G20 vor Gericht: Polizeiangriff auf Persönlichkeitsrechte

Das Hamburger Landgericht rügt den Verlauf von Ingewahrsamnahmen im Rahmen des G20-Gipfels in 24 Fällen als „rechtswidrig“.

Sollen die Polizei beworfen haben: Demons­tranten auf dem Dach des Hauses Schulterblatt 1 Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Der Wind dreht sich. Nach der gerichtlichen Verurteilung zahlreicher G20-AktivistInnen steht nun zunehmend das Verhalten der Polizei während des Gipfels vor knapp einem Jahr auf dem juristischen Prüfstand. Zwar hat die Staatsanwaltschaft noch immer keine Anklage gegenüber einem Beamten erhoben, dem Körperverletzung im Amt vorgeworfen wird, verhandelt aber werden die Beschwerden zahlreicher DemonstrantInnen, die „in Gewahrsam“ genommen und in die Gefangenensammelstelle (Gesa) in Harburg gebracht worden sind. Tenor der bisherigen Urteile: Die Polizei verletzte vielfach Recht und Gesetz.

So urteilte die Zivilkammer 1 des Hamburger Landgerichts bei 24 Beschwerden, die amtsrichterliche Prüfung des Freiheitsentzugs sei nicht „unverzüglich“, wie es das Gesetz vorschreibt, sondern viel zu spät geschehen. Statt höchstens zwölf Stunden habe es in den vorgelegten Fällen zwischen 15 und 40 Stunden gedauert, bis die Festnahmen richterlich bewertet wurden. Die Ingewahrsamnahmen seien deshalb bis zum richterlichem Beschluss „rechtswidrig“ gewesen.

Rechtswidrig seien auch „Durchsuchungen der Betroffenen bei vollständiger Entkleidung ohne konkreten Anlass“ gewesen, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. Da alle Betroffenen bei ihrer Festnahme durchsucht worden seien, habe eine „Veranlassung für einen derart schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht bestanden“.

Auch hätten „die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, ihre Notdurft unter Aufsicht zu verrichten“. Diese Maßnahme, sagt Wantzen, sei „durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt gewesen“.

Nicht die erste Rüge

Das Urteil ist nicht das erste seiner Art. Vor zwei Wochen hatte das Hamburger Verwaltungsgericht, die Ingewahrsamnahme von acht italienischen G20-Gegnerinnen, die keiner Straftat beschuldigt wurden, als „rechtswidrig“ gegeißelt. Obwohl nicht Gegenstand des Verfahrens, hatte der Vorsitzende Richter auch die Schikanen gegenüber den KlägerInnen in der Gesa – etwa permanente nächtliche Kontrollen – als unrechtmäßig eingestuft.

Unter den 38 Betroffenen, die derzeit vor den Zivilkammern 1 und 9 gegen den Verlauf ihres Ingewahrsams klagen, sind vier Personen, die am späten Abend des 7. Juli im Zusammenhang mit Aktionen festgesetzt wurden, die vom Dach des Hauses Schulterblatt 1 ausgingen, das mehr als ein Dutzend DemonstrantInnen über ein von der Polizei ungesichertes Baugerüst erklommen hatten.

Der Tenor der Urteile der vergangenen Tage: Die Polizei verletzte während des G20-Gipfels vielfach Recht und Gesetz

Die Polizei griff in dieser Nacht trotz Plünderungen und Brandlegungen am Schulterblatt nicht ein, da sie nach eigenem Bekunden in einen „Hinterhalt gelockt“ und vom Dach des Hauses an der Straßeneinmündung mit Molotowcocktails beworfen worden sei: Leib und Leben der Polizeikräfte wären bei einem Einrücken aufs Schulterblatt gefährdet gewesen.

Eher Böller als Molotow-Cocktails

Schon kurz nachdem die Polizei Wärmebilder vom Dach des Hauses präsentiert hatte, die von einem Hubschrauber aufgezeichnet worden waren, hatten Experten darauf hingewiesen, dass die dokumentierte Wärmeentwicklung einzelner Wurfgeschosse nur zu einem handelsüblichen Böller, nicht aber zu einem Molotow-Cocktail passe.

Doch auch davon ist nun nicht mehr die Rede: Wie erst jetzt bekannt wurde, erhob die Staatsanwaltschaft bereits am 7. Februar diesen Jahres Anklage gegen zwei 26-jährige Männer, die sich auf dem Gerüst vor dem Haus aufgehalten haben sollen.

„Den beiden Angeklagten wird tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung und Hausfriedensbruch vorgeworfen“, sagte Oberstaatsanwältin Nana Frombach dertaz. Sie sollen, wie Gerichtssprecher Wantzen sagte, eine Flasche auf Polizisten geworfen, oder auch nur zu einem solchen Wurf ausgeholt haben.

Bemerkenswert: Auch viereinhalb Monate nach der Anklageerhebung hat das Gericht die Anklage noch immer nicht zugelassen, einen hinreichenden Tatverdacht nicht bestätigt. Noch bemerkenswerter: Bislang reicht es offenbar zu keiner weiteren Anklage gegen eine der zwölf oder 13 Personen, die von einer Spezialeinheit festgenommen wurden und die für das Bewerfen der Polizei verantwortlich sein sollen, das ein Vordringen der Einsatzkräfte aufs Schulterblatt angeblich unmöglich machte.

„Mir ist keine weitere Anklage gegen eine dieser Personen bekannt“, räumte Gerichtssprecher Wantzen ein und auch Frombach hat keine Kenntnis von solch einem Verfahren: Sie könne dazu „leider in der Kürze der Zeit nichts sagen“.

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