polizei-Bedenken verwirft.



    Ich glaube nicht, das sich rechtsradikale Schläger(-Polizisten) über das Ausmaß der Bedrohlichkeit im Klaren sind und das es in einen Zusammenhang gesetzt wird mit dem echten Bamf-Skandal, NSU, Dessauer Polizei-Morden, Hannibal, indimedya, G20, g8 und die politisch motivierte Strafvervolgung dazu.

  • Kann mir mal jemand erklären was "Fusion" ist??

  • So mieß das auch alles ist, vielleicht hat es auch irgendwo sein Gutes, dass die Utopie so mit der häßlichen Realität konfrontiert wird. Die fusion-typische Melange aus Hedonismus, Drogenkonsum und Wochenendkommunismus ist letztlich insofern apolitisch, als dass das Wesen des Politischen im Dissenz besteht und solange linke Utopien nur innerhalb homogener Freiräume funktionieren sind sie für die Praxis dysfunktional. Dem gesamtgesellschaftlichen Rechtsdrall, der sich eben auch in zunehmend entgrenzten Repressionsorganen manifestiert, wird man mehr entgegensetzen müssen als Partymachen.

    • @Ingo Bernable:

      "…mehr entgegensetzen…"



      Das PAG?

      • @Frau Kirschgrün:

        Ich fürchte ich kann da nicht ganz folgen. Das PAG ist doch eher Symptom als Therapie.

        • @Ingo Bernable:

          Ich meinte das in dem Sinne, dass es ja das PAG (z. B. als Synonym für Polizeistaat) ist, das jetzt schon eine "unwirksame", harmlose Party beenden|verhindern will - also alles Freie und Lebendige im Keim ersticken.



          Nur ja keinen Spaß zulassen – auch ganz "unpolitisch" – weil sie Angst haben. Angst genau vor diesem Freien und Lebendigen – links oder nicht…

  • Sag ich doch:



    taz.de/Anwohner-De...Festival/!5594680/







    Das PAG ist m. E. die Möglichkeit für Staatsterror per Gesetz.

  • Man könnte meinen, das sei ein Treffen der Roten Brigaden und am Eingang würden Stemmeisen und Axtstiele ausgegeben und es sei jede Stunde mit der Ausrufung einer Räterepublik in Neubrandenburg zu rechnen.

    1.000 Einsatzkräfte + noch das ganze technische Spielzeug. Neh Hundertschaft kostet 100.000,- Euro am Tag, das ist nicht nur völlig sinnlos, sondern auch noch Verschwendung von Steuergeldern.

    Und genau wegen solcher Fälle, muss Verschwendung von Steuergeldern eine Straftat werden.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Auch wenn ich die Fusion wegen der Präsenz von BDS in den vergangenen Jahren kritisch sehe, würde ich es jetzt doch mit NWA halten:

    www.youtube.com/watch?v=51t1OsPSdBc

    Die Cops sind eben doch die größte Gang.

    Gibt es so etwas auch auf Techno?

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Underground Resistance. Die sind allerdings näher an Public Enemy als an NWA.



      The Prodigys Music For The Jilted Generation befasst sich inhaltlich auch viel mit dem Criminal Justice and Public Order Act, in dem es viel um die Verhinderung von Outdoor Raves ging.

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @9943:

        Alles klar. Danke. Public Enemy ist ja auch eine Hausnummer: "Fight the Power".

    • @88181 (Profil gelöscht):

      www.youtube.com/watch?v=wwZbonjAlPc



      NWA ist rabiater, aber immerhin.

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Andreas J:

        Das Video ist ganz witzig. Kollektiv Turmstraße kannte ich auch noch nicht.

  • Naja mit grade mal 11 Sitzen im Landtag hat die Linke nichts zu melden. Grüne sind eh nicht drin.



    So ist das eben.

  • kulturkampf schön und gut, aber auch dieser artikel gehört in die politik-rubrik. beim thema fusion gehts nämlich zuallererst um polizeibefügnisse, behörden und konstruierten bedrohungs-szenarien.



    www.zeit.de/gesell...-interne-dokumente

  • Die Verfassungswirklichkeit zum 70! Jahrestages des Grundgesetzes.

    Na Mahlzeit 👹

    kurz - Herr Christian Rath - Übernehmen Sie!



    Dank im Voraus 👺

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Immer wieder schön zu sehen wie verantwortlich mit unserem Steuergeld umgegangen wird.