Debatte Digitalpolitik für das Gemeinwohl: Recht auf Internet
Die Macht von Netzunternehmen wächst. Selbst linker Aktivismus braucht Facebook. Zeit für eine digitale Infrastruktur in öffentlicher Hand.
Die Situation ist uns allen vertraut: Man ist zum ersten Mal zu Besuch bei netten, aber noch fremden Leuten und nimmt Notiz von den noch unvertrauten Regeln, die bei ihnen zu Hause gelten. Behalte ich die Straßenschuhe an oder schlüpfe ich in die freundlich bereitgestellten Hausschlappen? Darf im Wohnzimmer geraucht werden oder muss ich mich zu den andern frierenden Besuchern auf den eisigen Balkon stellen?
Ob mir die Wünsche der Gastgeber nun gefallen oder nicht, eines ist klar: Die Höflichkeit gebietet zunächst einmal, ihnen zu folgen. Schließlich bewege ich mich in ihrer Privatsphäre und nicht in einem Park oder einer öffentlichen Straße, in denen die Gesetze eines Landes gelten. Ganz ähnlich verhält es sich bei den Angeboten von kommerziellen Plattformen im Internet.
Wer Facebook nutzt, betritt das Wohnzimmer von Mark Zuckerberg, sagt die Medienwissenschaftlerin Stefania Milan von der Universität Amsterdam. Das Bild trifft die Realität. Was auf den Seiten sozialer Netzwerke geschieht, bestimmen nicht die Nutzer, sondern die Unternehmenseigner und Aktionäre.
Wir müssen uns daher auch nicht darüber wundern, dass harmlose Nacktfotos aus dem Netz verschwinden, jeder unserer Schritte ausgeforscht und die so gewonnenen Verhaltensdaten den Unternehmen ihre intransparenten Geschäften mit Werbekunden ermöglichen. Diese Daten sind so wichtig für das Geschäftsmodell von Facebook und Co, dass die Internetgiganten Heerscharen von Leuten beschäftigen, die uns Nutzer von den Bedienfunktionen ihrer Seiten geradezu abhängig machen sollen. Je besser sie uns kennen, desto besser fürs Geschäft. Mit dem Schutz der Privatsphäre stehen diese Unternehmen auf dem Kriegsfuß.
Facebook und Co sind schwer zu meiden
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff von der Harvard Business School hat dafür den Begriff „Überwachungskapitalismus“ geprägt. Dessen ungeheure Wachstumsdynamik hat Monopolunternehmen hervorgebracht, die weniger innovativ sind, als die Bewunderer des Silicon Valley behaupten. Häufig bremsen sie den freien Wettbewerb um die beste Lösung für bessere Produkte, indem sie mögliche künftige Konkurrenten in einem möglichst frühen Stadium aufkaufen.
Innerhalb von wenigen Jahren und Jahrzehnten sind aus kleinen kreativen Start-ups gigantische Konzerne geworden, die ihre enorme ökonomische Macht mittels Stiftungen und Sponsoring in gesellschaftlichen Einfluss umzumünzen verstehen. Demokratische Regierungen und Kartellbehörden sind von der ungeheuren Wachstumsdynamik der Internetökonomie überrascht worden.
Wie weit die Macht der Internetgiganten heute reicht, wird schon daran deutlich, dass selbst der linke Aktivismus, wenn er eine größere Zahl von Menschen erreichen will, um die Nutzung von Facebook oder WhatsApp kaum herumkommt. Unterdessen scheint die Gesetzgebung der Herausforderung durch den sich rasch verändernden digitalen Kapitalismus beinahe hoffnungslos hinterherhinken zu müssen.
Über Eigentumsverhältnisse nachdenken
Wer daran etwas ändern will, muss zunächst einmal begreifen, dass die Datengier der Plattform-Riesen keine Abweichung von einem ansonsten akzeptablen Geschäftsmodell ist. Vielmehr handelt es sich um einen Systemfehler, der nur durch grundlegende Strukturreformen behoben werden kann. Unternehmen, die eine für uns alle unverzichtbare digitale Infrastruktur bereitstellen, dürfen sich nicht nach den Zielvorgaben von Risikokapitalgebern ausrichten.
geb. 1967, ist Kultursoziologe und freier Publizist. In seinem 2017 erschienenen Buch „Das Netz in unserer Hand. Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie“ und in der Bewegung „Aufstehen“ macht er sich für ein öffentlich-rechtliches Internet stark.
Die von ihnen gewonnenen Verhaltensdaten sind zu wertvoll, um sie privaten Unternehmen zu überlassen, die sich auf Kosten unserer Freiheit bereichern wollen. Dem Verwertungsinteresse des privaten Risikokapitals in der Digitalwirtschaft muss ein Riegel vorgeschoben werden. Wer aber eine Alternative zum Modell des Silicon Valley entwickeln will, muss über die Veränderung der Eigentumsverhältnisse reden.
Ein interessanter Vorstoß in diese Richtung stammt nicht etwa aus den Reihen revolutionär gesinnter Altlinker oder marxistischer Theoretiker, sondern von einer Gruppe privater Unternehmer, die sich um das Gemeinwohl sorgen. Armin Steuernagel, Till Wagner und Benjamin Böhm von der Arbeitsgemeinschaft Unternehmen in Verantwortungseigentum fordern die Einführung einer neuen Rechtsform für Unternehmen, die mehr unternehmerische Freiheit als das vorhandene Stiftungsrecht ermöglicht, diese aber gleichwohl dem Gemeinwohl verpflichtet.
Kontrolle digitaler Infrastrukturen
An die Stelle des Kapitaleigentums soll das sogenannte Verantwortungseigentum treten. Den Eigentümern bleiben verkäufliche oder vererbbare Anteile an den Unternehmen und das Recht auf Gewinnausschüttung verwehrt. Die Gewinne kommen den Beschäftigen zugute oder müssen reinvestiert werden. Dadurch wäre garantiert, dass die Orientierung am Gemeinwohl den Zielen privater Eigentümer vorgeordnet bleibt.
Dieser Vorstoß weist in die richtige Richtung. Doch darf auch die Vergesellschaftung der Internetgiganten kein Tabuthema mehr sein. Da digitale Plattformen in modernen Gesellschaften als Infrastruktur unverzichtbar geworden sind, gehören sie nicht in die Hand von privaten Monopolisten, die am Profit orientiert sind. Stattdessen brauchen wir eine digitale Infrastruktur, die sich in öffentlicher Hand befindet und demokratisch kontrolliert wird. Dazu müsste ein neuer Typus öffentlicher Institutionen aufgebaut werden, der die private Aneignung von Gewinnen verhindert, ohne den Durchgriff der Exekutive zuzulassen.
Das fordern IT-Experten wie Rainer Fischbach schon seit Jahren. Die Realisierung eines öffentlich-rechtlichen Sektors im Bereich der sozialen Medien muss die vordringliche Aufgabe einer fortschrittlichen Medienpolitik werden. Die Linke könnte das Thema dazu nutzen, um mit innovativen Vorschlägen in die Offensive zu kommen und ein parteiübergreifendes Reformprojekt zu entwickeln. Packen wir es an!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin