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Kommentar Urteil zu Stickoxid-MessungenGrenzwert ist Grenzwert

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Das EU-Gericht rügt die Aufweichung der Abgasgrenzwerte. Politik und Industrie müssen endlich begreifen, dass es saubere Autos braucht.

Die Politik ist nicht in der Lage, den dreisten Forderungen der Autolobby zu widerstehen Foto: dpa

S chon wieder muss es die Justiz regeln: Das EU-Gericht hat entschieden, dass die EU-Kommission die Abgasgrenzwerte für Dieselfahrzeuge unzulässig aufgeweicht hat. Das ist eine gute Nachricht. Sofern das Urteil rechtskräftig wird, müssen neue Dieselfahrzeuge dann in Zukunft tatsächlich den vorgeschriebenen Grenzwert von 80 Milligramm NO2 pro Kilometer einhalten.

Bisher gilt dieser Wert nämlich nur auf dem Papier. Denn die EU hat zwar die Abgasmessungen kürzlich vom Labor auf die Straße verlegt, um allzu krasse Manipulationen künftig zu vermeiden. Doch die Autolobby hielt es für eine Zumutung, die seit elf Jahren bekannten Grenzwerte plötzlich im realen Betrieb einhalten zu müssen – und lobbyierte darum erfolgreich für eine neue Ausnahme: Anfangs dürfen ihre Diesel mehr als doppelt so viel Stickoxid ausstoßen, später 50 Prozent mehr als eigentlich vorgeschrieben. Begründet wurde diese dauerhafte, drastische Aufweichung mit angeblichen „Mess­ungenauigkeiten“.

Dass es überhaupt ein Gerichts­urteil braucht, um eine so offensichtliche Absurdität zu stoppen, ist ein bedenkliches Zeichen. Offenbar ist die Politik inzwischen weder in Deutschland noch auf EU-Ebene mehr in der Lage, den dreisten Forderungen der Autolobby von sich aus zu widerstehen. Allein die Richter sind noch in der Lage, das Selbstverständliche festzustellen: Grenzwert ist Grenzwert.

Das sollte auch die deutsche Bundesregierung zur Kenntnis nehmen. Sie hat nicht nur in Brüssel intensiv für die Aufweichung gekämpft, die das Gericht nun für unzulässig erklärt hat. Sie will außerdem Fahrverbote in deutschen Städten gern verhindern, indem sie diese bei Grenzwertüberschreitungen bis 20 Prozent per Gesetz für unverhältnismäßig erklärt.

Auch das dürfte vor Gericht keine Chance haben. Politik und Industrie sollten allmählich begreifen: Lösen lässt sich das Abgasproblem nicht mit immer neuen Tricks, sondern nur mit sauberen Autos.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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8 Kommentare

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  • Ein Hoch auf die Gewaltenteilung. Prost!

  • lösen lässt sich das Abgasproblem nicht mit sauberen Autos, die gibt´s nicht. Siehe Feinstaub, nur mit drastisch weniger Autos gibt Sinn, dann natürlich ohne Verbrenner

  • Was sind eigentlich saubere Autos?

  • Dieses Urteil ist tatsächlich eine gute Nachricht. Es bedeutet, dass wenigstens unsere Gerichte noch ab und an das tun, was sie tun sollen: für Gleich-Berechtigung sorgen.

    Ohne Gerechtigkeit bleibt nur die Gewalt. Und Gewalt gibt es meiner Ansicht nach längst schon genug in diesem Land. „Die Politik“, „die Medien“ und "die Behörden" haben ihre Glaubwürdigkeit bereits verloren. Wenn nun auch noch „die Gerichte“ ihre einbüßen, war‘s das mit der mehr oder weniger sozialen Marktwirtschaft auf deutschem Boden. Dann gilt hier wieder das unbeschnittene Recht des Stärkeren. Die Mehrheit der Deutschen kann das nicht wollen.

    Die Argumentation der Diesel-Produzenten ist übrigens Blödsinn. „Anfangs“ ist für Autos, die nicht erst seit heute verkauft werden, immer schon „später“. Die Idee, die da ins Parlament „lobbyiert“ wurde, ist also eine Art Wirtschaftsförderungs-Programm. Alle Autos, die nicht nach dem 01.01.2019 verkauft werden, sind böse und müssen eingestampft werden. Und zwar unabhängig davon, ob sie 81 mg NO2 pro Kilometer ausstoßen, 120 mg oder 160 mg. Gut sind nur Autos, die die eingestampften ersetzen. Und zwar ebenfalls unabhängig davon, ob sie nun 81 mg NO2 pro Kilometer ausstoßen, 120 mg oder 160 mg.

    So wird das nie was mit den beschlossenen Klimazielen. Ja, dass wieder ein Gericht diese „Notbremse“ ziehen musste, ist tatsächlich ein schlechtes Zeichen. Es bedeutet nämlich, dass „die Politik“ inzwischen vollkommen willkürlich entscheidet und dabei nicht einmal mehr ihren eigenen Verstand gebraucht. Auf Widersprüche und darauf, jedenfalls, wie diese Widersprüche beim Wähler ankommen, nimmt sie im Zweifel keinerlei Rücksicht mehr. Vermutlich, weil sie den Wähler für zu blöde oder zu feige hält, sich was daraus zu machen.

