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Interview mit Illustratorin Kat Menschik„Tusche ist gut für die Seele“

Erst zeichnet sie per Hand, dann am Computer, weil es schnell gehen soll. Kat Menschik hat sich mit ihren Comics für Tageszeitungen einen Namen gemacht.

Illustratorin Kat Menschik in ihrem Zuhause Foto: Christian Thiel
Interview von Susanne Messmer

taz: Frau Menschik, ich bin ein bisschen enttäuscht. Ich hatte gehofft, Sie hätten einen Tuschefinger.

Kat Menschik: Ich dachte, fürs Interview kann ich mir mal die Hände waschen. (lacht)

Aber beim Arbeiten haben Sie einen Tuschefinger?

Klar. Ich zeichne ja mit der linken Hand, also ist mein linker Mittelfinger immer schwarz. Aber alles andere ist auch oft bekleckert.

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Kat Menschik

Illustratorin Kat Menschik hat sich mit Comics und aufwendigen Klassiker-Neuausgaben einen Namen gemacht.

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Was ist wichtig an der Tusche?

Ich zeichne die Umrisse mit Tusche. Dann scanne ich das Bild ein, retuschiere, schattiere und koloriere es am Computer. Ich liebe es sehr, beim ersten Schritt mit der Tusche zu arbeiten. Denn ich bastle gern, mache gern etwas mit den Händen. Ich finde, es ist wichtig, dass auch mal was schiefgeht. Das ist gut für die Seele, glaube ich. Außerdem konnte mein Strich nur so werden, wie er ist.

Im Interview: Kat Menschik

Die Frau: Kat Menschik, geboren 1968 in Luckenwalde, ist in Ostberlin aufgewachsen. Sie lernte Schaufenstergestalterin und studierte von 1992 bis 1999 an der Hochschule der Künste Kommunikationsdesign. Von 1995 bis 1996 absolvierte sie ein Austauschjahr an der Pariser École des Arts Déco­ratifs. Menschik begann als Comiczeichnerin zu arbeiten, indem sie in den 1990er Jahren das Comicmagazin Spunk und die Edition A.O.C. mit herausgab. Seit 1999 zeichnete sie Comics und schrieb die Fortsetzungsgeschichte „Weltempfänger“ für die Berliner Beilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, heute arbeitet sie unter anderem auch als Illustratorin für das Feuilleton der Frank­furter Allgemeinen Sonntags­zeitung.

Die Bücher: Das erste Buch, das Kat Menschik illustrierte, war „Die Nixen von Estland – ein Bestimmungsbuch“ des estnischen Schriftstellers Enn Vetemaa in der Reihe „Die Andere Bibliothek“ bei Eichborn. Für den DuMont Verlag illustrierte sie 2010, 2012, 2013 und 2017 Erzählungen des japanischen Kultautors Haruki Murakami. 2016 richtete der Berliner Galiani Verlag die „Illustrierte Reihe“ für Kat Menschik ein. In dieser Reihe sind bislang „Ein Landarzt“ von Franz Kafka, „Romeo und Julia“ von William Shakespeare, „Die Bergwerke zu Falun“ von E.T.A. Hoffmann, „Moabit“ von Volker Kutscher und „Unheimliche Geschichten“ von Edgar Allan Poe erschienen. (sm)

Wie würden Sie Ihren Strich beschreiben?

Mein Strich ist kräftig, immer gesetzt, eine durchgezogene Linie, aber nicht ganz perfekt und glatt. Ich glaube, es gibt im Rechner mittlerweile auch Werkzeuge, mit denen man einen dort erzeugten Strich ungleichmäßiger gestalten kann. Aber das ist nicht dasselbe, finde ich.

Ist es typisch für Ihre Generation, dass man so am Analogen hängt?

Muss ich jetzt über mein Alter reden?

Um Gottes willen!

(lacht) Natürlich ist es entscheidend, wie alt man ist. Als ich anfing zu arbeiten, Anfang der 90er, bei meinem ersten Studentenjob, da habe ich wirklich noch richtig analog gezeichnet. Auch per Hand koloriert. Meine Arbeitsweise hat sich erst geändert, als ich begann, für Zeitungen zu arbeiten. Da musste ich mir eine schnellere Technik zulegen. Denn ich musste ja immer mal wieder etwas ändern oder aktualisieren. Seitdem arbeite ich so. Es ist recht effektiv.

Seit 2016 gestalten Sie für den Berliner Galiani Verlag die „Illustrierte Reihe“, bislang sind zum Beispiel Erzählungen von Franz Kafka, E.T.A. Hoffmann und Edgar Allan Poe erschienen. Diese Bücher sind nicht nur schön illustriert, sondern auch schön gemacht. Warum der Aufwand?

