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Das ABC der Lebensmittel

Ist das gesund? Lange Zeit wollten Hersteller und Händler von Lebensmitteln das lieber klein gedruckt beantworten. Doch ab diesem Monat drucken Danone und Iglo ein neues Nährwertlogo auf ihre Verpackungen. Fischstäbchen für alle! Guten Appetit!

Foto: Archiv

Von Hanna Gersmann

Zu Beginn ein bisschen Reklame, sie stammt vom Discounter Netto. Im Bild zu sehen sind Zuckerkristalle, die auf schwarzem Grund liegen und ähnlich wie Kokain zu schmalen Linien geformt sind. Darunter steht der Slogan: „Das weiße Zeug tut dir nicht gut!“

Ist Zucker so gefährlich wie Koks? Das ist ja allerhand, fand die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker, und schaltete ihrerseits eine Gegenanzeige: „Dealer gesucht? Dann geh doch zu Netto!“ Dazu erklärte der Lobbyverband der Zuckerindustrie: „Lebensmittel und Drogen auf eine Stufe zu stellen schadet. Allen.“

Jahrelang hat sich die Nahrungsmittelindustrie darauf konzentriert, Produkte mit viel Zucker, Salz, Fett verlockender zu machen – und die Kunden süchtig. Die Branche setzt knapp 160 Milliarden Euro um. Ihre Lobby wehrte jeden Versuch ab, die Verbraucher vor Ungesundem per Gesetz oder Vorschrift zu schützen. Doch die ersten Handelskonzerne scheren aus. Und mit ihnen die ersten Produzenten.

Die Provokation von Netto stammt bereits aus dem vergangenen Sommer. Und jetzt zieht Danone nach, einer der größten Lebensmittelproduzenten weltweit: Er druckt ein neues Nährwertlogo auf die Verpackungen seiner Joghurts, Puddings, seiner insgesamt 70 Molkereiprodukte. Ab diesem Monat kommen sie Schritt für Schritt in die deutschen Kühlregale. Tiefkühlkosthersteller Iglo macht das ebenso für seine Fischstäbchen, seinen Spinat und so fort. Gewiss ist das auch gute Werbung, aber es sieht nach mehr aus. Denken diese Firmen etwa ernsthaft um?

„Ja, denn sie üben Druck auf alle aus, die anderen der Branche, die Politik“, sagt eine, die es wissen muss. Luise Molling beobachtet für die Verbraucherorganisation Foodwatch, wie es um gesundes Essen steht, gilt als eine der strengsten Kritikerinnen der Branche. Nächste Woche reist sie nach Brüssel, wird bei der Europäischen Kommission werben, ein Nährwertlogo EU-weit zur Pflicht zu machen. Es ist nicht das erste Mal, aber diesmal „könnte sich mehr tun“, sagt sie. Für sie läuft es jetzt besser als noch vor wenigen Monaten.

Wie viel Zucker ist im Saft? Das weiß nur jede Vierte

In der Hauptstadt Europas wird seit langem über eine leicht verständliche Kennzeichnung gestritten. Bisher ging es viel um die Ampel, mit der die Briten bereits seit 2006 Erfahrung haben. Sie zeigt, ob ein Produkte jeweils zu viel Fett, zu viel Salz, zu viel Zucker pro 100 Gramm enthält. Rot steht für: Anteil ungesund, gelb für mittel, grün für unbedenklich.

Mit Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union sei die Zukunft des Modells aber fraglich, meint Molling. Wissenschaftler hielten es auch nicht mehr für das Beste. Sie favorisieren das französische Nutri-Score-System, weil es am „verständlichsten“ sei. Es ist das System, mit dem nun auch Danone und Iglo arbeiten.

Der Unterschied zur Ampel: Es gibt für die Zutaten nicht jeweils eine Bewertung, sondern eine für alles zusammen. Dafür beschränkt sie sich nicht auf Grün, Gelb, Rot, sondern hat fünf Stufen, ergänzt durch Buchstaben: Vom dunkelgrünen A für günstige Nährwerte, über ein gelbes C bis zum roten E.

Ernährungsexperten haben dafür ein Punktesystem entwickelt, bei dem günstige und ungünstige Nährwertbestandteile bewertet und dann verrechnet werden. Plus gibt es für Ballaststoffe, Proteine, Obst und Gemüse, Minus für einen hohen Gehalt an Kalorien, Zucker, Fett oder Salz.

Klassischen Fischstäbchen sind B, Germknödel landen bei D. Ein E gäbe es etwa für Ketchup

Die französische Regierung hat Nutri-Score schon 2017 eingeführt, allerdings die Unternehmen nicht verpflichtet, es zu nutzen, das kann nur die EU. Im vergangenen Sommer hat die französische Gesundheitsbehörde eine Umfrage dazu gemacht: 91 Prozent der Franzosen finden das Modell demnach unterstützenswert. Mittlerweile drucken es dort 85 Hersteller auf ihre Waren. Auch Danone.

Es nach Deutschland zu exportieren ist für Danone vergleichsweise einfach. Es bekommt für kein Produkt ein rotes E. Iglo auch nicht. Die klassischen Fischstäbchen sind B, jene mit Vollkornpanade sogar A, die mit Backteigpanade C. Und die Germknödel des Hamburger Unternehmens landen bei D. Ein E gäbe es etwa für Ketchup, Schoko-Brotaufstrich oder die klassische Coca Cola. Das produzieren andere. Warum sollten die sich auf so ein Fischstäbchen-ABC einlassen?

Philipp Kluck, der das Iglo-Marketing leitet, sagt: „Eine Auszeichnung mit D oder E ist nicht schlimm.“ Eigentlich wisse doch jeder, dass der Germknödel eine Süßspeise ist, also nichts für jeden Tag oder mittags und abends.“ Bei der Kennzeichnung gehe es darum, dass der Verbraucher leicht erkennen kann, was er insgesamt in seinen Einkaufskorb legt, „um sich einen ausgewogenen Essenplan machen zu können“.

Tatsächlich haben die Deutschen ein Problem. Zwei Drittel der Männer und gut jede zweite Frau in Deutschland gelten als übergewichtig oder adipös, also fettleibig. Bluthochdruck, Probleme mit Herz, Kreislauf, den Gelenken und Diabetes drohen. Das hängt nicht allein mit dem Essen zusammen, aber auch.

Verbraucher ahnen oft nicht, was in ihren Mahlzeiten steckt. In einer Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung mit mehr als 300 Eltern-Kind-Paaren unterschätzten drei von vier Eltern den Zuckergehalt von Lebensmitteln, vor allem in Fruchtjoghurt oder Orangensaft. Und das ist nur ein kleines Segment.

Ein klassischer Rewe- oder Edeka-Supermarkt führt knapp 10.800 verschiedene Artikel. Und durch die oft klein geschriebene Nährwertalgebra auf der Rückseite der Packungen steigen wohl nur die wenigsten durch. Im Schnitt essen die Deutschen pro Tag 100 Gramm Zucker, das sind 24 Teelöffel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät, sich auf 6 Teelöffel zu beschränken. Beim Salz sieht es nur wenig besser aus. Davon essen in Deutschland Männer 10 Gramm am Tag, Frauen 8,4 Gramm. Die WHO empfiehlt 5 Gramm, also einen gestrichenen Teelöffel.

Die Ernährungsbranche steht unter Druck. Das zeigt sich in Frankreich. Dort verlangen Supermarktketten wie Carrefour, Auchan oder Intermarché, dass peu à peu ein Nutri-Score die Verpackungen ziert. Sie müssen ihre Produktion dafür nicht umstellen, keine Rezepturen neu erfinden. Ihnen kann im Grunde egal sein kann, was sie verkaufen, solange sie es verkaufen. Und Kunden werden aufmerksamer.

Foto: Montage: taz

In einer Forsa-Umfrage für den Ernährungsreport 2019, den Bundesagrarministerin Julia Klöckner in dieser Woche vorgestellt hat, gaben 84 Prozent der Bürger an, großen Wert auf Angaben zu Inhalts- und Zusatzstoffen zu legen. Lebensmittelexpertin Carolin Krieger vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, dem vzbv, fordert deshalb Hersteller auf, es Danone gleich zu tun: „Aber nicht mit immer neuen Kennzeichnungen. Wir brauchen eine einheitliche Lösung.“

Julia Klöckner istgern skeptisch

Immerhin: Die großen Konzerne Nestlé, Mondelēz oder Unilever wollten sich eigentlich eine eigene Ampel ausdenken, nannten das Modell „Evolved Nutrition Labelling“, schlossen dafür mit Coca-Cola, Pepsi und Mars eigens eine Allianz. „Selbst eine Süßigkeit wie die Nutella von Ferrero, die zu mehr als der Hälfte aus Zucker und zu knapp einem Drittel aus Fett besteht, hätte keine rote Ampel bekommen“, sagt Foodwatch-Expertin Molling. Im November stoppten die Unternehmen die Initiative. Unilever räumt ein, dass die „Unterstützung“ gefehlt habe. Nestlé erklärt, dass die EU-Kommission nun im „Dialog“ ein „einheitliches System für die freiwillige Nährwertkennzeichnung“ definieren solle.

Molling wird sich am kommenden Mittwoch in diesen Dialog einmischen. Länder wie Belgien oder Spanien hat sie mittlerweile auf ihrer Seite. Die haben schon im vergangenen Jahr Nutri-Score-Modelle eingeführt.

Und Deutschland? Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) will bis zum Sommer ein Modell vorlegen, äußert sich aber gern skeptisch gegenüber vereinfachten Darstellungen. Besonders eigenwillig ist ein Vorschlag der Italiener: Sie wollen ein Bild in Form einer Batterie, die umso voller sein soll, je mehr Zucker im Produkt ist. Tatsächlich würde das wohl kaum einer als Warnung verstehen, eher als plumpe Reklame: „Ausgebrannt? Hiermit lädst du deinen Akku wieder auf!“ Dann lieber das Fischstäbchen-ABC.

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