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Kommentar EU-Beziehungen zu RusslandKeine Missionare, bitte!

Wie können die Chancen für eine Demokratisierung Russlands steigen? Wenn das Land nicht an westlichen Normen gemessen wird.

Keine Klischees, bitte: Kreml bei Nacht Foto: Nikita Karimov / Unsplash

R usslands Rolle in Europa und die russisch-europäischen Beziehungen waren stets ein heikles Thema. Die internationalen Beziehungen werden heute größtenteils unter ideologischen Prämissen und mit Betonung von „Werten“ betrachtet. Doch es sind immer noch harte Interessen, die weltweit die Außenpolitik prägen.

Die EU, Europa und Russland haben viele gemeinsame Interessen, wenn es um Wirtschaft, Politik und vor allem um Sicherheit und Frieden geht. Wir sind Zeugen einer langsamen und wohl unvermeidlichen globalen Verschiebung der wirtschaftlichen und politischen Macht in Richtung Asien und hin zu einer multipolaren Weltordnung. Die Finanzkrise von 2008 hatte weltweite Folgen, aber für den Westen – das Zentrum der alten Weltordnung – stellte sie seine Hegemonie infrage. Sie weckte Zweifel an der Allgemeingültigkeit des neoliberalen Wirtschaftsmodells für die Länder der Peripherie – also all die höchst verschiedenen Gesellschaften, die historisch einem anderen Entwicklungsmodell folgten als der Westen.

Die Krise vertiefte die Widersprüche der neoliberalen Modelle und förderte neonationalistische und rechtspopulistische Antworten auf das Scheitern des Neoliberalismus.

Russland ist als eine wichtige Großmacht der Peripherie Teil dieser Geschichte. Auf die Fehlschläge bei der postsowjetischen Transformation folgten nationalistische Antworten mit autoritärem und konservativem Einschlag. Diese Tendenz verstärkte sich ab 2008. Gleichzeitig bestärkte die Wirtschaftskrise die russische Sichtweise, von innen und außen bedroht zu sein. Das Regime versuchte daraufhin, diesen eingebildeten oder tatsächlichen Bedrohungen entgegenzuwirken. Dies bedeutete auch, die vom Westen und Europa betriebene Festschreibung von Normen offen zurückzuweisen. Die Botschaft ist eindeutig: Russland wird sich nicht demütig dem Westen unterwerfen; es will selbst Normen setzen.

Veronika Sušová-Salminen

ist Vergleichende Geschichtswissenschaftlerin und Politologin aus Tschechien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Russland und Mittelost­europa.

Sie nahm teil am von attac Deutschland veranstalteten Kongress "Ein anderes Europa ist möglich" vom 5. bis 7. Oktober in Kassel (www.ein-anderes-europa.de).

Die Europäische Union gründet auf die Macht von Normen. Man kann auch von „soft power“ sprechen oder von der „Macht der Verführung“ – ein Narrativ, das nicht von politischen oder wirtschaftlichen Beziehungen ausgeht, sondern davon handelt, wie sich die Gesellschaften der Peripherie dem Zentrum angleichen sollen. Dies verleugnet, dass die kapitalistische politische Ökonomie das Gegenteil diktiert – und dass sich die EU eher als ein Motor der Peripherisierung erwiesen hat.

Die Krise der normativen Macht der EU ist mit der Krise von 2008 verknüpft. Aber die Wurzeln liegen tiefer: Der Westen verliert zum einen politische und wirtschaftliche Macht. Die Krise wurde außerdem kurzzeitig durch die neoliberale Wirtschaftsordnung beschleunigt – jenes katastrophale Rezept zum sozialen Ausbluten und dem Untergraben der sozialen Stützpfeiler der Demokratie. Ebendieser Cocktail struktureller Probleme schuf die Voraussetzungen für einen tiefgreifenden Bruch in den Beziehungen der EU wie der USA zu Russland.

