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Die Kälte wird sozialer

Beim Speiseeis zählt neben dem Geschmack auch die Sozialkompetenz: Ein starker Trend geht Richtung Gesundheits- und Umweltbewusstsein – und führt bis auf die Süßlupinenfelder Mecklenburg-Vorpommerns

Von Harff-Peter Schönherr

Der eine schwört auf Eis am Stiel, der andere mag es nur aus Hörnchen. Der eine liebt Spaghetti-Eis, der andere Konfekt. Der eine kann bei Understatement-Legenden wie der Fürst-Pückler-Waffelschnitte nicht widerstehen, der andere bleibt für immer Kids-Knallern wie dem „Flutschfinger“ treu. Der eine traut sich an Geschmacksrichtungen wie Safran-Rosenwasser, der andere findet schon Joghurt-Sauerkirsch zu gewagt.

Rund 650 Millionen Liter Speiseeis haben die Deutschen 2018 gegessen, knapp neun Liter pro Kopf. Und die Italo-Eisdiele an der Ecke ist dabei ziemlich abgeschlagen: 80 Prozent entfallen auf industrielles Marken-, nur knapp 17 Prozent auf gewerbliches Eisdielen-Eis. Der Rest, meist Softeis aus Automaten, von Fast-Food-Ketten, ist kaum der Rede wert.

Rund 2,5 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist die Branche schwer. Und sie braucht keine überdurchschnittlich warmen Sommer wie 2018, um Erfolg zu haben. Eis ist längst ein Ganzjahres­produkt. Die Lust darauf „trifft einen oft unverhofft“, versichert der „Eis Info Service“ (E.I.S.), das Sprachrohr der sieben Speiseeis-Hersteller im Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Und dass Eis „Lebensfreude, Spaß, Glück, Auszeit vom Alltag“ be­deu­te, sagt E.I.S. auch.

Einer der erwähnten Sieben ist „Eisbär-Eis“ in Apensen bei Hamburg. Über zwei Millionen Portionen pro Tag entstehen hier, über 200 Artikel, produziert von über 200 Mitarbeitern, im Drei-Schichten-System, rund um die Uhr. „Einerseits geht es in Richtung Leichtigkeit“, umreißt Geschäftsführer Martin Ruehs die Trends für 2019, „mit weniger Zucker, weniger Fett, andererseits ist bei dem, was jetzt in den Truhen liegt, ganz klar auch eine Gegenläufigkeit zu spüren: viel Eis nach US-Art, mit viel Stückigkeit, viel Saucen“.

Auch ein Trend, nur dass er am Ende nicht im Kühlwagen das Werk verlässt: Die vermehrte Frage nach Sozial- und Umweltstandards. „Da achtet der Handel stark drauf“, sagt Ruehs. „Er will ja keine schwarzen Schafe.“ Einer der Umsatzschwerpunkte bei „Eisbär“ ist die Herstellung von Handelsmarken. Und auch da, sagt Martin Ruehs, werde natürlich stets „viel Neues entwickelt“. Er sagt es mit Nachdruck. „Oft heißt es ja: Ihr wechselt nur die Verpackung, aber der Inhalt bleibt gleich! Aber das stimmt nicht.“ Das habe „noch nie gestimmt“. Nur in Klassikern gut zu sein, reicht also nicht. „Man muss auch rechts und links davon was aus­probieren“, sagt ­Ruehs, „um Kompetenz zu zeigen“. Und aus Gründen der Endverbraucherbindung. „Es geht ja immer stärker in Richtung Unterscheidbarkeit, Exklusivität.“

Leichtigkeit gegen Reichhaltigkeit: Das sieht auch Unilever Deutschland, Hamburg, für 2019 als „zwei große, gegensätzliche Trends“. Nadja ­Kleszcz, Communications Manager, drückt es anders aus als Ruehs, aber sie meint dasselbe: „‚Better for you‘ auf der einen Seite und ‚Overindulgence‘ auf der anderen. Die Konsumenten bewegen sich immer mehr in Extremen.“

Einerseits also Produkte wie Breyer’s Delight: „Das Eis enthält 30 Prozent weniger Kalorien und Zucker gegenüber vergleichbaren, marktüblichen Produkten“, sagt Kleszcz, „und ist reich an Proteinen.“ Auch „Moo-phoria“ von Ben & Jerry’s fällt in diese Kategorie. „Mit 50 Prozent weniger Fett im Vergleich zu ähnlichen Produkten. Ernährungsbewusste Konsumenten können so auf ihre Kalorien achten, ohne auf jeglichen Genuss verzichten zu müssen.“ Andererseits die volle Breitseite „durch die Kombination verschiedenster Texturen und Geschmacksrichtungen“, so Kleszcz. „Schokoladensauce, Keksstückchen und Glasuren sorgen hier für den besonderen Genussmoment.“ Ein Beispiel dafür sind die Neuheiten der Marke Magnum.

Unilever, zu dem die Marke Langnese gehört, kennt sie natürlich alle, die verkaufs­trächtigen Zauberwörter. Ben & Jerry’s ist dabei ein Vorzeigeprodukt: Fairtrade-Vanille, Bio-Milch, Verzicht auf Gentechnik und Zuckerersatzstoffe …

Giovanni L. Gelato de Luxe aus Kiel, ebenfalls Mitglied im Klub der sieben Hersteller, bestätigt, wie wichtig solche Kriterien sind: „Wir merken vermehrt, dass unsere Kundschaft nicht nach speziellen Eissorten fragt“, sagt Christiane Kühl vom Marketing, „sondern dass Faktoren wie vegane, laktosefreie, glutenfreie und halal-zertifizierte Angebote immer wichtiger werden. Unsere Gäste sind verstärkt interessiert, dass sie genau wissen, was sie essen.“ Faktoren wie Natürlichkeit und Herkunft der Zutaten rückten also „immer mehr in den Fokus“. Fruchtpürees und Saucen werden in der eigenen Manufaktur hergestellt. Die Milch kommt „direkt von Bauern aus der Region, die genossenschaftlich vereinigt sind“. Selbstverständlich legt man „großen Wert darauf, dass unser Gelato keinerlei Farb- und Konservierungsstoffe enthält. Unsere Fruchtsorbets sind darüber hinaus auch noch ohne Aromen.“

Einen ganz besonders konsequenten Weg der Nachhaltigkeit geht das kleine Start-up Prolupin in Grimmen, Mecklenburg-Vorpommern: Für sein Eis – Werbeclaim: „From Meckpomm with LUVE!“ – nutzt es das Eiweiß von Süßlupinen, angebaut von Landwirten „vor unserer Haustür“. Ideal für Vegetarier und Veganer. Laktosefrei, gentechnikfrei, glutenfrei. Regionaler geht es nicht, und dem Boden tut die Lupine auch noch gut: An ihren Wurzeln reichern Knöllchenbakterien den Boden mit Stickstoff aus der Luft an. Dass die Verpackung von Luve-Eis zu 100 Prozent biologisch abbaubar ist, versteht sich da von selbst. Ein Denken, das bereits bis zu Aldi Nord vorgedrungen ist.

Speiseeis? Wer bei diesem Genuss- und Lifestyleprodukt mitreden will, muss den Unterschied zwischen Kremeis und Eiskrem kennen, zwischen Fruchteis und Fruchteiskrem, zwischen Quetschtüten und Push-ups, zwischen Torten und Bomben, muss wissen, dass Erdbeereis nicht dasselbe ist wie Erdbeerfruchteis, und auch nicht dasselbe wie Eis mit Erdbeere und erst recht nicht dasselbe wie Eis mit Erdbeergeschmack.

Fragen, die einen Ortstermin in einer Eisfabrik verdient hätten. Zum Beispiel in Osnabrück, bei Froneri, einem der größten Eiskremwerke Europas. Ein Milliardenplayer – aber Offenheit ist hier ein Fremdwort: Ein Blick in die Produktion? Nein, nicht möglich, grundsätzlich nicht. Ein Gespräch vor Ort, mit einem lokal Verantwortlichen? Auch nicht. Lucas Neurauter, Projektmanager bei Pure Perfection PR, Berlin, bedauert, im Namen von Froneri Ice Cream. Sehr bedauernd klingt sein Bedauern nicht. Auf schriftliche Fragen kommt bis Redaktionsschluss keine Antwort.

Die Region Osnabrück ist ein bedeutender Eis-Standort. Aber eben auch ein stummer. Auch Gelato Classico in Hilter a. T. W. wehrt ab. Mails sind angeblich „nicht angekommen“. Rückrufe unterbleiben. Die Verantwortlichen sind immer gerade „zu Tisch“ oder in einer Besprechung, „die vermutlich den ganzen Tag dauert“. Info: null.

Derweil dringt „From Meckpomm with LUVE!“ bis in ganz normale Supermärkte vor. Und Nadja Kleszcz schickt für Unilevers Langnese, den deutschen Speiseeismarktführer, Mitteilungen raus, die offensiv über Biozertifizierung reden, über den Verzicht auf künstliche Farbstoffe und Aromen sowie über Verpackungen aus „mindestens 80 Prozent recyceltem Papier“. Bei aller Polkappenschmelze: Schritte in die richtige Richtung.

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