: Wenn ein Preis den Preisträger schützen soll
Die Brüder Víctor und Martín Fernández haben die Seite gewechselt. Sie haben dem staatlichen Justizsektor den Rücken gekehrt und sich als Anwälte in den Dienst sozialer Organisationen gestellt. Dafür und für das Eintreten für den Rechtsstaat in Honduras haben sie am Montag den Bremer Solidaritätspreis bekommen. Ein Besuch vor Ort
Aus San Pedro SulaKnut Henkel
Kameras, Stacheldraht und ein hoher Metallzaun sichern das Gebäude an der Straßenecke, in dem sich der Sitz der „Bewegung für die Würde und die Justiz“ (MADJ) befindet. Victor Fernández, ehemaliger Staatsanwalt, ist Koordinator der Bewegung. „Wir vertreten hier die Rechte von sozialen Organisationen, bieten Beratung und Prozesshilfe an und initiieren auch Klagen“, sagt der 43-jährige Jurist.
Fernández, der am gestrigen Dienstag den Bremer Solidaritätspreis verliehen bekam, vertritt seit Jahren den Bürgerrat der Volks- und Indigenenorganisationen von Honduras, kurz COPINH. Und er ist Anwalt der Familie der am 3. März 2016 ermordeten COPINH-Sprecherin Berta Cáceres. Die Umweltaktivistin war in ihrem Haus in La Esperanza, einer Stadt im Süden von Honduras, von Auftragskillern ermordet worden.
Am 29. November endete der erste Prozess, den Fernández und seine Kollegen vom MADJ angestrengt haben. Sieben von acht Angeklagten wurden vom Gericht für schuldig erklärt, Berta Cáceres ermordet zu haben.
Doch für Víctor Fernández geht das Urteil genauso wie für die Familie Cáceres nicht weit genug: „Wir wollen kein zu kurz greifendes Urteil, in dem die ausführenden Organe verurteilt werden, aber die Auftraggeber, die Verantwortlichen für den Mord, nicht belangt werden. In diese Richtung lief der Prozess aber von Beginn an“, kritisiert der Anwalt.
Er vermutet, dass das Gericht von Beginn an den Auftrag hatte, den Prozess so zu steuern, dass Hintergründe und Hintermänner nicht an die Öffentlichkeit dringen konnten. „Aus unserer Perspektive ging es darum, die Funktionsweise des Machtapparats zu verschleiern“, sagt Fernández.
Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird seit 1988 alle zwei Jahre von der Bremer Landesregierung verliehen. Zudem wird eine Skulptur des Bremer Künstlers Bernd Altenstein übergeben.
Er soll eine Ermutigung für Personen und Gruppen sein, die sich in besonderer Weise für die Überwindung von Ungerechtigkeiten im Nord-Süd-Verhältnis und den Folgen von Kolonialismus und Rassismus einsetzen.
Bisherige PreisträgerInnen waren unter anderem Winnie und Nelson Mandela aus Südafrika, 1990 Bischof Medardo E. Gómez und die Menschenrechtsorganisation Comité Cristiano Pro Desplazados de El Salvador, Aung San Suu Kyi aus Myanmar und Aminatou Haidar aus Marokko.
Berta Cáceres hatte vor ihrem Tod gegen das Staudammprojekt Agua Zarca gekämpft, hinter dem das honduranische Energieunternehmen DESA stand. Das Unternehmen setzte für die Realisierung des Projekts ausschließlich auf internationale Kredite – Eigenkapital gab es nicht.
Um das Projekt, gegen das sich die lokale Bevölkerung mehrfach öffentlich ausgesprochen hatte, durchzusetzen, wurde ein kriminelles Netzwerk aufgebaut, dessen Reichweite bisher noch nicht klar ist. Genau dort setzen die Anwälte der Opfer an. „Wir haben ermittelt und herausgefunden, dass sich hinter dem Mord eine politisch-militärische Struktur verbirgt. Das erklärt auch, warum unsere Arbeit systematisch behindert wird“, argumentiert Víctor Fernández.
Vor Gericht sind die Verantwortlichen des Unternehmens nicht als Zeugen zur Befragung geladen worden. Und auch die Funktionäre, die die Konzession für das Kraftwerk gegen geltendes Recht bewilligten, wurden nicht vorgeladen.
Mit ihrem Engagement haben sich Víctor Fernández und sein Bruder Martín, der die MADJ im Süden Honduras vertritt, nicht nur Freunde gemacht. Anfeindungen, ja massive Drohungen gehören zum Alltag der beiden Juristen. Der Bremer Preis, zu dessen Übergabe die beiden Brüder gestern in Deutschland waren, ist für sie eine Auszeichnung, die ihre Arbeit und die Verhältnisse in Honduras sichtbar macht – und sie obendrein schützt.
„Internationale Aufmerksamkeit hat einen Effekt“, sagt Víctor Fernández. Doch das Beispiel von Berta Cáceres zeige nur zu gut, dass niemand in Honduras unantastbar ist – „außer der regierenden Elite“. Cáceres war mit einem internationalen Preis für Umweltschützer, dem Goldman-Preis, ausgezeichnet worden. Über ihre Arbeit wurde international berichtet, und trotzdem wurde sie brutal ermordet.
Deshalb sind Briefe wie jener der 30 Abgeordneten des EU-Parlaments wichtig, die Mitte November 2018 an den Präsidenten von Honduras, Juan Orlando Hernández, appellierten, ein transparentes Verfahren zu garantieren. Doch ein Fortschritt der Ermittlungen scheint in Honduras alles andere als erwünscht zu sein. Die Kameras rund um die MADJ-Zentrale sind dafür ebenso Indiz wie die Drohungen, die die Brüder Fernández erhalten. Das bestätigt auch Joaquín A. Mejía vom jesuitischen Forschungszentrum ERIC. „Ermittlungen, die über den Radius der ausführenden Männer hinausgehen, sind unerwünscht“, sagt der Jurist.
Doch mit den noch ausstehenden Prozessen gegen den Geschäftsführer der DESA und die Mitarbeiter in den Ministerien, die das Staudammprojekt bewilligten, hat die MADJ vorausschauend agiert. So könnte dann doch noch Licht in die Hintergründe kommen – wenn die internationale Aufmerksamkeit nicht nachlässt. Der Bremer Solidaritätspreis sei eine Anerkennung für alle, die sich in Honduras für Recht und Gerechtigkeit einsetzten, sagte Martín Fernández vor der Verleihung. Und der Bremische Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) fügte hinzu, der solle auch als „Schutz für die Preisträger dienen“.
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