Mörder gefasst, Fall ungelöst

Brasiliens Polizei präsentiert ein Jahr nach dem Mord an Marielle Franco die mutmaßlichen Mörder

Angehörige und Freunde wollen wissen: Wer hat den Mord an Marielle Franco angeordnet?

Von Sunny Riedel

Kurz bevor sich der Mord an der linken Stadträtin Marielle Franco und ihrem Fahrer Anderson Gomes in Rio de Janeiro zum ersten Mal jährt, melden die Ermittler einen Erfolg: Zwei Männer wurden am frühen Dienstagmorgen im Norden der Stadt festgenommen. Ronnie Lessa und Élcio Vieira de Queiroz, zwei Ex-Militärpolizisten, werden verdächtigt, Franco und Gomes in der Nacht des 14. März 2018 erschossen zu haben. Lessa soll die 13 Schüsse aus einer MP5 abgegeben haben. Vier trafen Franco in den Kopf, die anderen ihren Fahrer. Ihre Assistentin überlebte verletzt. Queiroz soll den Wagen gesteuert haben.

Eine Telefonüberwachung hatte die Ermittler auf Lessa gebracht. Er soll monatelang zu Francos Gewohnheiten, Adressen und Angehörigen sowie über die spätere halbautomatische Tatwaffe recherchiert haben. In den letzten Monaten wurden die Ermittlungen von mehreren Pannen überschattet. Mehrfach waren Verdächtige vor Polizeioperationen gewarnt worden, Dutzende Verdächtige entkamen so ihrer Festnahme. Anfang März wurden deshalb die zwei Polizisten verhaftet.

Angehörige und Freunde von Franco begrüßten die Festnahmen, fordern aber, dass auch die Auftragsgeber ermittelt werden. Eine Spur führt direkt zum Staatspräsidenten. Der mutmaßliche Schütze lebt in derselben Wohnanlage, in der auch Jair Bolsonaro sein Haus hat. Zudem kursiert in den sozialen Medien ein Foto, das den Präsidenten in herzlicher Umarmung mit Queiroz zeigt.

Interessanter aber ist der Zusammenhang zwischen den mutmaßlich beteiligten Milizen. In den von ihnen kontrollierten Gebieten soll der Immobilienmarkt stark gewachsen sein. AnwohnerInnen-Initiativen, die sich gegen den Ausverkauf von Grundstücken wehrten, wurden von Marielle Franco unterstützt. Im Januar war bekannt geworden, dass die Mutter eines der mutmaßlichen Mitorganisatoren des Mordes, des Milizenchefs Adriano Magalhaes de Nóbrega, für den Abgeordneten und Präsidentensohn Flávio Bolsonaro gearbeitet hat. Dort soll sie sogar für seine illegale Finanztransaktionen bei Immobiliengeschäften zuständig gewesen sein, zu denen Ermittlungen laufen.

Doch sind die Motive für den Mord nicht klar. Als lesbisch lebende Schwarze, die in Rios berüchtigtem Armenviertel Favela da Maré aufgewachsen ist, war sie vielen Konservativen ein Dorn im Auge. Noch nach ihrem Tod hatte ein Delegierter der Bolsonaro-Partei PSL eine Gedenkminute für die Ermordete im Parlament gestört, indem er lauthals ihren „Lebenswandel“ ablehnte. Andere Abgeordnete zerrissen Bilder mit ihrem Namen.

Auch den Milizen und Militärpolizisten war Franco, die die brutalen Polizeieinsätze in den Armenvierteln wiederholt kritisiert hatte, nicht sympathisch. Eine Schmutzkampagne hatte sie in Verbindung mit Drogenhandel gebracht. Doch ist der Aufschrei, den der Mord weltweit ausgelöst hat, nicht verklungen. Am Jahrestag haben Angehörige und Parteifreunde zu Trauermärschen aufgerufen. Sie demonstrieren mit Bildern und T-Shirts mit Francos Konterfei und fragen: Wer hat den Mord an Marielle angeordnet?