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„Wir müssen den Kapitalismus managen“

Wir sind dem Finanzkapitalismus nicht ausgeliefert, sondern wir liefern uns ihm aus, wenn wir die Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft nicht politisch definieren: Für ihr Engagement erhielt Ann Pettifor im Dezember den Hannah-Ahrendt-Preis, der von der Bremer Heinrich-Böll-Stiftung und dem Bremer Senat vergeben wird

Interview Klaus Wolschner

taz: Frau Pettifor, viele Ökonomen prognostizieren den nächsten Finanzcrash, Krisen über Krisen prägen unser Bild vom Kapitalismus – wäre nicht der Sozialismus eine Alternative?

Ann Pettifor: Ich bin eine Sozialistin, ich streite für soziale Gerechtigkeit. Aber ich bin Realist, ich weiß, wir leben in einer globalisierten kapitalistischen Welt, der Sozialismus liegt in weiter Ferne. Aber es gibt eine Möglichkeit, den Kapitalismus so zu managen, dass er weniger destruktiv wirkt. Wir haben das gemacht und wir können das wieder tun. Wir dürfen der unsichtbaren Hand des Marktes nicht die großen Entscheidungen überlassen über unsere Gesellschaft. Die Gesellschaft muss den Markt managen und regulieren.

Die Erfahrungen der realen sozialistischen Länder, die versucht haben, den Kapitalismus zu managen, sind gescheitert.

Richtig. Ich bin keine Kommunistin. Auch Venezuela wäre ein Beispiel für eine gescheiterte Wirtschaftspolitik, die sich selbst als sozialistisch beschrieben hat. Ich beziehe mich auf die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, von 1945 bis 1971. Da gab es mehr soziale Gerechtigkeit als heute. Nicht in den sowjetischen Ländern, aber in den westlichen Ländern. Die Wirtschaft war stabiler als heute, es gab weniger Ungleichheit und Polarisierung als heute. Alle Geschichtsbücher beschreiben diese Zeit als das goldene Zeitalter der Ökonomie. Dahin möchte ich zurück, das wäre für mich ein Fortschritt.

Die Gesellschaft soll die Finanz-Ökonomie managen, sagen Sie – das heißt: die politische Administration. Eine staatliche Bürokratie soll die Banker kontrollieren?

Ich verwende nicht das Wort Kontrolle, ich spreche von managen. Der Chef von Apple würde niemals zulassen, dass sein Konzern von der unsichtbaren Hand des Marktes gesteuert würde, er will sein Unternehmen managen. Wenn die Gesellschaft in diesem Sinne die Ökonomie managen will, muss sie Politiker wählen. Ich bin Demokratin. Sicherlich, manchmal geraten die Bürokraten außer Kontrolle, manchmal geben die Politiker ihnen aber auch zu viel Macht. Dann muss die Gesellschaft zu den Politikern sagen: Nein.

Wie geht das?

Die Finanzpolitik ist nicht undurchschaubar, sondern eine Materie, die für alle zugänglich sein sollte. Wir müssen darüber diskutieren lernen, damit wir das System endlich ändern können. Das ist meine Mission. Ich gebe ihnen ein Beispiel. Ich habe „Jubilee 2000“ geleitet, eine Kampagne zur Begrenzung der Schulden der ärmsten Länder. Viele Leute kamen da und haben das unterstützt. Sie wollten nach Washington kommen und vor dem Internationalen Währungsfonds demonstrieren. Ich habe gesagt: Nein. Ihr habt keinen direkten Einfluss auf die Bürokratie des IWF. Ihr müsst euch an die Politiker wenden, die den IWF beaufsichtigen sollen. Die Gesellschaft gibt den Politikern ein Mandat.

Heute repräsentiert Donald Trump in diesem Sinne die Bevölkerung der USA. Braucht die Trump-Administration für seine Machtpolitik mehr Instrumente über den Markt?

Trump repräsentiert einen großen Teil der Gesellschaft, sicherlich. Er repräsentiert die ängstliche Bevölkerung, Menschen, die verunsichert sind durch die Wirtschaftskrise. Die Banken wurden gerettet, der Bevölkerung wurde Austerity verordnet und ihr wurde gesagt, sie müsse Opfer bringen. Die Löhne sind heute noch niedriger als vor der Krise. Einfache Menschen haben ihre Wohnungen verloren, sie sehen ihre Jobs bedroht von der chinesischen Konkurrenz, und in Washington geht es den Banken so gut wie zuvor. Schon Karl Polanyi hat in den 1930ern erklärt, dass die einfachen Menschen einen starken Mann wählen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie Schutz brauchen. Das ist eine Reaktion auf eine unregulierte Ökonomie. Der starke Mann verspricht, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten und gegen die Chinesen zu kämpfen. In Frankreich erleben wir den Aufstand von ähnlich Benachteiligten.

Die Verfechter eines demokratisch gemanagten Kapitalismus, in dem genug Kredite für ökologische Ziele vorhanden sind, haben die Bevölkerung nicht überzeugen können …

… und die Wahl eines autoritären Führers löst die Probleme für die Bevölkerung nicht, sondern verschlimmert sie. Diese Erfahrung werden die Menschen machen. In den USA und in Großbritannien sind die Pensionen weitgehend privatisiert, das Geld liegt bei Schattenbanken. Die spekulieren damit. Was machen sie genau mit den Pensionen? Niemand weiß es, es gibt keine Transparenz. Und keine Kontrolle. Mister Blackrock managt sechs Milliarden Dollar solcher Gelder. Was wissen wir über Blackrock?

Was muss man tun, damit die verunsicherten Menschen nicht Trump wählen, sondern die Freunde von Pettifor?

Wir haben darauf gesetzt, dass Politiker, die sich Sozialdemokraten nennen, für die Mehrheit der Bevölkerung handeln. Aber sie haben sich von den Lobbyisten der Banken kaufen lassen. Deswegen hat die Sozialdemokratie das Vertrauen verloren. Die Sozialdemokratie zerstört sich selbst. In Frankreich haben sie ihre historische Parteizentrale in Paris verkauft, sie existieren dort nicht mehr. Wohin sollen die Gelbjacken gehen? Emmanuel Macron kommt von Goldman Sachs. Tony Blair wurde nach seinem Rücktritt für zwei Millionen Pfund Sterling Jahresgehalt Berater der amerikanischen Investmentbank JP Morgan. Wir müssen Politiker suchen, die nicht von den Banken in die Tasche gesteckt werden. Die Sozialdemokratie hat ein Vakuum hinterlassen. Ich hoffe, dass es wieder genuine Sozialdemokratien geben wird. Ob die Grünen diese Lücke füllen können?

Wird es in den nächsten drei Jahren wieder eine große Finanzkrise geben?

Ich habe in Paris vor einer Versammlung von 500 Asset-Bankern gesprochen. Denen wurde diese Frage gestellt und 55 Prozent haben dazu Ja gesagt. Das System ist nach wie vor instabil und krisenanfällig. Es gibt eine exzessive Entwicklung der Kredite und der Schulden, vielleicht sogar schlimmer als 2007. Damals beliefen sich die globalen Schulden auf weniger als 300 Prozent des Bruttosozialproduktes, heute sind es deutlich mehr als 300 Prozent. Gleichzeitig sind durch Neoliberalismus und Austerity die Löhne gedrückt worden.

Aber die Finanzwelt ist globalisiert, wie können Gesellschaften sie managen?

Wenn man demokratische Politik machen will, braucht man Grenzen. Wenn Sie ein Strafrecht haben, gilt das innerhalb der Grenzen. Wenn Sie soziale Hilfen haben, gelten die innerhalb der Grenzen. Aber das Kapital hasst Grenzen. Sie wollen sich heute in Hongkong Geld besorgen und es in Brasilien zu hohen Zinsen ausleihen. Wir können das Geldsystem nur managen innerhalb bestimmter festgelegter Grenzen.

Was wären die Grenzen – Europa oder Germany?

Ann Pettifor

geboren 1947 in Südafrika, ist eine englische Ökonomin. Die streitbare Wissenschaftlerin war mit ihrem eloquenten Sachverstand eine Begründerin der „Jubilee 2000“-Kampagne, die weltweit die Streichung der Schulden der ärmsten Länder forderte. 70.000 Menschen umzingelten 1998 den G8-Gipfel in Birmingham. 1999 hatte die Kampagne einen großen Erfolg, als der Kölner G8-Gipfel den 18 ärmsten Ländern rund 100 Milliarden Dollar erließ. Im Jahre 2006 veröffentlichte Pettifor ein Buch, das sich im Rückblick wie eine Prognose der großen Schuldenkrise liest. Titel: „The Coming First World Debt Crisis“.

Im Herbst 2018 wurde Ann Pettifor in Bremen für ihr Buch „Die Produktion des Geldes“ mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet, weil sie im Sinne Hannah Arendts das Primat der Politik über die Ökonomie fordert.

Es sind die Grenzen, die wir wählen. Wir können nationale Grenzen wählen oder zum Beispiel europäische. Es dürfte schwierig sein, es auf europäischer Ebene zu managen, aber für bestimmte Fragen ist es möglich. Ich glaube an nationale Autonomie und internationale Kooperation. Wir müssen die Kapitaltransaktionssteuer gegen die Lobby der Finanzwirtschaft durchsetzen und dann über nationales Finanzmarkt-Management reden. Unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Kon­trolle sind die Grenzen wichtig. Die Bevölkerung will ihre Politiker kennen, sonst gibt es kein Vertrauen, das geht auf globaler Ebene nicht.

Der Brexit könnte nationale Kontrolle ermöglichen?

Nein, ich bin tief besorgt über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit. Wir wissen nicht genau, was passieren wird, aber es ist sicherlich eine Art Selbstmord, den freien Handel mit der übrigen Welt zu fordern und den freien Handel mit den 28 Staaten in Europa zu verweigern. Das ist ein echter Quatsch! Die Hoffnung der Brexit-Anhänger ist, dass es eine amerikanische Liberalisierung gibt. Das ist der hässlichste Kapitalismus von allen, weil er unser nationales Gesundheitswesen zerstören wird, unser Engagement für die Sozialsysteme und das soziale Wohlergehen.

Sie haben einen offenen Brief an Jeremy Corbyn geschrieben, den Chef der britischen Labour-Party …

… und habe dafür geworben, dass wir mit einer Kampagne für einen grünen New Deal die Austerity-Sparpolitik beenden. Dafür brauchen wir eine parteiübergreifende Allianz britischer Abgeordneter, auch mit Grünen, Liberaldemokraten und einigen Konservativen. Wir brauchen Investitionen für die Schaffung qualifizierter, gut bezahlter Arbeitsplätze in Wirtschaftsbereichen, die sowohl für die Wirtschaft als auch für die Ökologie von entscheidender Bedeutung sind. Dazu gehört eine höhere Energieeffizienz. In Großbritannien sind Investitionen gegen den Klimawandel ganz wesentliche Investitionen für die Zukunft, insbesondere in den hochwassergefährdeten Gebieten.

Corbyn ist nicht so klar, wenn es um den Brexit geht.

Aber die Mitglieder von Labour sind es. Darauf setze ich meine Hoffnung.

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