: Gebärerinfürs Vaterland
Wie die europäische Rechte gegen den Feminismus kämpft – und sich dafür mit christlichen Fundamentalisten verbündet
Das Konzept: Fast überall in der EU sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Sie bekämpfen das liberale Europa und organisieren sich dabei transnational. Ihre Agenda, Strategien und Netzwerke dokumentieren die taz und fünf europäische Partnermedien im Rechercherverbund Europe’s Far Right. Wir wollen wissen: Wie stellt sich Europas Rechte für die EU-Wahl im Mai 2019 auf?
Die Mitstreiter: Mit dabei sind neben der taz Libération (Paris), Falter (Wien), Gazeta Wyborcza (Warschau), HVG (Budapest) und Internationale (Rom). Für die grafische Umsetzung und die Online-Präsentation arbeiten wir mit den Agenturen Infotext Berlin und Zoff Collective zusammen.
Die Arbeitsweise: JournalistInnen der sechs Medien recherchieren gemeinsam, manchmal auch jedeR im eigenen Land. Die Ergebnisse werden zusammengetragen und dann von jedem Medium gleichzeitig für die eigenen LeserInnen aufbereitet. Deshalb sind die AutorInnen der Texte, die Sie hier lesen, ausschließlich taz-MitarbeiterInnen. Das Material aber stammt nicht nur von uns, sondern auch von den KollegInnen aus unseren Partnermedien.
Das Geld: Die Recherchen werden gefördert durch das Kartographen-Stipendium der Mercator-Stiftung, das „Reporters in the Field“-Stipendium der Bosch-Stiftung, durch die Otto-Brenner-Stiftung und die taz Panter Stiftung.
Der Überblick: Online finden Sie alle Veröffentlichungen unter taz.de/efr.
Von Patricia Hecht
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wurde deutlich. „So viele ungarische Kinder wie möglich!“, forderte er in seiner Eröffnungsrede des World Congress of Families, dessen Gastgeber 2017 Budapest war. Der Kongress, der jährlich an wechselnden Orten stattfindet, ist eines der wichtigsten Treffen der globalen Szene sogenannter LebensschützerInnen. Sie kämpfen für die traditionelle Ehe von Mann und Frau, wollen ein Ende von Abtreibungen – und möglichst viele Kinder für die jeweilige Nation.
Spätestens seit 2017 sucht der Kongress, dessen Trägerorganisation in den USA beheimatet ist, offen die Nähe zu rechten Regierungen in Europa. Denn es gibt Schnittstellen, an denen Rechte und sogenannte LebensschützerInnen dieselben Positionen vertreten, an denen Religion und Biopolitik Hand in Hand gehen: Keine Einwanderung, vor allem keine muslimische – um den christlichen Glauben nicht zu gefährden. Die Beschneidung der Rechte von LGBTI. Und der Zugriff auf den weiblichen Körper, um dem Land Kinder zu schenken und es wehrhaft zu machen.
Gemeinsam ist rechten und rechtspopulistischen Parteien in Europa eine strikt antifeministische Agenda. Dahinter steckt auch eine strategische Überlegung: Mit dem sogenannten Lebensschutz werden fundamentalistische christliche Gruppen an die Parteien gebunden. Der Angriff auf das, was beispielsweise die AfD gern „Gendergaga“ nennt, soll den Sprung ins bürgerliche Milieu erleichtern. Die Bandbreite der gesellschaftlichen Gruppen, in denen WählerInnen gewonnen werden können, wird für die Rechte damit größer.
Insbesondere in Ländern, in denen Rechte bereits an der Regierung sind, wird deutlich, wie massiv die Rechte von Frauen und LGBTI beschnitten werden. In Ungarn etwa ist Abtreibung zwar erlaubt, doch die Regierung stellt Frauen viele Hindernisse in den Weg: Für den Zugang zu Verhütungsmitteln, einschließlich der Pille danach, ist eine ärztliche Verschreibung nötig. Den „Schutz des Lebens von der Empfängnis an“ hat Orbáns Fidesz-Partei seit 2012 in der Verfassung festgeschrieben. Damit, befürchten Frauengruppen, könne es jederzeit zu Einschränkungen von Schwangerschaftsabbrüchen kommen.
In Österreich sind Abtreibungen bis zum dritten Schwangerschaftsmonat zwar straffrei – ähnlich wie in Deutschland –, doch zahlreiche hochrangige Vertreter der an der Regierung beteiligten rechtspopulistischen FPÖ sagen offen, dass sie gegen Abtreibungen sind. Im Regierungsprogramm, das die FPÖ im letzten Jahr mit ihrem konservativen Koalitionspartner vereinbarte, ist der „Schutz der Familie“ ein wichtiger Bestandteil. „Als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern“ sei diese „die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft“, heißt es dort.
Und Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze des Kontinents. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann möglich, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, sie vergewaltigt wurde oder wenn das Kind eine schwere Behinderung haben würde. 2017 hatten Polinnen 1.057 legale, aber zwischen 80.000 und 200.000 illegale Abbrüche.
Gemeinsam mit der rechten Regierungspartei PiS will eine Volksinitiative das Gesetz noch verschärfen. Bisher wurde der Gesetzesentwurf wegen Protesten der Bevölkerung nicht umgesetzt. Doch falls er durchkommt, müssten Frauen auch Kinder austragen, die keine Überlebenschance haben. Diese Kinder könnten dann „getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen tragen“, sagte der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński.
Auch in Ländern, in denen Rechte bislang nur im Parlament, nicht aber in der Regierung vertreten sind, sind die Ziele deutlich: Die AfD etwa, nach eigener Aussage beim jährlichen „Marsch für das Leben“ in Berlin zahlreich vertreten, will Schwangerschaftsabbrüche zum „Schutz des ungeborenen Lebens“ erschweren. Bei der Schwangerenkonfliktberatung soll „das vorrangige Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens“ sein. Weiter heißt es im Programm: „Die AfD wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen (…) zu einem Menschenrecht zu erklären.“ Kinderlosigkeit hingegen will die AfD mit Hilfe des Steuer- und Rentenrechts bestrafen.
Für die AfD sind Ehe und Familie die Keimzelle der deutschen Nation. In ihrem Grundsatzprogramm fordert die Partei die „traditionelle Familie als Leitbild“. Die demografische Entwicklung sieht die AfD als Problem, das nicht mittels Einwanderung gelöst werden solle, gern spricht die Partei beispielsweise von einer „Willkommenskultur für deutsche Kinder“ – ganz im Sinne Viktor Orbáns, der das Ziel für Ungarn vorgelegt hat.
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