Ich finde es sinnvoll, Bücher auf dem Kindle lesen. Keine Papierverschwendung, kein schweres Gepäck im Urlaub. Daraus folgt aber für mich auch, dass die einzige Alternative zum digitalen Lesen das schön gemachte Buch ist. ­Bücher, die man sich gern ins Regal stellt, die man gern anfasst. Alle an­deren brauche ich eigentlich nicht mehr.

Nicht mal einen Krimi für 9,99?

Und ich habe einen Blick auf den Fernsehturm, und das ist ein Bild, das mir sehr wichtig ist

Da haben Sie mich erwischt. Die kaufe ich mir schon noch. Aber ich glaube trotzdem, dass es sich mit dieser Art von Buch bald erledigt haben wird.

Wer kauft sich Ihre Bücher? Ich meine: Eigentlich haben viele noch eine alte Kafka-Reclam-Ausgabe im Regal. Warum soll man dafür noch mal 18 Euro ausgeben?

Diese 18 Euro sind noch viel zu wenig für das, was man da geboten bekommt. Für den Aufwand, den wir da betreiben: Innen illustriert, Vorsatzpapier bedruckt mit Sonderfarben und das Cover noch mal besonders gestaltet: Eigentlich rechnet sich das wenig. Aber es macht einfach unheimlich Spaß, so etwas gestalten zu dürfen.

Könnten diese Bücher auch als Statussymbol dienen – so wie jetzt plötzlich wieder alle Welt Vinyl kauft und sich ins Wohnzimmer stellt?

Vielleicht manchmal. Aber vielleicht ist auch das Buchvolk ein bisschen eigener. Es geht ihm weniger um Status als um den Aufbau einer Bibliothek, ums Sammeln. Ich würde sagen, sie sind im besten Sinne zeitlos und uneitel.

Suchen Sie die Titel in der Reihe für Galiani selbst aus?

Mir ist daran gelegen, etwas Eigenes zu erzählen. Es wäre mir auch als Leser langweilig, wenn ich ein Bild sehe, das im Text schon beschrieben ist. Das brauche ich doch nicht doppelt, oder?

Ich suche sie aus und bespreche sie dann mit dem Verlag. Am Ende kommen auch manchmal andere Dinge heraus. Bei Kafka hatte ich zum Beispiel am Anfang eine andere Geschichte im Sinn, ich wollte „Blumfeld, ein älterer Junggeselle“ illustrieren. Darin kommt ja ein Mann vor, der von zwei Tischtennisbällen verfolgt wird. Dazu hatte ich hübsche Bilder im Kopf. Aber dann kamen wir auf den „Landarzt“, eigentlich ja eine Anthologie von Kürzestgeschichten, die in Ton und Inhalt sehr unterschiedlich sind. Also wollte ich es mal anders machen als bei den anderen Büchern, die ich oft homogen zu illustrieren versuche. Das Buch ist eine Art Katalog meiner Arbeitsweisen geworden: Holzschnitt und Zeichnungen, Schwarz-Weiß und Farbe …

Warum Kafka, Poe, Hoffmann?

Ich finde es toll, das Moderne mit romantischen Elemente aus vergangenen Epochen zu kombinieren, ich liebe den Jugendstil und Art déco. Manchmal muss ich sogar aufpassen, dass ich nicht zu sehr in diese Zeit reingehe, dass es nicht zu schön wird oder zu sehr retro – also nicht modern.

Was interessiert Sie inhaltlich an dieser Literatur?

Ich mag märchenhafte, surreale Literatur, dunkel und traumhaft. Diese Bücher haben mich seit meiner Teenagerzeit begleitet. Ich kenne und verehre sie seit frühester Jugend.

Wie kommen Sie bei den Erzählungen zu den Bildern?

Die größte Arbeit ist es, eine Idee zu finden, wie man ein Buch gestaltet. Mit dieser Grundidee muss ich das Buch durchzeichnen können.

Wie würden Sie die Grundidee zum Poe-Buch beschreiben?

Bei Poe war die Idee, eine Neonfarbe zu benutzen. Also das krachige Neon­orange im Kontrast zum dunklen Lila, in dem auch der Text gesetzt ist. Ich denke, dass das funktioniert. Es hat etwas wirklich Widerwärtiges, etwas Unnatürliches und Krankes. Das macht für mich Poes Geschichten aus.

Das Albtraumhafte.

Ja, auch das Bedrohliche.

Die Geschichten von Poe sind manchmal auch sehr brutal.

Ja, aber das Rohe, Splatterhafte, das will ich ja nie zeigen. Die Bilder sollen schön sein, ästhetisch. Erst wenn man genauer hinguckt, darf ein grusliger Aspekt hinzukommen. Aber eine Wunde oder etwas halb Verwestes würde ich nie zeichnen.

Ihre Ideen können oft sehr weit weg gehen vom Text, nicht?

Es ist eigentlich ja so: Wenn man den Text zu den Bildern nicht lesen würde, dann könnte man anhand der Illus­tra­tionen nicht die Geschichte rekonstruieren. Diesen Effekt möchte ich immer provozieren. Es ist das Tolle an meiner Arbeit: Ich bin nicht wie beim Comic darauf angewiesen, zu erzählen. Der Text steht so da, wie er nun einmal ist. Das ermöglicht es mir, von der Geschichte wegzugehen und etwas ganz anderes zu erzählen.

Sie haben ja viele Fans, aber geht das auch manchen Lesern zu weit?

Klar! Neulich hat mich einer kritisiert, der nicht verstanden hat, warum ich für das Poe-Buch den Arm eines Kraken gezeichnet habe, der in der Geschichte gar nicht vorkommt. Aber das war halt meine Assoziation, das Ende einer Bilderkette, das von einer verfilzten Haarsträhne ausgeht, über die Lockenwickler bis zu den Tentakeln. Mir ist daran gelegen, etwas Eigenes zu erzählen. Es wäre mir auch als Leser langweilig, wenn ich ein Bild sehe, das im Text schon beschrieben ist. Das brauche ich doch nicht doppelt, oder?

Insofern sind Sie schon auch eine Geschichtenerzählerin. Auch ein Gartenbuch haben Sie mal selbst geschrieben, „Der goldene Grubber“. Haben Sie nicht öfter Lust, die Geschichten zu Ihren Bildern auch selbst zu schreiben?

Ich habe das in den 90ern öfter versucht, aber ich fand immer, dass ich keine gute Geschichtenerzählerin bin. Ich war nicht einmal gut darin, meinem Kind Geschichten frei zu erzählen, als es noch klein war. Ich konnte mir nie einfach so irgendwas ausdenken. Etwas ganz selbst zu machen, das hat mich immer unter einen riesengroßen Druck gesetzt. Andererseits: Vielleicht ist das auch Quatsch. Gerade eben habe ich mein erstes Kochbuch fertig geschrieben. Da stehen ja eigentlich auch Geschichten drin.

Ein Kochbuch?

Es ist voller Rezepte, die ich selbst koche oder die Freunde für mich kochen, weil ich es nicht selbst kann. Der Witz ist, dass ich eigentlich gar nicht so gern koche. Es ist nicht meine große Superleidenschaft, die ich zelebriere oder bei der ich meditieren kann.

Sondern?

Für mich ging es immer darum, die Familie satt zu kriegen. Und wenn man das Jahrzehnte macht, dann kann man das einfach irgendwann. In dem Buch gibt es also Klassiker wie Pellkartoffeln mit Quark, Senfeier oder Königsberger Klopse und Nudeln mit Tomatensoße. Alles unprätentiöse Gerichte, die einmal durchs Jahr gehen. Also mit Fastenzeit, Saisongemüse und solchen Sachen.

Als Leserin von Haruki Murakami interessiert mich Ihre Zusammenarbeit mit dem japanischen Autor sehr. Wie kam es dazu?

Sein deutscher Verleger hat mich dazu eingeladen. Und dann lief das so: Murakami nimmt weltweit jedes Artwork persönlich ab. Und wenn dem Meister was nicht gefällt, dann findet das auch nicht statt. Ich musste also Zeichnungen machen und ein Probecover entwerfen, und dann war erst einmal Zittern angesagt.

Und dann?

Dann passierte etwas wirklich Tolles. Murakami hat sich gewünscht, dass er ab sofort jedes Bild von mir bekommt, sobald es fertig ist. Mittlerweile sind vier Bücher aus Kurzgeschichten von Murakami entstanden.

Ich würde gern noch ein bisschen mehr darüber erfahren, wo Sie herkommen – also wie Sie sich zu der Illus­tratorin entwickelt haben, die Sie heute sind. Der Siebdruck hat da eine große Rolle gespielt, oder?

Das ist richtig! Ich komme vom Siebdruck her. Ich habe 1997 als Studentin mit meinem Kommilitonen Jan Hülpüsch einen eigenen Verlag gegründet, den Millionen Verlag. Und da haben wir unsere eigene Sieb­druck-Edition herausgegeben. Die Edition A.O.C. – bis zum Jahr 2000 ging das, alle drei Monate eine neue Ausgabe.