Tiefere strukturelle Probleme zeigen sich oft in Äußerungen, die kulturell konnotiert sind, die dann von „unseren“ und „ihren“ Werten handeln oder die eine existenzielle Bedrohung heraufbeschwören. Das kann dann leicht in eine kriegstreiberische Rhetorik eskalieren, die übertüncht, dass man die eigentlichen Probleme nicht angehen will. Antonio Gramsci lag richtig, als er schrieb, dass politische Fragen unlösbar werden, wenn „sie sich als kulturelle verkleiden“. Forderungen nach höherer Sicherheit und die damit einhergehende Politik, Ängste noch zu schüren, sind weitere Symptome der heutigen Krise.

Frieden hängt nicht davon ab, dass alle gleich denken, sondern dass man Meinungsunterschiede erträgt

Die Erweiterung der Nato spielt eine unsägliche Rolle bei den Beziehungen der EU zu Russland, denn sie verstärkt den Konflikt und verschiebt den Fokus auf Militär und Sicherheit. Sie errichtet neue Zäune in Europa. Sie begreift Europas Sicherheit als ein exklusives Privileg, das auf bestimmten Werten und Ideologien beruht, nicht als gemeinsames Gut, für das man über ideologische Differenzen. unterschiedliche politische Systeme und auseinanderlaufende Interessen hinwegsehen muss.

In der postimperialen Welt hängt Frieden nicht davon ab, dass alle gleich denken, sondern dass man Meinungsverschiedenheiten erträgt. Die fortdauernde Verschiebung der Machtzentren scheint für den Westen eine große Herausforderung zu sein. Die USA setzen in der Außenpolitik stärker auf Eigennutz und Hegemonie – vor allem durch militärische Mittel. Es scheint, dass sich der bislang nur wirtschaftliche Konflikt mit China ausweiten wird. Russland arbeitet enger mit China zusammen, was China stärkt, die Rolle Europas als Modernisierungspartner Russlands aber schrumpfen lässt.

China präsentiert ein neues Entwicklungsmodell mit dem Fokus auf dem Ausbau von Infrastruktur in all den Gegenden, in denen der Westen scheiterte, also in der Peripherie des westlichen Kapitalismus. Doch die EU zögert weiter, sich vom neoliberalen Modell und ihrer eurozentristischen Weltsicht zu verabschieden. An ihnen festzuhalten heißt, weiter Konflikte zu schüren und die Provinzialisierung Europas zu vollenden – bis hin zu einer möglichen Auflösung der Europäischen Union.

Die EU und besonders ihre führenden postimperialen Großmächte sollten aufhören, Russland durch die Brille „unserer“ Werte und „unseres richtigen Lebensstils“ zu betrachten. Die Chancen für eine Demokratisierung Russlands sind besser, wenn das Land nicht unter dem normativen Druck Europas steht. Stattdessen sollte sich die EU als Gemeinschaft unterschiedlicher Gesellschaften darauf konzentrieren, sich im Inneren radikal zu demokratisieren und mit dem Ausland friedlich zu koexistieren. Weder Russland noch der Rest der Welt hat ein Interesse an anderen westeuropäischen Missionaren in neuen Gewändern. Höchste Zeit, das zu begreifen.

Übersetzung aus dem Englischen: Stefan Schaaf

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6 Kommentare

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  • Ein kluger und differenzierter Kommentar, der sicherlich, insbesondere bei den Transatlantikern, auf regen Widerstand stoßen wird.



    Eine zentrale Aussage ist m.E.:



    "Antonio Gramsci lag richtig, als er schrieb, dass politische Fragen unlösbar werden, wenn „sie sich als kulturelle verkleiden“."

