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Die Künstlerin

Sie hatte einen ägyptischen, syrischen, jemenitischen: Pässe sind rassistisch, sagt Lara Ziyad und schreddert Ausweispapiere – aber nur als Kopien – zu Kunst

Lara Ziyad ist arg im Stress. Bis zum Samstag muss sie noch 5.000 Blatt Papier schreddern. Nur vier bis fünf Blätter davon kann sie gleichzeitig in den Aktenvernichter stecken, wo sie zuckend verschwinden. Gleich kommt ihre zehnjährige Tochter vorbei, um zu helfen. „Aber die langweilt sich auch direkt“, winkt die Künstlerin ab.

An diesem Tag im nicht enden wollenden Sommer ist es sonnig draußen vor der Tür, Ziyad steht in ihrer kleinen Galerie in Schöneberg, U-Bahn-Haltestelle Eisenacher Straße. Sie trägt eine kurze Stoffhose und Chucks mit Schnürsenkeln in leuchtendem Orange. Neben ihr liegen zehn Stapel übergroßer Kopien von Dokumenten: Pässe ihrer Mutter, ihres Vaters, von ihr selbst als Kind. In wenigen Tagen präsentiert sie ihr Kunstwerk im Museum Hamburger Bahnhof. Bis dahin müssen all diese Dokumente zu Papierschnipseln werden. „Es ist Zeit, diese Papiere, diese Stempel und Farben aufzugeben“, sagt Lara Ziyad. „Indem ich sie zerstöre, mache ich Kunst aus ihnen.“

Drei Sorten Dokumente

Dokumente spielten in Ziyads Leben eine wichtige Rolle. Als palästinensische Geflüchtete wechselte die Familie ständig ihren Wohnort. „Ich hatte einen ägyptischen Pass, einen syrischen, einen jemenitischen; dann sind wir zurückgekehrt und ich hatte einen palästinensischen, mit dem ich nicht mehr ausreisen durfte“, erzählt Ziyad.

Zudems habe sie verschiedene Dokumente gebraucht, um sich zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten bewegen zu können. „Allein da gibt es drei verschiedene Karten: grün für Leute aus dem Westjordanland, gelb für die mit jordanischem Pass, blau für Leute aus Gaza“, zählt sie auf. Die Überbleibsel davon zieht sie gerade behutsam aus dem Aktenvernichter und legt sie zu den anderen Schnipseln in eine große Plastiktüte. Natürlich werden keine Originale vernichtet.

In Ziyads Performance geht es nicht nur um ihre eigene Identität, sondern um das ganze System der Nationalitäten und Pässe – denn es sei rassistisch, sagt die Künstlerin. „Menschen erhalten Privilegien wegen ihrer Herkunft und nicht, weil sie etwas im Leben erreicht haben.“ In ihrer Performance bedeckt sie den gesamten Raum mit den Schnipseln ihrer eigenen Nationalitätengeschichte. Nur eine Spur bleibt für Roll­stuhlfahrer*innen frei. Dann stellt sie sich mit einem Kopierer und ihrem Aktenvernichter in die Mitte des Raums und lädt die Besucher*innen dazu ein, ihre eigenen Dokumente zu vergrößern und zu vernichten.

„Meine Mutter hatte immer Angst um unsere Dokumente“, erzählt die 36-Jährige mit den kinnlangen schwarzen Locken. „Sie dachte, wenn wir eines verlieren, würden wir ewig brauchen, um es wieder zu beantragen, und dass wir es vielleicht gar nicht mehr bekommen würden.“ Ihre Familie habe daher die zahlreichen Dokumente in einem alten Samsonite-Koffer aufbewahrt. Als Ziyad entschied, diese für ihre Performance in Berlin zu benutzen, musste sie vor ihrer Abreise einige der Dokumente unauffällig mitgehen lassen. „Meine Mutter hätte das nie erlaubt“, sagt sie lachend. Darum habe sie zum Beispiel von drei verschiedenen ägyptischen Dokumenten nur eines mitgenommen.

An der Ausreise gehindert

Ziyads Galerie ist noch etwas spärlich eingerichtet, seit März arbeitet sie hier. Außer ihr und dem Aktenvernichter befinden sich ein Tisch und ein Stuhl in der Mitte des Raumes. Die Wände sind bedeckt mit Zeichnungen, ein großes Bild einer nackten Frau: mit Bleistift skizziert, nur teilweise ausgemalt, das Gesicht noch ausdruckslos.

Zehn Jahre hat Ziyad im Westjordanland als Architektin gearbeitet, bevor sie sich traute, ihrer eigentlichen Leidenschaft, der Kunst, nachzugehen. 2013 beschloss sie, im Ausland Kunst zu studieren, wurde aber mehrere Jahre von den israelischen Behörden an der Ausreise gehindert. Warum, weiß sie bis heute nicht. So begann sie in Ramallah zu studieren, bis sie sich erfolgreich gegen das Ausreiseverbot gewehrt hatte. Dann nutzte sie die Gelegenheit, das Land mit einem Studentinnensisum zu verlassen, und bewarb sich an der Akademie der Künste in Berlin, wo sie im nächsten Jahr das Studium anfängt.

Lara Ziyad hat ihr Leben lang als Flüchtling gelebt, mehrfach die Nationalität und den Wohnort gewechselt. Nun, in Berlin, ist sie staatenlos. Wie viele Palästinenser*innen als Staatenlose in Berlin leben, ist nicht bekannt, da sie im Bericht des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg entweder unter den 145 registrierten Palästinenser*innen gelistet sind oder unter den 21.168 Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Weitere fallen in die Kategorie „Sonstiges Asien“.

Für Ziyad ist Berlin ihr neues Zuhause geworden. „Ich liebe Berlin und habe das Gefühl, hierherzugehören“, sagt sie. „Aber manchmal denke ich mir: Ach, warum haben die hier nicht die Löwen, die auf dem Manarah-Platz stehen? Oder den Falafel-Laden, den ich so mag?“ Dann wiederum sehe sie in Berlin etwas, was es in Ramallah geben müsste: die öffentlichen Verkehrsmittel zum Beispiel oder die vielen Grünflächen. „Und wenn die Menschen dort genauso akzeptieren könnten, dass man sich in der Öffentlichkeit anzieht und verhält, wie man will – dann wäre Ramallah ein Paradies für mich.“ Als nächstes Kunstprojekt plant sie, eine Traumstadt zu entwerfen, eine Mischung aus Berlin und Ramallah.

Ziyads Kunst kommt gut an hier, gerade wurde sie zum dritten Mal von einer Galerie angefragt. Vor lauter Arbeit hatte sie noch keine Zeit, Deutsch zu lernen. „Die Kunstszene in Berlin ist akademischer und professioneller als in Ramallah“, sagt Ziyad in gebrochenem Englisch. Dort komme es mehr darauf an, wen man kenne und mit wem man befreundet sei. Hier dagegen müsse sie keine Kontakte pflegen, sondern einfach die Bewerbungen vorbereiten und abschicken.

Probleme wegen der politischen Inhalte ihrer Kunst hat sie bisher keine bekommen. „Ich sage ja nicht, dass ich Israel hasse, sondern thematisiere ganz bestimmte Probleme, die unbestreitbar existieren“, sagt Ziyad. „Dass Gaza und das Westjordanland nicht miteinander verbunden sind oder dass ich staatenlos bin, das habe ich mir ja nicht ausgedacht.“

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