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„Die Diskussion beginnt bei null“

Neue Pflanzenzuchtmethoden sind Gentechnik, urteilt der EuGH. Führt das zu einem Entwicklungsstau auf dem Acker? Agrarexperte Urs Niggli warnt, Neues nur kritisch zu sehen. Auch der Ökolandbau sei sehr innovativ

Interview Kathrin Burger

taz am wochenende: Herr Niggli, es war eine wichtige Entscheidung. Auch neue biologische Werkzeuge zur Pflanzenzucht sind laut dem Europäischen Gerichtshof Gentechnik. Sie unterliegen der Kennzeichnungspflicht. Was halten Sie von dem Urteil?

Urs Niggli: Für den Ökolandbau und die kritischen Konsumenten ist dies ein guter Entscheid. Die vollständige Transparenz vom Saatgut bis zum Lebensmittel ist gewährleistet. Dies sichert die Wahlfreiheit der Verbraucher. Im Urteil des EuGH wurde das Vorsorgeprinzip sehr stark gewichtet. Das ist erst einmal positiv, weil bei anderen landwirtschaftlichen Technologien der Stellenwert des Vorsorgeprinzips leider unterentwickelt ist.

Welche Technologien meinen Sie?

Zum Beispiel die Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln, von Stickstoff- und Phosphordüngern und die Verwendung von Antibiotika in der Tiermast, wo die Schäden heute überdeutlich sichtbar sind. Hier geht man extrem locker mit dem Vorsorgeprinzip um.

Hat Sie die Entscheidung überrascht? Der Generalanwalt des EuGH hatte für eine Ausnahme aus dem Gentechnikrecht plädiert?

Fast alle Fachleute, auch Gentechnikkritiker, hatten erwartet, dass für kleine Änderungen am Genom, wie sie beim Genome-Editing vorgenommen werden, ein Türchen aufgemacht würde, dass aber das Einfügen von größeren oder artifiziellen Gensequenzen weiterhin streng geregelt bleibt. Nun wird die ganze Diskussion bei null beginnen. Es wird Jahre dauern, bis das Gentechnikrecht nachgebessert wird.

Finden Sie die Argumentation glücklich, dass durch radioaktive Strahlung oder durch chemische Verfahren erzeugte mutagene Pflanzen weiterhin ausgenommen bleiben, weil sie als sicher gelten, aber trotzdem praktisch gleiche Organismen entstehen wie beim Genome-Editing?

Heutige Sorten enthalten in großer Mehrheit Eigenschaften, die durch Bestrahlung und Chemie erzeugt wurden. Auch Biozüchtungen können solche Eltern oder Großeltern haben. Nun werden mit dem Urteil die viel gezielteren Eingriffe mit der Genschere zur Risikotechnologie gezählt. Das zeigt, dass die heutige Gentechnikrichtlinie sehr widersprüchlich ist und angesichts der wissenschaftlichen Entwicklung alt aussieht.

Es wird ja gestritten, ob die Produkte, die bei der Genchirurgie entstehen, nun tatsächlich „naturidentisch“, also nicht unterscheidbar von konventionell gezüchteten Pflanzen sind.

Wenn man weiß, wonach man suchen muss, dann findet man die Veränderung, da reicht die Standardmethode PCR. Die Nachweismethoden werden sich jetzt unter der neuen rechtlichen Situation weiterentwickeln. Trotzdem wird es schwierig, importierte Produkte zu erkennen. Bei Mischprodukten oder Sortenmischungen könnte das ein Ding der Unmöglichkeit werden. Chinesische, amerikanische oder brasilianische Produzenten haben keinen Anreiz, extra für die Europäer die Züchtungsmethoden offenzulegen.

Urs Niggli, 64, ist Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz, die wichtigste Wissenschaftsinstitution für die Ökolandwirtschaft.

Gibt es bereits Crispr/Cas-Produkte außerhalb Europas?

In den USA gibt es bereits Sojabohnen mit einer besseren Proteinqualität und solche, die dürre- und salzresistent sind. Zudem Leindotter mit höheren Ölgehalten. Und bekannt sind auch die Speisepilze, die nicht braun werden. In China ist die Situation intransparent. Die Forschung und Entwicklung von Crispr/Cas-Sorten ist dort allerdings am weitesten.

Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft kritisiert, dass nun neue Züchtungsverfahren zur Ertragssicherung, die gleichzeitig nachhaltig sind, erheblich erschwert würden. Weil etwa schädlingsresistente Sorten weniger Pestizide brauchen würden.

Die Wissenschaft hat mehrfach auf die Chancen der Genscheren-Technologie hingewiesen, nun ist dieser Weg in Europa behindert. Der Ökolandbau hätte eine umfassende Wirkung. Leider ist er für die große Mehrheit der Landwirtschaftsbetriebe aber noch keine Lösung. Trotz Wachstum sind erst 5 Prozent aller Lebensmittel in Deutschland öko. Mit Preisaufschlägen für konventionelle Produkte etwa durch Steuern auf Pestizide oder durch stärkere Förderung von Bioproduzenten im Rahmen der der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU könnte man das ändern. Aber auch für die konventionelle Landwirtschaft muss eine Ökologisierungsstrategie mit einer stärkeren Diversifizierung entworfen werden. Die Nachteile merken die Bauern mittlerweile selber, da die Systeme kippen, zum Beispiel, dass nicht mehr genügend wirksame Pflanzenschutzmittel oder Antibiotika zur Verfügung stehen

Wird nun Europa von anderen Staaten abgehängt, was die Entwicklung neuer Sorten und damit auch den Umweltschutz anbelangt?

Auch sehr besonnene Menschen warnen, dass man jetzt, mit dem EuGH-Urteil, zum ersten Mal in einem Innovationsstau stecken könnte. Man sollte dies ernst nehmen. Allerdings gibt es ja auch andere erfolgreiche Züchtungsmethoden wie das Smart Breeding, bei der keine gezielten Mutationen eingesetzt werden. Crispr/Cas ermöglicht in der Grundlagenforschung rasch Gene zu identifizieren, die für interessante Eigenschaften verantwortlich sind. So können große Sortenbestände, alte Landrassen und sogar Wildformen von Kulturpflanzen mit diagnostischen Methoden durchgeprüft werden. Dadurch wird auch die Kreuzungszüchtung zielgerichteter und schneller.

Was bedeutet die Entscheidung für den Biolandbau in Europa?

Die Werkzeuge der Züchter

Crispr/Cas

ist eine Methode, um mithilfe von Genscheren minimale Veränderungen in einem Genom zu erzeugen. Ein Protein schneidet die DNA an einer Stelle durch, die Zelle repariert sie anschließend wieder. Dabei können einzelne DNA-Bausteine verändert werden. Es werden keine artfremden Gene eingefügt, sondern Gene von anderen Sorten derselben Pflanzenart, etwa Wildsorten.

Smart Breeding

oder Markergestützte Selektion (MAS): Dabei werden bestimmte Gene in einer Pflanze markiert, die eine erwünschte Eigenschaft besitzen, etwa Trockentoleranz. Unter den Nachkommen kann man diejenigen zur Weiterzucht auswählen, die das markierte Gen vererbt bekommen haben. Eigentlich die klassische Zuchtmethode, Smart Breeding ist jedoch schneller und genauer.

PCR

steht für „Polymerase Chain Reaction“ und ist eine Methode, um das Erbgut von Organismen zu entschlüsseln. Findet nicht nur in der Lebensmittelkontrolle wie auch bei Vaterschaftstests Anwendung.

Sie ist eine Steilvorlage. Biozüchterinnen und -züchter machen genau das, was die Wissenschaftler mit der Crispr/Cas-Methode machen wollten, nämlich gute Qualität und gute Erträge unter Low-Input-Bedingungen zu entwickeln. Die Biozüchtung und die unterstützende Forschung muss jetzt ausgebaut werden. Am Ende des Tages wird sich dann die bessere Lösung durchsetzen, die langsame Züchtung unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen oder die schnelle, auf einzelne Eigenschaften ausgerichtete Züchtung mit Genscheren.

Sind die neuen Züchtungsverfahren nicht auch deswegen kritisch zu sehen, weil sie eben nur Industrienationen zur Verfügung stehen? Pflanzen werden dort patentiert und sind dann für Bauern in Entwicklungs- und Schwellenländern kaum erschwinglich.

Jeder Züchter muss von seiner Arbeit leben können. Dazu dienen die Sortenschutzeinnahmen. Dass die amerikanischen und international agierenden Firmen den Sortenschutz durch eine Patentierung ersetzen, ist eine Fehlentwicklung, die man korrigieren muss. Was die vielen staatlichen Institute und die kleinen und mittelständischen Unternehmen mit Crispr/Cas machen, ist erst in ein paar Jahren absehbar. Die niedrigsten Saatgutkosten entstehen, wenn Bauernfamilien mit Nachzucht selbst Saatgut produzieren. Die Wirtschaftlichkeit hängt dann aber letztendlich davon ab, wie hoch die Erträge sind und wie gut die Qualität ist.

Können die Gegner der Entscheidung noch Schritte ergreifen, um die Züchtungsmethoden doch aus dem Gentechnik-Recht auszunehmen?

Ich sehe dafür keinen Spielraum. Bei der Beurteilung von Risiken und Chancen ist mit dem EuGH-Entscheid leider der Graben zwischen der Wissenschaftswelt und engagierten Bürgern noch größer geworden. Es braucht eine ganz andere Dialogkultur, sonst drehen wir uns in einer Endlosspirale. Das ist eine Aufgabe für alle, die Politik muss da moderierend eingreifen. Ich wünsche mir auch, dass man nicht nur über Wahlfreiheit und Vorsorge diskutiert. Denn damit würde alles Neue automatisch verboten, auch dann, wenn der Nutzen mögliche Risiken bei Weitem übertrifft.

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