Wie sah Ihr Magazin aus?

Wir haben den Innenteil dreifarbig gedruckt. In jeder Ausgabe haben wir selbst etwas veröffentlicht, aber auch je fünf andere Künstler im Wechsel eingeladen. Und da haben auch namhafte Künstler zugesagt. Wo kriegst du das schon, dass deine Arbeiten so aufwendig reproduziert werden?

Wie hoch war die Auflage?

Klein! Am Anfang 100, später 200 Exemplare. Aber das hat uns schon an die Grenze unserer Belastbarkeit gebracht, denn wir haben ja die ganze Logistik selbst gemacht. Wir haben Leute eingeladen, sind ihnen wegen der Abgabe hinterhergerannt, man bekommt die Dinge ja selten pünktlich. Und dann haben wir mindestens einen Monat oder anderthalb Monate lang gedruckt. Also: 200 mal 58 Seiten in drei Farben drucken, das war Wahnsinn.

Inwiefern?

Es war sehr oft so, dass wir bis morgens um vier in dieser Druckwerkstatt standen. Ich habe mich aber bis zum Schluss geweigert, dort zu übernachten. Also bin ich tapfer nach Hause gefahren – nur um dann morgens um halb sieben wieder dort zu stehen. Wir waren ganz arm. Aber das war egal, wir brauchten ja nichts. Wir brauchten immer nur das Geld für das nächste Magazin – und mit unseren Abonnenten, die wir dann damals hatten, waren wir immer auf plus minus null und konnten die nächste Ausgabe machen. Das war toll.

Aber auch Eigennutz, oder?

Natürlich! Ich war damals ganz, ganz schüchtern. Ich hätte niemals gedacht, dass mir für das, was ich zeichne, jemand Geld geben wird. Und da habe ich zu mir gesagt: Guck dir nur mal die HdK an. Da gibt es 5.000 Studenten und ich bin einer davon. Und in drei Jahren mache ich meinen Abschluss, und es kennt mich immer noch keiner. Und danach bin ich Teil des Heers arbeitsloser Grafiker. Dank des Magazins musste ich raus und in Buchläden gehen und fragen, ob die für uns ein paar Exemplare verkaufen wollen. Ich musste lernen, dass man alle Fragen stellen darf.

Wäre es heute noch möglich, so etwas zu machen?

Ich habe ein Kind, das gerade erwachsen wird und ausziehen möchte. Diese Generation hat es viel schwerer, selbstständig zu werden. Sie sind auf die ­Eltern angewiesen. Unsere Mieten waren dagegen zu vernachlässigen. Wir konnten uns einfach alles nehmen, was wir brauchten. Mir war es auch total egal, ob, was und wie viel ich esse. Nudeln mit Ketchup reichten. Und das Bier war auch billig.

War es damals einfacher, neben dem Studium produktiv zu sein?

Ich habe mir große Freiheiten rausgenommen, alle möglichen Kurse geschwänzt, mich durchgemogelt, abgeschrieben, wenn irgendwas abgegeben werden musste. Sie haben uns trotzdem einfach machen lassen, uns in Ruhe gelassen. Sie haben gesagt: Ihr seid zwar am Thema vorbei, aber ihr macht wenigstens irgendwas. Ich fand das auch richtig. Das wäre heute alles nicht mehr möglich.

Sie leben schon ganz schön lang hier in Prenzlauer Berg, oder?

Seit Anfang der 70er. Mit 18 habe ich hier meine erste Wohnung besetzt, wie das damals so üblich war. Und dann bin ich nicht mehr weg.

Wie gefällt es Ihnen heute?

Na, sagen wir mal so: Ich bin sehr, sehr glücklich, dass ich meine Wohnung ­genau hier gefunden haben, an der ­Peripherie der großen Puppenstube sozusagen. Hierher verirren sich kaum Touristen. Und ich habe einen Blick auf den Fernsehturm, und das ist ein Bild, das mir sehr wichtig ist. Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu wohnen, auch, wenn ich mir den Kiez eigentlich gar nicht mehr so oft antue.

Wie das?

Ich habe noch ein Haus auf dem Land, im Nordosten, und bin viel weg, vielleicht zu 70 Prozent sogar. Ich kann da gut arbeiten. Aber wenn ich dann auf dem Land denke, dass ich die Klatsche kriege und langsam verschrulle, dann genieße ich es auch, wieder nach Prenzlauer Berg zu fahren und unter Leute zu gehen.

Haben Sie hier denn trotz der ganzen Umschichtung noch viele Freunde?

Na klar! Die wohnen alle im Umkreis von 500 Metern. Wir sind hier alle aufgewachsen.

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