Christian Rath über das Urteil zum Kfz-Kennzeichen-Abgleich: Gefühl der Verunsicherung
Das Bundesverfassungsgericht hat einen eigenen Fehler bereinigt. Anders als 2008 hat es den massenhaften Abgleich von Nummernschildern mit Fahndungsdateien als Eingriff in Grundrechte gewertet. „Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne (…) hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen.“ Dieser Satz aus dem neuen Urteil wird noch oft zitiert werden.
Zwar hat der Kennzeichen-Abgleich für die allermeisten Autofahrer in der Praxis keine Folgen, weil ihr Fahrzeug in keiner Fahndungsliste steht. Die Maßnahme ist aber heimlich und hat eine enorme Streubreite. Und was nicht lästig ist, kann doch ein Gefühl der Verunsicherung erzeugen. Künftig kann also jeder Bürger beim Bundesverfassungsgericht eine Kontrolle der Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regeln zum Kfz-Kennzeichen-Abgleich einfordern – wie bei anderen heimlichen Polizeimaßnahmen auch. Karlsruhe hat nun also vor allem sichergestellt, dass es seine eigene Aufgabe erfüllen kann.
Klagen wird es sicher geben, wenn – wie von der Bundesregierung geplant – der Kfz-Kennzeichen-Abgleich zur Kontrolle von Diesel-Fahrverboten benutzt wird. Doch diese sind nicht automatisch verfassungswidrig, da es ja um ein hohes Rechtsgut geht: die Gesundheit der Bevölkerung. Auch die Beschränkung auf Stichprobenkontrollen dürfte über die Karlsruher Hürde helfen.
Die Selbstkorrektur der Verfassungsrichter dürfte aber vor allem durch den Modellversuch zur Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz ausgelöst worden sein. Dort wurden 2017 Passanten fotografiert und die Bilder mit einer simulierten „Fahndungsdatei“ abgeglichen. Innenminister Seehofer will die Technik schon bald zum Schutz vor Terroranschlägen einsetzen. Karlsruhe hätte sich lächerlich gemacht, wenn die Richter bei einer derartigen Massenkontrolle keinen Eingriff in die Grundrechte angenommen hätten.
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