piwik no script img

„Wir haben die Möglichkeit, das Virus vollständig auszumerzen“

Die Impfung gegen den HPV-Virus ist wissenschaftlich eindeutig als effektiv bewiesen. Wer sie ablehnt, begeht ein Verbrechen, meint der Immunologe Andreas Kaufmann. Er gilt als einer der renommiertesten Forscher des HPV

Foto: privat

Andreas Kaufmann

ist Leiter des Labors für Tumorimmunologie an der Klinik für Gynäkologie der Charité Berlin

taz am wochenende: Herr Kaufmann, warum muss man sich gegen HPV impfen lassen?

Andreas Kaufmann: Humane Papillomviren, also HPV, sind Infektionserreger, die uns alle im Laufe unseres Lebens befallen. Es gibt über 200 verschiedene Typen, die sich auf Hautzellen spezialisiert haben und zum Beispiel Hand-, Fuß- und Genitalwarzen, aber eben auch Krebs auslösen: vor allem Gebärmutterhalskrebs, aber auch Enddarm- und Mund-Rachenkrebs. Eine Übertragung der Viren erfolgt durch Hautkontakt beispielsweise beim Sex. Eine Übertragung kann durch nichts verhindert werden. Außer durch die Impfung.

Wer sollte sich impfen?

Jungen und Mädchen zwischen 9 und 18 Jahren, Personen mit einer Organtransplantation oder HIV und Patientinnen im höheren Lebensalter, die eine Erkrankung durch HPV hatten. Letztere können sich so vor einer Wiederinfizierung schützen.

Sollen sich Männer über 18 impfen?

Auch wenn in den meisten Fällen bereits HPV-Infektionen vorliegen dürften, ist es ratsam.

Wie läuft die Impfung ab?

Die Impfung geht in den Muskel, meistens in den Oberarm. Weiße Blutkörperchen produzieren dann Antikörper, die im Blut und der Haut vorliegen, die den Körper vor dem eindringenden Virus schützen.

Die Ständige Impfkommission hat 2007 die HPV-Impfung von Mädchen empfohlen. Doch 2014 waren erst 42,5 Prozent der 17-Jährigen geimpft.

2007 wurde das Programm zuerst gut angenommen. Allerdings waren Impfgegner, Impfkritiker und Gesundheitsökonomen nicht gut über die wissenschaftlichen Hintergründe informiert und gaben Falschinformationen über mögliche Nebenwirkungen an die Öffentlichkeit. Das führte 2008 zu starker Verunsicherung bei Eltern und Ärzten und in der Folge zu einer Abnahme der Impfbereitschaft.

Woher kam diese Verunsicherung?

Sie beruht auf Fehlinformationen und Fehlinterpretationen der Daten und der komplexen Biologie der HPV-Typen und -Infektion. Wissenschaftler, die von HPV keine Ahnung hatten, behaupteten, die Wirksamkeit der Impfung sei nicht bewiesen und zu teuer im Vergleich zur ihrer Effektivität. Dass der HPV mehrere Jahre braucht, bis er Unheil anrichtet, wussten wir Gynäkologen und HPV-Forscher und wussten deswegen auch, dass sich die Effektivität der Impfung erst nach über fünf Jahren zeigen würde. Heute ist erwiesen, dass Effektivität und Sicherheit der Impfung enorm hoch sind.

Es wurde 2008 auch von Todesfällen im Zusammenhang mit der Impfung berichtet.

Das war eine dieser Fehlinterpretationen, die von den Medien stark verbreitet wurden, ohne sie zu überprüfen. Bei keinem der Todesfälle konnte ein Zusammenhang mit der Impfung nachgewiesen werden. Die Sicherheit der HPV-Impfung ist mit anderen geläufigen Impfungen wie die gegen Kinderkrankheiten zu vergleichen. Die Gefahren durch HPV-Infektionen sind noch viel zu unbekannt, was zur Zurückhaltung bei der Impfung führt.

Wurde der Impfstoff von der Pharmaindustrie zu früh ausgegeben?

Nein. Umgekehrt: Wir hätten die Impfung früher ausweiten sollen, auch auf Jungen.

Warum sind die Impfquoten 10 Jahre später immer noch so niedrig?

Die Zahlen sind immer niedrig, wenn die Impfung zwar angeboten, aber nicht vom Gesundheitswesen unterstützt wird. Politik, Gesundheitsämter und Ärzte haben ihre Aufgabe nicht erfüllt, sich und andere richtig zu informieren und Wissenschaftler haben die Fehlmeldungen nicht widerrufen.

Wie sieht es im internationalen Vergleich aus?

Die Impfquoten liegen in Deutschland und den USA bei 40 Prozent, sie sollten mindestens 80 Prozent betragen. Australien, Schweden, Österreich, Schweiz, Schottland haben höhere Impfquoten. Das liegt an organisierten Programmen wie beispielsweise Schulimpfungen. In diesen Ländern verschwinden die HPV-Infektionen und die dadurch ausgelösten Krankheiten. Um dieses Ergebnis zu erzielen, hat der britische Staat zum Beispiel mit der Industrie über niedrigere Preise für Impfdosen verhandelt. Deutschland nicht.

Die Viren

HPVDer deutsche Arzt Harald zur Hausen entdeckte 1976, dass Humane Papillomviren der Auslöser für Gebärmutterhalskrebs sein können. Dafür erhielt er gemeinsam mit anderen Forschern 2008 den Nobelpreis. HPV gibt es in über hundert verschiedenen Typen.

Pap

Der Pap-Abstrich ist nach dem griechischen Arzt George Papanicolaou benannt, der ihn 1928 erfunden hat. Bei dieser Untersuchung wird aus Muttermund und Gebärmutterkanal eine Zellprobe genommen, die mikroskopisch auf Frühformen von Gebärmutterhalskrebs untersucht wird. Diese Vorsorgeuntersuchung wird ein Mal im Jahr empfohlen.

Was halten Sie von Schulimpfprogrammen?

Viel. In Ruanda wurden durch ein Schulimpfprogramm 90 Prozent der Kinder gegen HPV geimpft. In Hessen zeigt ein Pilotprojekt an Schulen, dass die Impfquoten deutlich steigen.

Jetzt haben die Krankenkassen beschlossen, eine HPV-Impfung für Jungen zu zahlen. Ein Durchbruch?

Das ist wichtig und richtig. Die Kommission, die über Impfungen entscheidet, hat das schon im Juni empfohlen. Neben dem Schutz für Jungen und Männer, ist damit die sogenannte Herdenimmunität erweitert worden, also das Risiko für Ungeimpfte gesunken. Ein Durchbruch wird es erst, wenn die Jungs wirklich geimpft werden

Wofür kämpfen Sie?

Wir begehen ein Verbrechen an den kommenden Generationen, wenn wir sie nicht vor Gebärmutterhalskrebs schützen. Wir haben die Möglichkeit, das Virus vollständig auszumerzen, wenn wir genügend Menschen impfen. So wie es uns mit den Pocken vor 40 Jahren gelungen ist. Das wird jedoch ein bis zwei Generationen dauern und es bräuchte eine gemeinsame verantwortliche Anstrengung und den politischen Willen dazu.

Interview: Luisa Willmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen