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Berlin ob der Spree

Rundbögen, Eisbein und Weihnachtsladen: Nirgends hat Berlin weniger mit Berlin zu tun als im Nikolaiviertel. Jetzt wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Warum?

Von Annabelle Seubert(Text) und Sebastian Wells (Fotos)

Niemand rennt. Die Leute gehen hier. Sie bleiben stehen und sehen an Ornamentfassaden hoch. Sie bewegen sich über Kopfsteinpflaster, unter Rundbögen, sie halten vor Schaufenstern und sagen: „Guck, schön.“

Wahrscheinlich können sie kaum glauben, weiterhin in Berlin zu sein – noch benommen vom Alexanderplatz, über den sie hergekommen sind. Eben noch wurden sie durch pfützwasserverschmierte Türen eines BVG-Doppeldeckers gepresst. Kinder schrien, Rucksäcke rammten; der Schnee ging in Regen über und nahm der Stadt ihre weiße, schmeichelnde Schicht.

Und dann stehen die Leute im Nikolaiviertel wie vor einem Wunder. Geduckte Häuser, saniert und pastellfarben. Hellrosa. Hellgrün. Treppchen vor den Türen, tübingen-süß. Fast wie daheim!

Die Leute rufen „In-ter-es-ting!“ und machen Selfies. Sie bestellen „due caffè to go“ und laufen mit ihren Bechern durch einen Ort der Zeitlosigkeit mit 800 Wohnungen und 2.000 Einwohnern, in dem wie in Rothenburg am liebsten das ganze Jahr Weihnachten wäre. Wo ein Plakat über dem Kirchentor das vierte und letzte Adventskonzert am 17. 12. um 16 Uhr anpreist; die Verkäuferin im „Erzgebirgischen Weihnachtsmarkt“ am Nussknacker-Regal fragt, ob sie helfen könne. Wo der Wind das „Crêpe“-Fähnchen eines Bistros hochschlägt, vor dem die Krähen hocken. Berlin ob der Spree.

Die Kirche: „iss’n Museum, kostet fünf Euro.“ Die Hotdogs: sind „german“-, „new york“- oder „cancun“-style. Und die Gebäude am Fluss: dekorierte Platten, hoch geratene Beton-Fischerhütten. Ein Restaurant verspricht „Spreeblick“ auf einen Kran. Egal, im Nikolaiviertel trägt man Stolz nach außen – mit Gedenktafeln, Zille, Otto Nagel und Claire Waldoff waren da, Lessing hat hier die „Minna von Barnhelm“ vollendet und Eisbein gilt als „Brauhausknüller“. Es gibt Karneval und Gedenkmünzen und die kürzeste Straße Berlins; überhaupt vieles, worüber man bereits am gegenüberliegenden Ufer lacht.

„Disneyland“, nennen sie es in der Stadt. DDR-Vorzeigearchitektur des Grauens. 1987 anlässlich der 750-Jahr-Feier-Berlins fertiggestellt, entstanden aus fünf Häusern, die es seit dem Weltkrieg noch gab. Eines der Museen steht zwölf Meter vom Platz entfernt, an dem es eigentlich stand. Zilles Stammlokal ist eine Kopie. Wenn man Mittelalter und Realsozialismus mischt, kommt das Niko­lai­viertel raus – so ungefähr heißt es. Ein paar Retro­gassen, Hüte, Filz und Tee.

Alles wird wohl sein wie immer, jetzt, wo das Viertel unter Denkmalschutz steht. Das „Cosmetic-Institut“ wird mit „Akne- und Problemhautbehandlung“ werben“, und „fröhlich wohnen“ mit „Raumtrennschienen“. Der Mann in der „Puppenstube“ wird erklären, der hintere Bereich seines Ladens sei nur für Sammler. Und draußen werden die Leute gehen, ohne in Hundescheiße zu treten, ihre Spazierschritte untermalt von Geräuschen aus einer anderen Welt. Polizeisirenen, Presslufthammer. Drüben wird die U5 nicht fertig.

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