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Erst experimentiert, dann befördert

Ein Arzt testet in den 60er Jahren neue Präparate in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und steigt ins Ministerium auf

Bei der Aufarbeitung umstrittener Medizinversuche an Heimkindern will Niedersachsen auch den Aufstieg eines verantwortlichen Arztes zum langjährigen Psychiatriereferenten im Sozialministerium untersuchen. Das teilte ein Ministeriumssprecher am Dienstag mit. Der inzwischen verstorbene Psychiater und Leiter der Wunstorfer Jugendpsychiatrie, Hans Heinze junior, der in den 60er Jahren Psychopharmaka an Kindern und Jugendlichen getestet haben soll, war anschließend 15 Jahre lang bis 1989 in der wichtigen Funktion im Ministerium tätig.

Damit führte er die Aufsicht über die damaligen Landeskrankenhäuser, in deren Kinder- und Jugendpsychiatrien die umstrittenen Arzneitests vorgenommen worden sein sollen, berichtete der NDR am Dienstag. Offen sei, ob der Mediziner im Ministerium weitere Versuche gedeckt oder auch voran getrieben habe. Noch unklar ist auch, warum der Mediziner nach NDR-Recherchen noch 1978 eine Studie veröffentlichen konnte, in der er die Langzeitwirkung von Psychopharmaka bei Kindern eines Heimes in Rehburg-Loccum beschrieb, obwohl er damals bereits seit vier Jahren im Ministerium tätig war.

Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) betonte die Bedeutung der von ihrem Haus in Auftrag gegebenen Untersuchung der Arzneimittelversuche an Heimkindern in den Nachkriegsjahrzehnten. „Die Aufklärung dieser Vorgänge ist außerordentlich wichtig –die Opfer, die großes Leid erfahren haben, müssen wissen, was wirklich geschehen ist.“ Gesellschaft und Politik müssten aus Verbrechen, die geschehen seien, Lehren ziehen.

Für das beauftragte Institut für Medizingeschichte der Robert Bosch Stiftung steht außer Frage, dass strittige Arzneimittelstudien und Impfversuche damals auch in Niedersachsen durchgeführt wurden. Im Fokus der Untersuchung stehe die Zusammenarbeit der Mediziner mit der Pharmaindustrie. (dpa)

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