    Aufklärung? War offenbar nur ein theoretisches Konzept abgehobener Philosophen. Heute gilt die Losung: Trickser aller Länder, vereinigt euch! Schade eigentlich. Ich hätte uns Menschen mehr zugetraut als einem x-beliebigen Rabenvogel.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Was hat der NOx Ausstoß mit dem Klima zu tun?

  • Es ist eine Unverschämtheit der Autoindustrie sich weiterhin zu weigern, saubere Diesel zu bauen, obwohl sie schon seit etwa 25 Jahren die technischen Möglichkeiten dazu hätten!



    Schon in den 1980igern hatte VW einen Diesel vorgestellt, der nicht nur sehr wenig verbraucht, sondern auch sehr wenig CO² und auch sehr wenig NOX ausstieß!



    Damals arbeitete ich selbst noch in der Autoindustrie und war bei der Präsentation anwesend, weshalb es mich in den letzten Jahren immer wieder sehr wunderte, dass diese Techniken nicht umgesetzt wurden!

    Wahrscheinlich liegt es, wie üblich, am Geld, denn wie es in der Autoindustrie üblich ist, wird zu aller erst die Technik ausgeschöpft, die den niedrigsten finanziellen Aufwand verspricht und dafür wird die Lobby eingesetzt, eben höhere Grenzwerte solange zu umgehen, wie möglich, damit sich das Alte erst richtig amortisiert, bevor die neuesten Techniken auch wirklich auf dem Markt angeboten werden!

    Würde die deutsche und inzwischen auch die europäische Politik sich dazu durchringen, die Grenzwerte auch als absolut und endgültig als gegeben festsetzen, wäre die Wirtschaft, die Industrie und das Aktienkapital gezwungen, die Techniken einzusetzen, die den erwünschten Erfolg versprechen!



    Es ist ja nicht nur die Autoindustrie, die sich wehrt neueste Techniken anzuwenden, sondern das zieht sich durch alle Bereiche der technischen Innovationen zur Reinhaltung der Umwelt, denn es ist in jeder Branche Teuer, wenn die althergebrachte Technik ausgetauscht werden muss, bevor sie sich für die Anleger ausreichend amortisiert hat!

    Wie in allen Anliegen der Witschaft, der Industrie und des Aktien Kapitals, setzt die Regierung ungern die Daumenschrauben an, da sie mit dem Abbau von Arbeitsplätzen erpressbar ist, obwohl es in Zeiten des Klimawandels unbedingt nötig geworden ist, dass die Regierungen, überall auf der Welt, beginnen mehr Rücksicht auf das Klima als auf die Erträge der Reichen zu nehmen!

    Ein Umdenken ist unbedingt angesagt!!!

  • Befehl ist Befehl!

    Die Grenzwerte sind an den Haaren herbeigezogen, dass ist das eigentliche Problem. Und ja: Es ist eine Zumutung erst auf einen Teststand abzustellen und dann den selben Grenzwert im Realbetrieb, in jeder Situation zu verlangen (also auch bergauf bei 20% Steigen, wenn es auch höchstens 100km solcher Straßen in Europa gibt).

    Dieser ganze Mist geht zu Lasten des CO2 Ausstoßes. Jetzt schon steigt dieser, da die Leute Benziner kaufen, die mehr co2 ausstoßen als Diesel. Aber Hauptsache es wurde ein unsinnger Grenzwert eingehalten. Mit unsinnig meine ich, dass dieser politisch und nicht wissenschaftlich begründet ist. Selbst in der taz war zu lesen, dass der Grenzwert gerissen wird, wenn man im Wohnraum nur ein Teelicht anzündet. Vielleicht sollten wir zur Weihnachtszeit lieber Kerzen verbieten, wenn das Stickoxid in dieser geringen Konzentration so gefährlich ist.

    Und bevor es mir unterstellt wird: Der Betrug der Autoindustrie mit Softwaremanipulation gehört bestraft und zwar da wo es wehtut: Mit Geldstrafen im Milliardenbereich. Die jetzt erhobenen Grenzwerte treffen aber vor allem die Leute, die sich kein neues Auto leisten können oder aber kaufen müssen und dafür auf andere Sachen verzichten (z.B. Biolebensmittel, etc.). Der Umwelt und der Gesundheit der Menschen ist durch diesen Mist nicht geholfen. Letztlich sind diese Grenzwerte daher nur eine Absatzförderung für die Autoindustrie. Daher mein Ärger!

    • 9G
      91985 (Profil gelöscht)
      @Strolch:

      Sie haben ja so Recht! Mit allem! Phantasiegrenzwerte, Krieg gegen den Diesel zu Lasten der Umwelt und der Dieselbesitzer. Was für ein Schmarrn!