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Ein Kampf um jede Stimme

Misstrauen, Streit und Manipulationsvorwürfe vergiften das politische Klima: Nach den Halbzeitwahlen in den USA steht das offizielle Endergebnis in mehreren Bundesstaaten immer noch aus

Aus New York Dorothea Hahn

„Sperrt sie ein“, skandieren wütende RepublikanerInnen am Samstag vor der Tür des Wahlbüros in Broward County in Süd-Florida. Sie tragen rote Schirmmützen mit der Aufschrift „Make America Great Again“, schwenken Schilder mit der Aufschrift: „Trump 2020“. Die Wahlleiterin des Countys, die im Inneren des Gebäudes Stimmzettel auswertet, sei eine „Betrügerin“, schimpfen sie.

Von Paris aus schüttet Präsident Donald Trump zusätzlich Öl ins Feuer. Nachdem er seinen Besuch auf einem Grabfeld für im Ersten Weltkrieg gefallene US-Soldaten wegen regnerischen Wetters in Frankreich abgesagt hatte, tweetet er nach Florida: „Sie wollen den Sozialisten Gillum als Gouverneur einsetzen.“

Vier Tage nach den in den USA Midterms genannten Halbzeitwahlen ist die Stimmung in Florida aufgewühlt. DemokratInnen glauben, dass die Abstimmung manipuliert war und sie deshalb verloren haben. RepublikanerInnen zittern vor dem Verlust ihrer bereits sicher geglaubten Wahlsiege.

Am Samstagnachmittag hat der für die Organisation von Wahlen zuständige Staatssekretär Ken Detzner in Florida entschieden, die Stimmen für die Gouverneurs- und US-Senatswahlen und für das Amt der LandwirtschaftskommissarIn maschinell erneut auszählen zu lassen.

Der Grund: Zwischen dem Ergebnis des Wahlsiegers und dem zweiten Platz liegen in allen drei Fällen weniger als 0,5 Prozent. Sollte der Abstand nach der Neuauszählung unter 0,25 Prozent schrumpfen, müssen die Stimmzettel noch einmal per Hand überprüft werden. Dieses Vorgehen ist in Florida gesetzlich für den Fall vorgesehen, dass die Verlierer das Ergebnis nicht akzeptieren.

Der selbsternannte Gewinner des Senatssitzes, Rick Scott, hat seinen demokratischen Widersacher Bill Nelson seit dem Wahltag wiederholt aufgefordert, seine Niederlage einzugestehen. Nelson hat – nach gegenwärtigem Stand – 12.500 Stimmen (oder 0,15 Prozent) weniger als der Republikaner Scott erhalten. Der Demokrat besteht jedoch darauf, dass der „demokratische Prozess“ eingehalten und jede Stimme gezählt wird. Er hat einen prominenten Anwalt aus Washington engagiert, der jetzt gerichtlich dagegen vorgeht, dass Tausende von Stimmzetteln abgelehnt wurden, weil Unterschriften, die WählerInnen mit dem Finger auf einen Display schreiben mussten, nicht mit anderen offiziellen Dokumenten übereinstimmen.

Trump schüttet zusätzlich Öl ins Feuer: „Sie wollen den Sozialisten Gillum als Gouverneur einsetzen“

Betroffen davon sind überwiegend AfroamerikanerInnen, die wiederum mehrheitlich demokratisch wählen. Nelsons Anwalt Marc Elias argumentiert, die WahlhelferInnen seien nicht kompetent genug für die Beurteilung der Unterschriften – und daher seien legitime Wählerstimmen abgelehnt worden.

Der zweite betroffene Demokrat ist Andrew Gillum. Ihn hatten viele Meinungsforscher bereits als ersten afroamerikanischen Gouverneur Floridas gesehen. Am Wahlabend hat er seine Niederlage eingestanden, sich später aber korrigiert und „ohne Wenn und Aber“ eine neue Auszählung verlangt. Er liegt nach gegenwärtigem Stand 34.000 Stimmen (oder 0,41 Prozent) hinter dem Trump-Protegé Ron DeSantis.

Die republikanischen Wahlkämpfer haben sich bis zuletzt gegen eine Neuauszählung gewehrt – und sind zugleich selbst vor Gericht gezogen. Unter anderem werfen sie der Wahlleiterin Brenda Snipes im mehrheitlich demokratischen Broward County vor, nachträglich Stimmzettel ausgefüllt zu haben. Die Wahlbehörden in Broward County und in dem benachbarten Palm Beach County müssen nun auf gerichtliche Anordnung hin Stimmzettel zur Überprüfung vorlegen.

„Florida ist wieder einmal Florida“, kommentierte Charlie Crist, ein früherer Gouverneur des Bundesstaates. Die 21 Millionen EinwohnerInnen entscheiden bei Wahlen nicht selten sehr knapp. Vor 18 Jahren hatte das enorme Konsequenzen: Damals bekam George W. Bush in Florida nur 537 Stimmen mehr als Al Gore. Das oberste Gericht der USA stoppte die Neuauszählung in Florida – und Bush wurde Präsident der USA.

Nach diesen Midterms ist Florida aber nicht der einzige Bundesstaat, in dem immer noch offizielle Resultate fehlen. In Arizona etwa haben zwei Frauen um den Senatssitz des moderaten Republikaners Jeff Flake gekämpft, der angesichts des Aufstiegs von Trump und seiner radikalen AnhängerInnen das Handtuch geworfen hat. Am Wochenende hatte die Demokratin Kyrsten Sinema einen Vorsprung von fast 30.000 Stimmen. Doch die Briefwahlscheine aus den konservativsten ländlichen Gebieten waren noch nicht ausgewertet, daher könnte die Republikanerin Martha McSally sie noch überholen. Am härtesten wird derzeit im Südstaat Georgia gestritten: Dort war der Republikaner Brian Kemp in seiner bisherigen Eigenschaft als Staatssekretär acht Jahre lang oberster Wahlleiter. Er blieb auch noch im Amt, als er selber kandidierte, und trat erst nach den Midterms, am vergangenen Donnerstag, zurück. Als Staatssekretär hat Kemp mehr als 1.4 Millionen Personen aus dem Wählerregister gestrichen – unter anderem, weil sie mehr als drei Jahre lang nicht gewählt hatten oder angeblich nicht mehr in Georgia wohnten.

53.000 WählerInnen, die sich in den Monaten vor den Midterms in das Wählerregister eintragen lassen wollten, lehnte er ab – weil etwa in ihren Namen ein Apostroph oder Bindestrich oder die Unterschrift nicht mit anderen Dokumenten übereinstimmte. Er hat die Grenzen der Wahlkreise zugunsten der RepublikanerInnen neu gezeichnet und 214 Wahlbüros geschlossen. All das traf vorrangig AfroamerikanerInnen und Latinos, weshalb BürgerrechtlerInnen ihm schon vor den Wahlen Manipulationen vorwarfen. Kemp, der die Unterstützung von Trump genießt, erklärte sich gleich am Dienstag zum Gewinner der Gouverneurswahlen.

Weder die Demokratin Stacey Abrams noch die großen regionalen und nationalen Medien haben seinen Wahlsieg anerkannt. Nach gegenwärtigem Stand hat er 50,4 Prozent erhalten – 63.000 Stimmen mehr als Abrams. Die Demokratin argumentiert jedoch, dass Zigtausende Stimmen noch nicht ausgewertet sind – weil die Briefwahlstimmen wegen Hurrikan „Michael“ erst verspätet eingegangen sind oder weil die Behörden bei Tausenden ErstwählerInnen noch nicht sicher sind, ob sie ihre Eintragung ins Wählerregister akzeptieren. Sollte Kemp am Ende der Auszählung unter 50 Prozent rutschen, wäre eine Stichwahl nötig. So sieht es das Gesetz in Georgia vor.

Kemp nennt Abrams Insistieren eine „Schande für die Demokratie“. Aber Mitglieder von Bürgerrechtsgruppen, die am Samstag in Atlanta demonstrierten, appellierten an Abrams, nicht aufzugeben: „Kämpfe weiter“, skandierten sie. Sollte es zu einer Stichwahl am 4. Dezember kommen und sollte Abrams siegen, wäre die 44-Jährige die erste afroamerikanische Frau an der Spitze eines Bundesstaates der USA.

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