Anwohner-Demo für das Fusion-Festival: Ein Ort der Freiheit
In Mecklenburg-Vorpommern haben am Sonntag Anwohner gegen eine Polizeiwache auf dem Gelände des Fusion-Festivals protestiert.
Nicht zum Gottesdienst, sondern zu einer Kundgebung: Sie protestieren für den Erhalt des Fusion-Festivals in seiner bisherigen Form und gegen die Pläne der Polizei, in diesem Jahr erstmals eine Polizeiwache direkt auf dem Festivalgelände einzurichten und dort anlasslose Kontrollen durchzuführen. Bis zu 1.000 Polizisten könnten für das Festival zusammengezogen werden.
„Hier wird ein fiktives Bedrohungsszenario aufgebaut, dass es gar nicht gibt“, sagt Lehmann, der ehrenamtliche Bürgermeister von der CDU, im Hauptberuf Busfahrer. Eine Wache auf dem Fusion-Gelände ergebe gar keinen Sinn, wenn überhaupt, könne die Polizei im Bürgerzentrum in Lärz eine Zentrale einrichten, das sei völlig ausreichend. Die Zusammenarbeit mit den Veranstaltern laufe hervorragend, die Fusion sei ein „überaus friedliches“ Festival.
Für diese Worte gibt es lauten Applaus. Das seit 1997 auf dem ehemaligen Militärflughafen am Rand des Ortes stattfindende Festival hat unter den Anwesenden, die aus Lärz und den umliegenden Ortschaften zur Kundgebung gekommen sind, einen hervorragenden Ruf. War die Fusion in ihren Anfangsjahren noch eher wie ein Ufo in Lärz gelandet, ist sie heute längst mit dem Dorf verwachsen. Martin Eulenhaupt, Vorsitzender des Veranstalter-Vereins Kulturkosmos, auch hier von allen nur Eule genannt, ist mittlerweile Teil des Lärzer Ortsbeirats, die freiwillige Feuerwehr hat ihn zum Ehrenmitglied ernannt.
Rund 70.000 Gäste
„Die Fusion ist ein wunderbarer Ort, ein Ort der Freiheit“, sagt eine Frau aus der nahegelegenen Kleinstadt Mirow. Vor zwanzig Jahren sei sie das erste Mal dort gewesen, seitdem komme sie immer wieder: „Auf der Fusion habe ich meinen ersten Milchkaffee getrunken, auf der Fusion habe ich das erste Mal Falafel gegessen“, sagt sie strahlend. Sonja Suntrup vom Grünen-Ortsverband Röbeln erzählt, wie sie der Fusion jedes Jahr mit ihren Kindern einen Besuch abstatte, „die sind sozusagen mit dem Festival groß geworden“.
Die Fusion soll in diesem Jahr vom 26. bis 30. Juni stattfinden, erwartet werden erneut rund 70.000 Gäste. Bisher fehlt jedoch die Genehmigung für das eingereichte Sicherheitskonzept. Für Streit sorgt vor allem die Forderung des neuen Polizeipräsidenten von Neubrandenburg, Nils Hoffmann-Ritterbusch, der die Wache auf dem Festivalgelände und die „anlasslose Bestreifung“ durchsetzen will.
Rückendeckung bekommt er dafür aus dem CDU-geführten Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns. In der Region haben sich hingegen Politiker fast aller Parteien auf die Seite der Festival-Veranstalter vom Kulturkosmos e.V. gestellt, die diese polizeilichen Maßnahmen unbedingt verhindern wollen, so wirbt etwa ein CDU-Kandidat aus Neustrelitz auf seinen Plakaten für die Kommunalwahl am 26. Mai mit seiner Unterstützung für die Fusion.
„Grob abwegig“
Auch der ehemalige Leiter der Polizeiinspektion Neubrandenburg, Siegfried Stang, der bis 2015 für die polizeiliche Begleitung der Fusion zuständig war, hat das Festival in einem Gastbeitrag in der Regionalzeitung Nordkurier verteidigt, den diesjährigen Vorstoß der Polizei bezeichnet er als „grob abwegig“.
Am Montag treffen sich Vertreter des Kulturkosmos mit dem zuständigen Amt Röbel/Müritz, um das Sicherheitskonzept nachzuverhandeln. Am kommenden Donnerstag könnte dann die Entscheidung über die Genehmigung fallen, möglicherweise gibt es aber auch noch einmal eine Fristverlängerung für Nachbesserungen.
„Niemand hat die Absicht, die Fusion kaputt zu machen“, steht auf einem Schild, das eine Demonstrantin in die Höhe hält. Genau das befürchten die Veranstalter und Sympathisanten: Dass es den Sicherheitsbehörden und dem Innenministerium darum geht, der Fusion einen Riegel vorzuschieben und damit nicht nur ein beliebtes Festival, sondern auch ein wichtiges Stück linker Infrastruktur zu zerstören.
„Bevölkerung gezielt verunsichert“
Auch der dahinterstehende Recht-und-Ordnung-Diskurs wird auf der Kundgebung kritisiert: Mit dem Argument, dass es um Sicherheit gehe, wolle die Polizei sich immer weitergehende Rechte verschaffen, sagt eine Rednerin. „Es sieht so aus, als ob die Bevölkerung mit den neuen Forderungen der Polizei gezielt verunsichert werden soll“, formuliert es Gerhard Schneider aus Lärz, der die Kundgebung gemeinsam mit dem Mirower Buchhändler Peter Schmitt organisiert hat.
Ein Vertreter des Kulturkosmos bedankt sich Ende der Kundgebung bei den Anwesenden: „Dass ihr hier an unserer Seite steht, das bedeutet uns viel mehr als die bundesweite Aufmerksamkeit, die es gerade gibt, das ist uns das Allerwichtigste“, sagt er. Über die vergangenen 22 Jahre, das wird an diesem Vormittag deutlich, hat sich die Fusion hier in der Region einiges an Sympathien erworben. Geht man davon aus, dass der diesjährige Streit auch politisch geführt wird, ist noch nicht so klar, ob die Polizei tatsächlich am längeren Hebel sitzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht