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Noch sagt Merkel,wo’s langgeht

Ressortverantwortung oder Richtlinienkompetenz? Das Thema Zurückweisung von Flüchtlingen ist politisch so aufgeladen, dass Seehofers Argumentation absurd ist

Von Christian Rath

Für die Zusammenarbeit in der Bundesregierung sieht das Grundgesetz drei Prinzipien vor. Das Ressortprinzip besagt, dass jeder Minister die Verantwortung für sein eigenes Haus hat. Andere Minister können ihm nicht hineinreden. Bei Meinungssverschiedenheiten zwischen Ministerien entscheidet die ganze Regierung, das ist das Kollegialprinzip. Und drittens bestimmt die Kanzlerin die „Richtlinien der Politik“.

Was aber gilt für die Frage, ob anderswo registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenzen künftig zurückgewiesen werden? Für Horst Seehofer und die CSU ist das eine einfache Frage des Verwaltungsvollzugs, über die er im Rahmen seiner Ressortverantwortung selbst entscheiden könne. Auch im angekündigten „Masterplan Migration“ seien die Zurückweisungen nur eine von 63 Maßnahmen, also nur ein Detail. Kanzlerin Merkel hat dagegen erklärt, es sei eine Frage der Richtlinienkompetenz, falls Seehofer eine einseitige, nicht abgestimmte Maßnahme zu Lasten Dritter in Kraft setzt.

Seehofers Argumentation ist angesichts der Entwicklung der letzten Tage, aber auch der letzten Jahre geradezu absurd. 2016 hat Seehofer den Verzicht auf Zurückweisungen als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet und so in die Nähe einer Diktatur gerückt. Derzeit droht er mit seinem Vorstoß die Koalition zu sprengen. Andererseits warnt Merkel vor einem „Infragestellen des europäischen Einigungswerks“. Wenn eine Detailfrage so aufgeladen und überhöht wird, kann sich die Kanzlerin hier zweifellos auf ihre Richtlinienkompetenz berufen.

In der Regierungspraxis der letzten Jahrzehnte spielte die Richtlinienkompetenz allerdings fast keine Rolle. Insbesondere bei Konflikten zwischen Koalitionspartnern suchte man fast immer einen Kompromiss. Ein Kanzler könnte sich zwar im Kabinett mit der Richtlinienkompetenz durchsetzen. Spätestens für ein Gesetz braucht die Regierung aber auch Mehrheiten im Bundestag, die sie nur erhält, wenn sie die Verständigung mit allen Regierungspartnern sucht.

Im Fall der Zurückweisungen ist nun allerdings kein Gesetz erforderlich. Seehofer könnte die neue Linie per einfacher Anordnung an die Bundespolizei realisieren. Merkel könnte dann zwar nicht selbst einen anderslautenden Befehl an die Bundespolizei geben. Sie könnte aber Seehofer unter Berufung auf ihre Richtlinienkompetenz auffordern, die Zurückweisungen wieder zu stoppen. Wenn er sich weigert, müsste sie ihn entlassen.

Eine solche Entlassung kann die Kanzlerin jederzeit allein beschließen. Sie braucht dazu weder die Rückendeckung des Bundestags noch der Bundesregierung. Laut Grundgesetz schlägt die Kanzlerin die Entlassung zwar nur dem Bundespräsidenten vor, dieser muss die Entlassung dann aber umsetzen. Die Kanzlerin muss die Entlassung eines Ministers auch nicht begründen, weder mit ihrer Richtlinienkompetenz noch mit anderen konkreten Konflikten. Ihre zentrale Machtposition rührt daher, dass sie das einzige Regierungsmitglied ist, das direkt vom Bundestag gewählt wurde.

Im Fall Seehofer hat Merkel am Montag klar gemacht, wann die rote Linie erreicht ist. Er darf Zurückweisungen zwar androhen und auch vorbereiten. Aber wenn die „Maßnahme in Kraft gesetzt würde“, würde sie intervenieren.

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