Debatte Rüstungsexporte nach Ägypten: Die Kairo-Kumpanei
2017 gingen so viele Rüstungsexporte wie noch nie an Ägypten. Der Bundesregierung sind menschenrechtliche Verpflichtungen nicht so wichtig.
D ie Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Rüstungsexporte in Höhe von 428 Millionen Euro genehmigte die Bundesregierung im Jahr 2017 an Ägypten. Das sind fast sieben Prozent mehr als im Vorjahr, so viel wie nie zuvor. Bereits zum zweiten Mal in Folge liegt das Folterregime Abdel Fattah al-Sisis damit unter den Top Five der Empfänger deutscher Wehrtechnik weltweit – ungeachtet des anhaltenden Abbaus rechtsstaatlicher Verfahren, Zehntausender politischer Gefangener und des lautlosen Verschwindenlassens von Dissidenten durch al-Sisis Sicherheitsapparat.
Die skrupellose Zusammenarbeit Berlins mit Kairo in sicherheitspolitischen Fragen hat einen einfachen Grund: die Sorge, dass sich Zehntausende Ägypter über das Mittelmeer Richtung Europa begeben könnten. Um das zu verhindern, unterzeichneten Außenminister Sigmar Gabriel und sein ägyptischer Kollege Samih Shoukry bereits im vergangenen Herbst ein Abkommen über „bilateralen Dialog zu Migration“. Das sieht auch die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden vor, die für Folter und möglicherweise außergerichtliche Tötung verantwortlich sind.
Anlass zur Flucht gibt es für viele der neunzig Millionen Ägypter. Im fünften Jahr der Herrschaft al-Sisis liegt die Wirtschaft am Boden, die Inflation treibt immer mehr Menschen in die Armut. Längst verblasst ist das Versprechen al-Sisis nach dem Militärputsch 2013, Ägypten zu alter Größe zurückzuführen. Wenn der einstige Armeechef im Frühjahr als Staatsoberhaupt wiedergewählt werden sollte, dann nur, weil es ihm gelungen ist, jegliche Opposition mit aller Gewalt zu unterdrücken. Durch ihre Rüstungsexporte unterstützt die Bundesregierung diesen Repressionskurs.
Die augenzwinkernde Kumpanei Gabriels und Angela Merkels mit dem Regime al-Sisi hat aber noch einen anderen Grund: die Handelsfixierung der deutschen Außenpolitik. Kanzlerin und Vizekanzler sind Gewinne der deutschen Verteidigungsindustrie wichtiger als menschenrechtliche Verpflichtungen. So machten 330 Luft-Luft-Raketen des Munitionsmultis Diehl Defence und ein von ThyssenKrupp Marine Systems hergestelltes U-Boot den Löwenanteil der Exporte an Ägypten aus, die der von Merkel geleitete Bundessicherheitsrat im vergangenen Jahr genehmigte.
Stagnation als Stabilität
Tödliches Material, das übrigens nicht nur im eigenen Land eingesetzt werden kann. Die Waffenbrüderschaft al-Sisis mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten reicht von Jemen bis Libyen. Ziel der konterrevolutionären Achse ist es, die bis 2011 herrschende Ordnung in Nahost und Nordafrika wiederherzustellen – unter undemokratischen Bedingungen. Im Golf von Aden unterstützt die ägyptische Marine die von Riad geführte Militärkoalition gegen die Huthis; Kampfflieger aus den Emiraten dürfen auf ägyptischen Militärstützpunkten zwischenlanden, um von dort zu Angriffen auf Dschihadistenstellungen in Libyen zu starten.
Ein völkerrechtliches Mandat für diesen Antiterrorkrieg hat der UN-Sicherheitsrat nie erteilt, doch das tangiert deren Nutznießer nicht. Wie Rheinmetall Defence, Airbus und Krauss-Maffei Wegmann profitieren Diehl Defence und ThyssenKrupp Marine Systems von den laxen deutschen Ausfuhrkontrollen, die Exporte in Spannungsgebiete und Staaten, die Menschenrechte verletzen, eigentlich verhindern sollten. Doch davon ist mehr als ein halbes Jahrzehnt nach den Protesten auf dem Tahrirplatz keine Rede mehr: Allein seit Beginn des Jemenkriegs im Jahr 2015 sind für rund 850 Millionen Euro Waffen aus Deutschland nach Ägypten geliefert worden.
arbeitete von 2012 bis 2015 als Nahostkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Kairo. 2017 erschien „Die Profiteure des Terrors. Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt“ im Westend Verlag. Er ist Mitglied bei weltreporter.net, dem Netzwerk freier Auslandskorrespondenten.
Und das, obwohl die EU nach der Tötung von mehr als 800 Demonstranten durch Sisis Sicherheitskräfte im August 2013 einen Ausfuhrstopp für Munition und Waffen verhängt hatte. Dass trotzdem weitergeliefert wird, zeigt, wie wenig Merkel und Gabriel aus dem Aufstand gegen Husni Mubarak 2011 gelernt haben: Abermals setzt die Bundesregierung auf einen Machthaber, der der Welt Stagnation als Stabilität verkauft – und bleierne Friedhofsruhe als Strategie gegen den Terror. Soziale Dimensionen von Sicherheit spielen offenbar keine Rolle, solange der neue Krieg gegen den Terror den deutschen Rüstungsriesen laufende Umsätze garantiert.
Schmusekurs beenden!
Man könne das Land am Nil nicht im Chaos versinken lassen, lautet die Logik hinter der deutschen Leisetreterei angesichts anhaltender Anschläge des „Islamischen Staats“ (IS). Statt sich aber für die drangsalierte Zivilgesellschaft einzusetzen, adelte Gabriel al-Sisi bei seinem letzten Besuch in Kairo mit den Worten: „Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten.“ Deutlicher lässt sich eine Realpolitik nicht auf den Punkt bringen, die Menschenrechte hintanstellt und den Antiterrorkampf an erste Stelle setzt.
Doch auch sechs Wochen nach dem verheerenden Angriff auf eine Sufimoschee im Norden des Sinais mit 311 Toten zeigt sich, dass den bewaffneten Islamisten mit militärischen Mitteln allein nicht beizukommen ist. Nach dem Anschlag hatte al-Sisi die Sicherheitskräfte angewiesen, „mit aller brutaler Gewalt“ vorzugehen. Neu ist diese Linie nicht: Seit dem Putsch gegen Staatspräsident Mohammed Mursi 2013 setzt al-Sisi erfolglos auf Gewalt, um den dschihadistischen Aufstand auf der Halbinsel Sinai niederzuschlagen. Statt Konsequenzen aus dem Scheitern seiner Antiterrorstrategie zu ziehen, weitet er die Bombardierung von Wohngebieten im verarmten Grenzgebiet zum Gazastreifen und zu Israel immer weiter aus.
Den Preis für das anhaltende Aufrüsten zahlen auch die entweder ins Exil gegangenen oder im Gefängnis gelandeten Revolutionäre vom Tahrirplatz. Sieben Jahre nach Beginn der Proteste in Kairo könnte die Bundesregierung ein deutliches Zeichen der Solidarität setzen, indem sie ihren Schmusekurs mit al-Sisi endlich beendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana