ZDF-Serie „Die Protokollantin“: Die einsame Katzenfrau
In der düsteren Miniserie mit Iris Berben stellt das ZDF eine ungewohnte weibliche Hauptfigur ins Zentrum. Dass es sowas gibt, ist auch #MeToo zu verdanken.
Immer wieder steht die Frau an der Fußgängerampel. Sie hält Abstand zu den anderen Passanten. Bei Grün wartet sie ab, bis die Menge wie eine Herde die Straße überquert und folgt mit erheblichem Abstand. Eine eindeutige visuelle Metapher, um die Figur der Freya Becker (Iris Berben) zu etablieren, die isoliert von der Gesellschaft lebt. Die Protokollantin ist auch beim LKA Berlin eine unscheinbare Außenseiterin, die aber ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Als sie mit einem neuen Fall konfrontiert wird, muss sie ihre eigene Geschichte erneut durchleben: der mutmaßliche Mörder ihrer Tochter Marie wird entlassen.
„Vor fünf Jahren wäre so eine Serie in Deutschland inhaltlich nicht möglich gewesen“, meint Produzent Oliver Berben zur ZDF-Miniserie „Die Protokollantin“ mit Iris Berben als ungewohnt zwielichtige Hauptfigur. „Wie weit man gehen und was man dem Zuschauer zumuten kann, wird immer wieder hinterfragt“, sagt er. Auch die zuständigen Redakteurinnen Caroline von Senden und Alexandra Staib gehen in ihrem Statement auf den „Spagat“ ein, den der Sender mit der fünfteiligen Produktion habe machen müssen: „Eine Titelheldin über 60, die einsam mit ihrer Katze lebt, ungeschminkt zur Arbeit geht.“
Für „Die Protokollantin“ will man einen neuen Sendeplatz für deutsche Serien am späten Samstagabend etablieren. Das ist deshalb besonders, weil hier nun einstündige serielle Geschichten stattfinden können, die „horizontal“, also durchgängig und episodenübergreifend, erzählt werden können. International ist das längst Standard, im deutschen Fernsehen tut man sich damit noch schwer.
„Die öffentlich-rechtlichen Sender sind mittlerweile auch an einem Punkt, an dem sie genau wissen, dass da neue Wege beschritten werden müssen. Das ist kein kreativer Geistesblitz, sondern pure Logik. Es muss einfach etwas passieren und das kommt solch ‚ambivalenten‘ und besonderen Filmemachern wie Nina Grosse zugute, die mit demselben Stoff und derselben Intention und Leidenschaft noch vor fünf Jahren gegen geschlossene Türen gerannt wäre“, meint Moritz Bleibtreu, der den Bruder der Titelfigur spielt.
Keine radikal neue Serienerfahrung
Nach einer Idee von Krimiautor Friedrich Ani hat die etablierte Regisseurin Nina Grosse die Drehbücher entwickelt und mit Samira Radsi umgesetzt. Trotz eines Stars wie Berben als Zugpferd und langjähriger Erfahrung mit öffentlich-rechtlichen Produktionen sei es nicht leicht gewesen, ihre Ideen durchzusetzen, so Grosse: „Überspitzt gesagt, gab es zwei erhebliche No-gos: eine alte Frau als Hauptfigur und dann auch noch eine alte Frau, die böse ist. Doch gleichzeitig war das von Anfang an das Alleinstellungsmerkmal dieser Serie.“
Das ZDF zeigt die fünf Folgen von „Die Protokollantin“ ab dem 20. Oktober immer samstags um 21.45 Uhr und stellt die neuen Episoden jeweils am Freitag zuvor in der Mediathek bereit.
Mit „Die Protokollantin“ geht das ZDF einen Mittelweg. Während die Hauptfigur und vor allem die Erzählperspektive dort ungewöhnlich sind und auch die, über fünf Wochenenden hinweg düster erzählte Geschichte als Experiment gilt, ist es trotzdem keine radikale neue Seherfahrung für das Stammpublikum. Grosse sieht darin hauptsächlich die Chance, eine ungewöhnliche Frauenfigur im deutschen Fernsehen erzählen zu können. Die #MeToo-Debatte habe hier einen wichtigen Emanzipationsschub ausgelöst: „Und der beinhaltet unter anderem auch, dass es für Schauspielerinnen neue, diversere Rollenangebote gibt und dass es hoffentlich immer öfter möglich sein wird, Frauen jenseits von festgefahrenen Stereotypen zu erzählen.“
Für Grosse ist es auch ein Zugeständnis an sie als Filmemacherin. Denn die großen Serienprojekte aus Deutschland, wie „Babylon Berlin“, „4 Blocks“ oder „Bad Banks“ werden selten von Autorinnen erzählt und so gut wie nie von Regisseurinnen inszeniert. Grosse: „Ich bin da leider als Regisseurin und Autorin immer noch eine Ausnahme. Wenn man sich anschaut, welche Serien in diesem Herbst starten, ist das überwiegend immer noch eine reine Männerdomäne.“
So steht „Die Protokollantin“ vielleicht nicht für eine Trendwende, liefert aber zumindest den Beleg dafür, dass eine diversere deutsche TV-Landschaft keine reine Utopie mehr ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren