70 Jahre „Stern“: Die Tristesse von heute
Mit packenden Geschichten machte Henri Nannen den „Stern“ zum erfolgreichsten Magazin Europas. Von der einstigen Größe ist nicht mehr viel übrig.
Die Magie eines Sterns liegt in seiner Leuchtkraft, der Ferne, die zum Greifen nah scheint, und der sehnsuchtsverklärten Romantik, die einen beim Anblick der unzähligen Himmelskörper überkommt. Das Faszinierendste an einem Stern aber ist der Umstand, dass er auch dann noch sichtbar scheint, wenn er schon lang erloschen ist.
Die Zeitschrift Stern aus dem Hause Gruner + Jahr erhellt seit 70 Jahren die deutsche Presselandschaft. Und wenn man im Bewusstsein der Printkrise am Kioskregal das legendäre Logo – den weißen, asymmetrischen Stern auf rotem Fond – sieht, dann schießt unweigerlich die Frage in den Kopf, ob das, was da auf gelacktem Papier glänzt, womöglich nur noch die Illusion eines großen Magazins ist.
Sofern man ihn findet, denn das ist gar nicht so einfach, nicht mal in Hamburgs Mitte. Der Eckkiosk führt ihn schon lang nicht mehr, er läuft zu schlecht. In der Jet-Tankstelle, an der Schnittstelle zwischen St. Pauli und dem Schanzenviertel gelegen, haben sie das Blatt. Allerdings steht am 6. September die Ausgabe vom 2. August im Regal.
Trotzdem, Gruner + Jahr feierte am vergangenen Wochenende das 70-jährige Bestehen des Magazins, unter anderem mit einem Senatsempfang im Hamburger Rathaus, Sondereditionen und dem „Tag des Journalismus“. Für 8 Euro gibt es den Chefredakteur Christian Krug im Gespräch, Redaktionsbesichtigungen und einen Blick auf die echten gefälschten Hitler-Tagebücher. Das 850 Meter entfernte Gruselerlebnis „Hamburg Dungeon – schreiend und lachend durch Hamburgs dunkle Vergangenheit“ kostet immerhin 17,85 Euro.
Wilder, beweglicher, offener
Am 1. August 1948 erschien das Blatt, das Henri Nannen sich ausgedacht haben will, so der Gründungsmythos, zum ersten Mal. Ein Magazin, das wie kein anderes über Jahrzehnte die deutsche Biederkeit und die Ausbrüche daraus ebenso wie das Weltgeschehen bildreich und hintergründig dokumentierte. Ein Magazin, dessen Journalistinnen und Journalisten wacher waren als der Rest. Wilder, beweglicher, offener.
Ihre Fotos und Reportagen waren oft verstörend und brachen Tabus, Nannens Heftmischung ist legendär, sudanesische Hungeropfer und Geifer treibende Busenbilder machten den Stern zum erfolgreichsten Magazin Europas. Ein Blatt, das dem deutschen Bürger das Ideal einer liberalen und offenen Bundesrepublik ebenso nahebrachte wie das Lotterleben des Jet-Sets im New Yorker Studio 54 und das von Christiane F. am Bahnhof Zoo.
Sigmar Gabriel hat es in seiner Rede beim Senatsempfang anlässlich des 70-jährigen Bestehens so formuliert: „Der Stern hatte schon immer ein heißes Herz – empathisch, teilnehmend, emotional. Ohne Angst vor der Berührung oder dem großen Gefühl. Stern lesen hieß immer, im Vollkontakt mit der Welt zu sein.“ Aber der Stern ist auch das Blatt, das mit der Veröffentlichung der vermeintlichen „Hitler-Tagebücher“ 1983 das blamabelste Scheitern des deutschen Journalismus auf seinem Konto verbuchen muss.
Der Genius hinter der Zeitschrift: Henri Nannen. 34 Jahre war er alt, als er 1948 seinen ersten Stern auf den Markt brachte, und gleich gelang ihm ein Bravourstück: Er hob Hildegard Knef auf den Titel, die mit dem Film „Die Sünderin“ einen der Sittenskandale der 50er Jahre provozierte.
Wertekanon einer solidarischen und freien Gesellschaft
Nannen behielt die Star-Berichterstattung bei, machte aber ab den 60ern das Blatt politischer. Er unterstützte mit seinem Heft die Ost-Politik Willy Brandts und gefiel sich wie die Kollegen Augstein vom Spiegel, Bucerius von der Zeit und Axel Springer in der Rolle dessen, der Einfluss nimmt und mit den Großen am Tisch sitzt. Oder auch mal auf dem Tisch, wie beim sowjetischen Staatschef Breschnew.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nannen, der Ostfriese, war ein Charmeur, ein begnadeter Geschichtenerzähler; wer in seiner Nähe war, wollte seine Gunst. Lief etwas schief, ließ er Blitz und Donner niedergehen und strafte sein Gegenüber mit Eiseskälte. Michael Jürgs – ab 1976 Ressortleiter, dann Chefredakteur, 1990 gefeuert für einen Leitartikel mit der Zeile: „Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?“ – macht Nannens Stärke auch darin aus, „Talente zu entdecken. Er hat die zarten Pflänzchen erkannt und geschützt, bis sie groß waren“.
Der Stern verkörperte in der Zeit seiner Blüte, also von den späten 60er bis in die 90er Jahre, den Wertekanon einer solidarischen und freien Gesellschaft. Für alle, die mit ihm groß geworden sind, ist die Entwicklung, die dieses Land in den letzten drei Jahren genommen hat, immer noch unvorstellbar: Nazis bestimmen Stadtbilder, eine rechtsradikale Partei wird durch die Bevölkerung in die gesellschaftliche Mitte gehoben, Hilfe für Menschen, die alles verloren haben, in Frage gestellt.
So wenig, wie das denkbar war, so wenig war es noch vor einigen Jahren denkbar, dass der große Stern, der zu seinen besten Zeiten eine wöchentliche Auflage von knapp zwei Millionen Exemplaren hatte, in der journalistischen Bedeutungslosigkeit versinken könnte.
Nachrichten werden heute von anderen gemacht
Und doch scheint er dort angekommen. Im zweiten Quartal 2018 schafft er gerade noch knapp 530.000 verkaufte Hefte, darin verlieren sich mitunter gerade mal 10 Seiten mit Anzeigen, die keine Gruner+Jahr-Produkte bewerben. Kaum Geschichten, die Nachrichten werden, keine Debatte, die er anstößt, keine journalistischen Großkaliber, die man noch mit dem Blatt in Verbindung bringt. Außer denen, die schon da waren, als es noch Münztelefone gab.
Nachrichten werden von anderen gemacht, Diskussionen von der Konkurrenz angestoßen. Hans-Ulrich Jörges ist die einzige politische Stimme, die immer mal wieder auch im Fernsehen gefragt ist. Ein einsamer Rufer.
Der Spiegel, die Zeit – auch sie haben mit Auflagenschwund zu kämpfen, mit sinkendem Interesse an ihren Analysen und Recherchen, und doch legitimieren sie ihre Existenz noch immer durch sehr guten und vor allem relevanten Journalismus. Und manchen Scoop. Wie passend, dass ausgerechnet die Band „Die Sterne“ die Frage formuliert hat: „Was hat dich bloß so ruiniert?“
Auf den ersten Blick sehen die Dinge noch ganz gut aus. Ein medienwirksamer Senatsempfang, eine Kooperation mit dem ZDF, das angelehnt an den berühmten §218-Titel „Wir haben abgetrieben!“ von 1971 einen Fernsehfilm zeigt, und eine 200 Seiten starke Ausgabe am 20. September.
Beim zweiten Blick aber fragt man sich, was das für ein Jubiläum ist, wo doch schon der Stern-Herausgeber und ehemalige Chefredakteur Andreas Petzold 2015 in einem Interview mit dem Medienhistoriker Tim Tolsdorff den Gründungsmythos vom Tisch fegte. Denn so toll Gründungsvater Nannen auch war, er war eben nicht der naive Nazi-Mitläufer, als der er sich ausgab. Als Chef einer Propagandaeinheit der Luftwaffe war seine Rolle im Nationalsozialismus größer, und auch hat er die Idee des Stern geklaut.
NS-Postille als Vorbild
Bereits 1938 erschien ein Unterhaltungsmagazin mit ebenjenem Titel und einem Stern als Logo. Tolsdorff hat den Sachverhalt untersucht und mehr als nur Namens- und Logogleichheit festgestellt. Nannen hat auch Teile der inhaltlichen Ausrichtung, Rubriken und das Layout des Ursprungshefts übernommen.
„Sir Henri“, wie er genannt wurde, hatte nicht nur eine NS-Postille in die Nachkriegszeit transferiert, er hat auch stets die Mär seines „Einfalls in der Nacht“ verbreitet. Und sein Leben lang das geistige Eigentum des Stern-Erfinders Kurt Zentner als seines ausgegeben – und Zentner dann für sich arbeiten lassen.
Die Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel hat sich 2014 klar geäußert: „Es gibt nun wirklich überhaupt keinen Grund, diese Erkenntnisse unter den Teppich zu kehren. Als Historikerin wäre mir das sowieso unvorstellbar“, wird sie von der Stuttgarter Zeitung zitiert. Für den Widerspruch findet Christian Krug in seiner Festtagsrede immerhin eine plausible Erklärung: „Wir feiern den Stern und seinen liberalen, weltoffenen Geist aus den Gründerjahren der Republik, nicht einen beerdigten Namensvetter, zu dem die heutige Redaktion nie einen Bezug hatte.“
So uneindeutig die Haltung zum Schattenspieler Nannen ist, so unglamourös fallen die Feierlichkeiten aus. Zum 50. Jubiläum galt noch der Anspruch, „etwas auf die Beine zu stellen, das nur der Stern auf die Beine stellen kann“. So erzählt es der damalige Chefredakteur Werner Funk – also karrte man Gäste aus Gesellschaft, Politik und Showbusiness mit Bussen in ein ehemaliges Gaswerk, wo sie auf Förderbändern an Szenen aus fünf Jahrzehnten vorbeiglitten.
Dieses Mal ging eine Einladung zum Senatsempfang raus. Das klingt zunächst beeindruckend, relativiert sich aber, wenn die Pressestelle des Senats erklärt, dass pro Woche etwa zehn Anfragen von Firmen und Vereinen eingehen, die ihr Jubiläum gern auf diese Weise gewürdigt hätten. Wie etwa von der „Texterschmiede“, einer Schule für Werbetexter, die fünf Tage nach dem Stern gelobpreist wurde. Die Kosten werden in der Regel geteilt.
Blutleere Rede
Dass viele, auch aus der Redaktion, der Einladung nicht gefolgt sind und die schöne Halle zur Hälfte leer blieb, mag überraschen, noch überraschender allerdings ist, dass man quasi unter sich blieb. Kaum Politik, kaum Wirtschaft oder Anzeigenkunden, der einzige Promi: Eckart von Hirschhausen, das Aushängeschild der neben Stern Crime erfolgreichen Line-Extension Stern Gesund leben.
Wer nicht da war, muss sich nicht grämen. Das Programm glänzte durch hanseatisches Understatement. Der neue und immer noch leicht zu übersehende Bürgermeister sprach, Julia Jäkel, Chefredakteur Christian Krug und Sigmar Gabriel – dessen Amtsverzicht zugunsten von Martin Schulz via Stern Krugs größten (und einzigen) Coup darstellt.
Als es hernach Häppchen im 90er-Jahre-Stil gab, wunderten sich viele, dass Krug die Gelegenheit nicht nutzte, Zusammenhalt und Kampfgeist seiner Redaktion zu beschwören und das „Wir“ zu stärken. Stattdessen sprach er vom „Treibstoff des Erfolgs“ und dass es Aufgabe sei, „den Mächtigen auf die Finger zu schauen“. Phrasen, die jeder Autorin, jedem Autor bei der Redigatur gestrichen würden, reihten sich aneinander wie die Mozarella-Bällchen an die Kirschtomaten beim Flying Buffet. Krug, 52, sieht das anders.
Auf die Frage, warum die Rede so blutleer war, sagt er, das könne er nicht teilen: „Ich liebe den Stern und habe in der Rede all meine Leidenschaft für ihn zum Ausdruck gebracht.“ Dieses Verständnis von Leidenschaft scheinen die Mitarbeiter*innen zu teilen: „Von den Kollegen, an die sich meine Rede im Kern gewendet hat, habe ich positives Feedback bekommen.“
Auflage im Schnuppenflug
Krug ist nicht unumstritten. Zusammen mit Hajo Schumacher war er im Jahr 2000 angetreten, die monatliche Lifestylezeitschrift Max in ein 14-tägiges Magazin zu verwandeln und den Stern plattzumachen, der schließlich überlebt hat. Das Frauen-Oberflächlichkeits-Magazin Gala leitete er später so erfolgreich, dass er sich – unter Nannen sicherlich undenkbar – für den Stern qualifizierte.
Dass die Auflage im Schnuppenflug ist und seit seinem Antritt im Oktober 2014 rund 200.000 Exemplare pro Ausgabe weniger verkauft werden, mag man ihm kaum ankreiden. Die Situation eines gedruckten Massenmediums, das von Henri Nannen als „Wundertüte“ auf den Markt gebracht wurde, ist gegenüber der Konkurrenz im Netz langfristig so aussichtslos, dass wohl kein noch so begabter Mensch den Niedergang stoppen könnte.
Und doch dümpelt Krugs Stern mehr, als es sein müsste. Das Blatt bleibt ohne Haltung, es fehlt an Mut und Kreativität in der Umsetzung der Themen. Nichts, woran man sich reiben könnte. Es ist völlig unklar, ob das Blatt für Merkel ist oder gegen sie; die Titelthemen bleiben irrelevant, selbst wenn große Ereignisse die Woche bestimmen.
„Den Titelbildern fehlt vor allem eine erkennbare Haltung“, sagt der ehemalige und für die Zeitschrift so maßgebliche Art-Direktor Wolfgang Behnken, er vermisst „visuelle Intelligenz“. Mit der Frage, woher wir kommen und einem Affen als Antwort hat Christian Krug im Dezember den mit 134.727 Exemplaren im Einzelverkauf wohl am schlechtesten verkauften Stern überhaupt hingelegt.
Vorletzte Woche hob er „Island“ auf den Titel, eine Reportage von ihm selbst. So wie das Island-Buch, das er darin vorstellt. Krug sagt: „Ich gebe als Blattmacher immer mein Bestes.“
Legendäre Geschichten aus der großen alten Zeit
Viele in der Redaktion sind mehr als genervt davon, dass der Chef sich vor allem für Reisen in der Welt rumtreibt, „die ihn nicht an den Rand der Erschöpfung bringen“, wie eine Redakteurin es nennt, anstatt in diesen hakeligen Zeiten vor Ort zu sein, und zu sagen, wo es langgeht.
Die Redakteur*innen sind in der undankbaren Situation, den Geist eines Blattes am Leben halten zu müssen, das von Leuten geprägt wurde, die nur dann auf Recherche gingen, wenn ihnen vor Ort ein Konzertflügel bereitgestellt wurde, und die sich am Flughafen als „Herr XY vom Stern“ ausrufen ließen, um dann mit „Hier! Hier!“-Rufen wichtig zum Schalter zu eilen. Und die gar nicht daran dachten, ihren Redaktionsetat einzuhalten, während heute nicht mal mehr das Taxi zum Flughafen drin ist, sondern nur die S-Bahn. Legendäre Geschichten aus der großen alten Zeit prallen auf die Tristesse von heute.
