Kommentar Eskalation im Libanon: Jede Erschütterung ist gefährlich
Der Libanon ist Zufluchtsort für syrische Flüchtlinge. Doch der Frieden dort ist fragil. Wenn ihn die Saudis aufs Spiel setzen, betrifft das auch Europa.
W enn man daran denkt, in welchem Chaos andere Staaten des Nahen Ostens in den letzten Jahren versunken sind, dann ist der Libanon so etwas wie ein Wunder. In dem kleinen Land am Mittelmeer leben nicht nur Sunniten, Schiiten und Christen zusammen und teilen sich die Macht, meist ohne allzu großes Blutvergießen. Darüber hinaus beherbergt der Libanon eine Million syrischer Flüchtlinge und eine halbe Million Palästinenser – bei gerade mal sechs Millionen Einwohnern.
Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, an welch seidenem Faden die Abwesenheit von Krieg im Libanon hängt. Die Gefahr ist immer groß, dass die Gewalt in Syrien auf den Libanon übergreift, denn schließlich leben in der Zedernrepublik dieselben Volksgruppen wie jenseits der Grenze. Die schiitische Hisbollah-Miliz und sunnitische Extremisten kämpfen im syrischen Bürgerkrieg sogar auf verschiedenen Seiten mit.
Saudi-Arabien setzt diese heikle Balance nun aufs Spiel. Der neue starke Mann im Wüstenstaat, der junge Kronprinz Mohammed bin Salman, eskaliert in unverantwortlicher Weise den in der Region alles dominierenden Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Er agiert wie ein Halbstarker, der erstmals ein Schwert in die Hand bekommt und damit unbekümmert herumfuchtelt. Getroffen hat er dabei auch den libanesischen Premier Saad Hariri, der von Saudi-Arabien aus seinen Rücktritt erklärte. Die seltsamen Begleitumstände legen nah, dass Hariris Erklärungen von den Saudis erzwungen worden sein könnten. Angeblich kehrt er jetzt in den Libanon zurück, aber wie dieses Drama enden soll, ist unklar.
Libanon war zwar schon immer ein Gradmesser für den Zustand der Region. Aber nun kommt hinzu, dass es auch um eine Million syrischer Flüchtlinge geht. Jede Erschütterung gefährdet Libanons Fähigkeit, Zufluchtsstätte für Vertriebene zu sein. Wohin sollen sie dann gehen? Nach Europa? Allein diese Frage sollte die Europäer ausreichend motivieren, um Riad gegenüber robuster aufzutreten als bisher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“