    Mit der kulturellen Verkleidung politischer Fragen ist natürlich auf die Verkleidung eigener Interessen gemeint, die überhöht werden durch eine völlig nebulöse Wertebestimmung, die bei näherem Hinschauen eine ordinäre Täuschung ist. Zum Beispiel wird den "Freunden" in Saudi Arabien großzügig nachgesehen, dass sie Terrorismus unterstützen, Menschenrechte massenhaft verletzen. Und dennoch werden diese Freunde massenhaft mit Waffen versorgt. Das ist nur ein Beispiel unter vielen. Den Freunden in der EU sieht man nach, dass sie hinsichtlich der Flucht- und Vertreibungsbewegungen keine menschenwürdigen Lösungen anbieten. Stattdessen lässt die EU Menschen im Mittelmeer ersaufen, baut Zäune und kooperiert mit Menschenrechtsverächtern erster Güte. An Russlands Grenzen sammelt die NATO tausende Tonnen Kriegsmaterial und Deutschland lässt Jagdbomber an der Grenze zum Baltikum fliegen.



    Leute wie Maas, der ein transatlantischer Lobbyist ist, weigern sich anzuerkennen, dass diejenigen, die er pflichtbewusst als Böse bezeichnet, ebenfalls Interessen haben. Teilweise existentielle Interessen.



    Deutschland ist ein willfähriges NATO Mitglied und pflegt die alten Feindbilder wieder. [...] Es sind stets die gleichen Muster der Kriegstreiber: Wir sind die Guten und allen voran Russland ist böse. Und zu diesem Argumentationsmuster passt eine geradezu dämliche Geschichtsvergessenheit.

    Kommentar gekürzt. Bitte verzichten Sie auf NS-Vergleiche. Danke, die Moderation

  • das der frieden davon abhängt dass man meinungsverschiedenheiten erträgt ist zweifellos eine zentrale erkenntnis der aufklärung, offenbar aber eine in der russischen führung nicht weit verbreitete.

  • Umgekehrt könnte Russland ja auch mal seine Hacker Attacken einstellen, die professionellen Internet Trolle nach Hause schicken und aufhören rechtsextreme Parteien im Westen zu unterstützen. Dann gibt´s noch militärische Interventionen gegen Georgien und die Ukraine, Drohungen gegen das Baltikum und Polen. Ach ja: ein paar im In- und Ausland getötete Regierungskritiker und Dissidenten und dazu noch als Kollateralschaden vergiftete britische Mütter weniger wären auch schon mal ein Ansatz, wie das Verhältnis wieder besser werden kann.

    • @Bulbiker:

      Davon würde auch ich als guten Anfang für ein besseres Verhältnis wesentlich mehr halten.

  • kann es werte geben die an einem ort gelten, an einem anderen aber nicht?



    sind gewaltenteilung (legislative, exekutive, judikative), bindung der gewalt an gesetze (rechtsstatlichkeit), gewaltbeschränkung (menschen- und minderheitenrechte), gewaltkontrolle ("presse"-freiheit in allen medialen varianten), beeinflussung der gewalten durch die bürger (wahlrecht, demonstrationsrecht, petitionsrecht) etc. mühsam errungene eigenschaften einer echten demokratie (im gegensatz zu einer diktatur der mehrheit) etwas das man mit hinweis auf andere historische traditionen ablehnen darf?



    mir scheint es sich eher um einen text im geist (oder ungeist) des münchner fussballs zu handen der sich unangenehme kritik mit einem angiff auf die kritiker zu entledigen versucht.

  • Was für ein Quatsch. Jetzt sind Werte wie z.B. Meinungsfreiheit, Demokratie, Minderheitenschutz oder Rechtsstaatlichkeit diskutierbar? Und die die Abkehr vom sogenannten Neoliberalen Modell? Zu welchen den? Als jemand der schon in China lebte, möchte ich mal drauf hinweisen, dass dieser Staatskapitalismus nicht als Vorbild taugt. Und der russische staatsoligarchismus auch nicht. Die sogenannte „Softpower“ der EU ist ein Erfolgsmodell. Ja, wir werden nicht immer die schnellsten sein, aber wer sich persönlich entfalten will, wird hier richtig sein.