Jahrestag Breitscheidplatz-Attentat: Eine Stadt erinnert sich

Am Dienstag wird mit verschiedenen Veranstaltungen der Jahrestag des Breitscheidplatz-Anschlags begangen. Auch Nazis wollen demonstrieren.

Gedenken auf dem Breitscheidplatz Foto: dpa

Der Toten gedenken. Angehörige betrauern. Sich an den Moment erinnern, an dem man zum Überlebenden wurde. Kaum etwas, das persönlicher wäre.

Wie erinnert sich eine Stadt an einen Terroranschlag? Wessen wird wie gedacht, wer darf daran teilhaben? Fragen, die politischer nicht sein könnten.

Das ist das Spannungsfeld, in dem am kommenden Dienstag das Gedenken zum ersten Jahrestag des Terroranschlags vom Breitscheidplatz stattfindet. Da ist die persönliche, private Trauer – und da ist die Weltöffentlichkeit, die an diesem Tag auf diesen Platz schaut.

Die Ansprüche sind hoch, vielfältig und zum Teil widersprüchlich: Es soll Raum geben für das stille Gedenken der Angehörigen und Opfer. Politiker wollen sprechen, auch um den Eindruck geradezurücken, der Staat kümmere sich nicht genug um die Hinterbliebenen wie auch um die Verhinderung weiterer Anschläge. Es gibt das Bedürfnis der Stadtöffentlichkeit, den neuen Gedenkort ebenfalls besuchen zu können. Auch weit jenseits des Kreises der Opfer und Angehörigen sind Menschen auf die unterschiedlichste Art von dem Anschlag betroffen. Die vielen Sicherheitsvorkehrungen, die an diesem Tag getroffen werden, stehen dabei auch im Widerspruch zu einer möglichst leichten Zugänglichkeit. Der Evangelischen Kirchengemeinde der Gedächtniskirche kommt eine zentrale Rolle zu, gleichzeitig wird es bei all jenen, die sich einer anderen oder keiner Religion zugehörig fühlen den Wunsch geben, dass das Gedenken nicht christlich vereinnahmt wird.

Das offizielle Gedenken am Dienstag ist eng getaktet: Um 10.30 Uhr besuchen zunächst Angehörige und Opfer, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, den neuen Gedenkort. Danach finden um 11.15 Uhr eine interreligiöse Andacht und um 12 Uhr die offizielle Einweihung des Mahnmals statt, ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Um 13 Uhr wird im Abgeordnetenhaus eine Gedenkstunde abgehalten.

Für die Öffentlichkeit ist der Platz ab 14 Uhr geöffnet, dann findet eine Mahnwache auf dem Breitscheidplatz statt, die am Abend in ein ökumenisches Friedensgebet mit Konzert mündet. Um 20.02 Uhr, zum Zeitpunkt des Anschlags vor einem Jahr, sollen für zwölf Minuten die Glocken der Gedächtniskirche läuten. Die Kundgebung "Solidarität statt Hass" beginnt um 17 Uhr vor dem Zoopalast, Hardenbergstraße 29a. (mgu)

Und dann sind da noch die ­Instrumentalisierungsversuche der Rechten: Schon im letzten Jahr schreckte die AfD nicht davor zurück, die Opfer des Anschlags als „Merkels Tote“ zu bezeichnen, nur zwei Tage später hielten Parteiprominente wie Alexander Gauland und Björn Höcke eine „Mahnwache“ vor dem Kanzleramt ab, deren inhaltliche Stoßrichtung offensichtlich war: Die Flüchtlinge sind schuld. Zeitgleich versuchte die NPD, die Situation mit einem „Trauermarsch“ für ihre Zwecke zu nutzen.

Diese Versuche verfingen nicht in Berlin, zumindest nicht unmittelbar: Statt der Bilder der Rechten waren es die der Gegenkundgebung, die am nächsten Tag die Zeitungen prägten. Hunderte Menschen, die rote Herzen in die Luft hielten – ein einfaches, vielleicht naives, aber genau deshalb umso eindrücklicheres Zeichen.

Auch dieses Jahr wird zu rechten Kundgebungen in der Nähe des Breitscheidplatzes aufgerufen; schon im Vorfeld versuchte insbesondere die Identitäre Bewegung, das Gedenken für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Doch auch jetzt wird diesen Versuchen etwas entgegensetzt, auch jenseits der offiziellen Feierlichkeiten: Unter dem Motto „Solidarität statt Hass“ ruft ein Bündnis aus Initiativen zu einer Kundgebung vor dem Zoo-Palast auf. Mit dabei sind auch das Berliner Bündnis gegen Rechts, die Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und die Interventionistische Linke.

„Wir sind schockiert darüber, dass Menschen versuchen, dieses schreckliche Ereignis für ihre rassistischen Anliegen zu missbrauchen“, sagt der Bündnissprecher Martin Pfaff. „Wir wollen uns klar dagegenstellen und gleichzeitig unsere Solidarität ausdrücken mit allen Menschen, die weltweit von islamistischem Terror betroffen sind.“ Grußbotschaften aus Barcelona und Kabul sollen verlesen werden, um die Notwendigkeit einer internationalen Antwort auf Terror zu unterstreichen.

Die Forderungen des Bündnisses: Unterstützung der Hinterbliebenen, ungeachtet deren Herkunft, Aufnahme von Menschen, die vor islamistischem Terror Schutz suchen, und Unterstützung der kurdischen Kräfte in ihrem Kampf gegen den „Islamischen Staat“. „Wir wollen eine Welt, in der niemand mehr Angst vor Fanatismus und Terror haben muss“, sagt Pfaff. Ihr wichtigstes Anliegen aber sei, zu zeigen, dass sich die Stadtgesellschaft nicht spalten lasse. Auch nach einem Jahr noch eine wichtige Botschaft.

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