Experte zu Anzeige gegen bin Salman: „Immunität ist die größte Hürde“
Trotz einer Strafanzeige ist Saudi-Arabiens Kronprinz ungehindert zu G20 nach Argentinien gereist. Was jetzt passieren könnte, erklärt Strafrechtler Kai Ambos.
Herr Ambos, Human Rights Watch hat in Argentinien Strafanzeige gegen Mohammed bin Salman gestellt. Der saudi-arabische Kronprinz ist nun zum G20-Gipfel in Argentinien eingetroffen. Was wird nun passieren?
Kai Ambos: Vermutlich nichts.
Die argentinische Justiz bleibt einfach untätig?
Die argentinische Justiz wird die Strafanzeige natürlich prüfen, aber da stellen sich doch einige schwierige Fragen, die sie sicher nicht auf die Schnelle beantworten wird.
Sie meinen eine eventuelle Immunität des Kronprinzen?
Das ist die größte Hürde. Staaten dürfen nach herrschender Ansicht nicht übereinander zu Gericht sitzen. Deshalb ist es völkerrechtlich verboten, gegen das Staatsoberhaupt eines anderen Staates, den Premierminister oder einen anderen wichtigen Minister vorzugehen.
Gilt das auch für bin Salman als Verteidigungsminister und stellvertretenden Premierminister?
Ja. Der Kronprinz ist eine zentrale Figur der saudi-arabischen Regierung und des saudi-arabischen Staates. Er redet beim G20-Gipfel mit den Präsidenten und Regierungschefs der anderen wichtigsten Staaten. An seiner Ranghöhe gibt es keinen Zweifel.
Gilt die Immunität auch bei schweren Verbrechen?
Nach herrschender Ansicht ja. Es gibt aber weltweit eine vordringende Mindermeinung, die bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schweren Kriegsverbrechen eine Ausnahme machen will. Diese Mindermeinung hat in Argentinien durchaus Anhänger. Da könnte es möglicherweise eine Überraschung geben.
Fallen die Taten, für die bin Salman angezeigt wurden, in diese Kategorie?
Da muss man unterscheiden. Die mutmaßliche Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul allein würde nicht genügen. Man müsste sie schon als Teil des Versuchs einstufen, die gesamte saudische Opposition zu eliminieren. Dann könnte dies ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. Einfacher wäre die Annahme einer Immunitätsausnahme wegen Kriegsverbrechen im Jemen, auf die sich die Anzeige ja auch bezieht. Doch auch da müsste konkret benannt werden, auf welche Vorfälle sich die Strafverfolgung beziehen soll. Auch das geht nicht auf die Schnelle.
Spielt es auch eine Rolle, dass Argentinien mit den angezeigten Verbrechen gar nichts zu tun hat?
Der 53-Jährige ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und internationales Strafrecht an der Uni Göttingen. Er leitet dort auch die Forschungsstelle für lateinamerikanisches Straf- und Strafprozessrecht.
Human Rights Watch erklärt, Argentinien habe das so genannte Weltrechtsprinzip in seiner Verfassung verankert. Das Weltrechtsprinzip bedeutet, dass ein Staat für bestimmte Delikte die Strafverfolgung auch dann übernimmt, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und weder Täter noch Opfer einen Bezug zum Staat der Strafverfolgung haben. Ob dieses Prinzip in Argentinien wirklich gilt, ist aber umstritten. Die Verfassung aus dem 19. Jahrhundert ist da nicht so eindeutig. Die argentinische Praxis geht aber davon aus. Daran dürfte eine Strafverfolgung also nicht scheitern.
Wer entscheidet, ob gegen bin Salman ein Verfahren eröffnet wird?
Erforderlich ist im Normalfall, dass ein Bundes-Staatsanwalt die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens beantragt und ein Bundes-Ermittlungsrichter diesem Antrag stattgibt. Da es hier um einen ausländischen Minister geht, muss der Fall aber wohl an den Obersten Gerichtshof Argentiniens verwiesen werden. Auch das dürfte Zeit kosten.
Hätte ein Ermittlungsverfahren automatisch zur Verhaftung des saudischen Kronprinzen geführt?
Auch das nicht. Zwar läge sicher ein Haftgrund vor, nämlich Fluchtgefahr. Erforderlich für einen Haftgrund ist aber auch ein dringender Tatverdacht. Da genügt ein Dossier von Human Rights Watch sicher nicht. Die argentinische Justiz müsste sich erst ein eigenes Bild machen.
Ist die Strafanzeige also völlig sinnlos?
Juristisch wird sie wohl keine Folgen haben, jedenfalls nicht bis zum Ende des G-20-Gipfels am Samstag. Politisch wird aber immerhin eine gewisse Stigmatisierung des saudischen Kronprinzen erreicht.
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