Sigmar Gabriel hielt beim Senatsempfang die rhetorisch und inhaltlich einzig gute Rede. Sie begann damit, dass seine Frau ihn fragte, warum der Stern ausgerechnet ihn für die Rede angefragt habe. Darauf hat ein Altgedienter eine Antwort, die Licht in das Relevanz-Problem des Stern bringen könnte: „Er ist der Einzige, den Krug kennt.“
Natürlich ist das Erbe ein schwieriges: Nannen & Co. agierten ohne die Print zersetzende Konkurrenz des Internets, die Anzeigen brachten wahre Geldberge in den Verlag. Und in der Branche meinen alle, es besser zu können. Jeder wüsste, was zu machen wäre, vor allem die ehemaligen Chefs, die allein drei bis vier Millionen Mark pro Jahr für Ausfallhonorare ausgaben, geizen nicht mit Tipps. Und doch sind auch sie im Großen und Ganzen ratlos. „Ich beneide niemanden um die Aufgabe“, sagt Werner Funk, von 1994 bis 1998 Chefredakteur und seinerzeit „Kim Il Funk“ genannt, in Anlehnung an Nordkoreas Diktator Kim Il Sung. „Das ist eine uphill battle. Du kannst sie nicht gewinnen.“
Mit Basta-Männern reden
Aber Funk sieht auch ein Problem bei den Führungspersönlichkeiten: „Egal ob Spiegel oder Stern, mir fehlt an den Leuten an der Spitze so etwas wie eine aggressive, auch rücksichtslose Neugier. Ich glaube, eine Redaktion ist dann nur dann erfolgreich zu führen, wenn die Person an der Spitze weiß, was sie will. Und das auch durchzusetzen weiß.“ Kim Il Funk rät zu mehr Diktatur in den Führungsetagen. „Was die Leute vermissen, das ist so was wie unser Basta-Mann.“
Über den Stern mit Leuten zu reden, die ihn maßgeblich geprägt haben, heißt mit Männern zu reden. Mit Basta-Männern. Die einzige Frau, deren Name immer wieder fällt, ist Ingrid Kolb, jene Journalistin, die maßgebliches Vorbild für die Fernsehfigur „Zarah – Wilde Jahre“ war, einen fiktionalen Sechsteiler von 2017 über eine feministische, aufrührerische Redakteurin Anfang der 70er Jahre.
Die Münchnerin Kolb kam 1977 ins Stern-Ressort „Erziehung und Gesellschaft“, das frühere „Frau und Familie“, intern „Fick und Strick“ genannt. Ihr erster großer Artikel wurde Titelgeschichte: Sexismus am Arbeitsplatz. Später wurde sie Ressortleiterin, und dass die alten Granden heute so respekt- und ehrfurchtsvoll über sie sprechen, mag auch damit zu tun haben, dass Kolb in diesem von Nannen angeführten Testosteron-Gehege Mut bewies.
Mut etwa, als Alice Schwarzer 1978 für eine Klage zehn Frauen für den sogenannten „Titelbild-Prozess“ zusammenbrachte, weil noch deutlich häufiger als heute, „selbst bei Fußpilz“, wie Kolb sagt, „immer eine nackte Frau ins Bild geschoben wurde“. Kolb bot sich an, zum Prozessauftakt einen Kommentar zu schreiben, „weil ich die Frauen verstehen konnte“. Für Nannen litten sie unter „Zwangsfixierung aufs Objektsein“.
Politische Kompetenz verloren
Auch wenn der Chauvinismus und eine Arroganz, „die mehr als fragwürdig war“, wie Michael Jürgs es sagt, schwer erträglich gewesen sein müssen, gab es diesen einen entscheidenden Moment: Für Augstein, Bucerius, Springer und Nannen ging es nach dem Ende der Nazi-Herrschaft darum, mit den eigenen Publikationen ein demokratisches System zu stützen.
Ingrid Kolb sagt: „Egal welches der großen Blätter – man muss bedenken, was für eine Lebenssituation diese Generation an Chefredakteuren, Herausgebern, Gründern geprägt hat. Die sind aus dem Krieg heimgekommen, die haben als Soldaten den Wahnsinn der Hitler-Diktatur erlebt, und sie wollten am Aufbau eines Landes mitwirken, indem so etwas nicht wieder passieren kann. Das sind Männer, die haben ihr Leben lang drunter gelitten, dass sie damals auf der falschen Seite gekämpft haben.“
Die Branche bescheinigt dem heutigen Stern, seine politische Kompetenz verloren zu haben. Geld würde helfen, etwa die zusammengesparte Dokumentation wieder auf Zack zu bringen und Korrespondenten in den wichtigen Staaten zu implementieren, damit auch der Stern wieder Interviews mit Regierenden bekommt. Geld ist das eine. Ein großer Geist das andere.
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