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Du bist nicht allein

Festival Bei „disPlaced – rePlaced“ ging es um Aktivismus, türkische Diaspora und um Hoffnung in Zeiten der Aussichtslosigkeit

Gegen 19.40 Uhr vibrieren quer durch den Saal die Handys. Die Paneldiskussion zum Auftakt des genreübergreifenden deutsch-türkischen Festivals „disPlaced – rePlaced“ ist gerade zu Ende gegangen, als die Urteilsverkündung aus Istanbul den Saal erreicht.

Eine Zuhörerin bittet um das Mikrofon und verkündet vor dem versammelten Saal: 7 der 17 angeklagten Journalisten kommen frei, die anderen bleiben weiterhin inhaftiert. Gerade ging es in der Diskussion zwischen der Soziologin und Publizistin Pınar Selek, der kurdischen Musikerin Sakina Teyna, dem experimentellen Improvisationskünstler Korhan Erel und Maximilan Popp, dem Istanbul-Korrespondent des ­Spiegels, noch darum, den Mut angesichts der politischen Lage in der Türkei nicht zu verlieren. Man hatte sich bemüht, ermutigende Schlussworte zu finden, jetzt herrscht betroffenes Schweigen.

In die Stille hinein schlägt Recai Hallac, der das gesamte Festival über mit feinfühliger Stimme zwischen Deutsch und Türkisch übersetzen wird, vor, für die Journalisten zu applaudieren. Die Hoffnung, sie ist nicht so einfach kleinzukriegen.

Am nächsten Tag liest die Schauspielerin Sesede Terziyan aus „Weil sie Armenier sind“. Für die in Deutschland geborene Diaspora-Armenierin durchbrachen die Essays von Pınar Selek eine Kultur des Schweigens, der sie sich auch fernab der Heimat ihrer Eltern weiter ausgesetzt sah – was mit den Armeniern in der Türkei passierte, darüber redete man nicht.

Auch Selek selbst war jahrelang Teil dieser Kultur, ohne sich dessen bewusst zu sein. Als politisch engagierte Schülerin las sie aus Trotz verbotene Gedichte, eine Zigarette in der Hand – und verlor dabei ihre armenischen Mitschülerinnen aus den Augen, die aus Angst im Unterricht keinen Mucks taten. Als sie dann eines Tages im Gefängnis landete, erhielt sie wöchentlich zwei Briefe von einem armenischen Pastor, der ihr anhand von Geschichten aus dem Leben Jesu Mut zusprach.

Einen Stock tiefer ist im Anschluss an die Lesung die Dokumentation #direnayol zu sehen, die mit Glitch-Effekten und Soundverzerrung eine künstlerische Antwort auf die Zensurgebote der Türkei findet. Ursprünglich sollte das Ganze ein Dokumentarfilm über die türkische Trans- und Sexarbeiter-Aktivistin Şevval Kılıç werden. Doch dann kamen die Gezipark-Proteste, und die türkische LGBT-Community formte sich zum Block im Herzen des Aufstands. So zeigt der Film stattdessen die Aufstände, im Zuge deren Protestierende unterschiedlichster politischer Couleur Seite an Seite Widerstand leisteten und die Freiheit ihrer Mitmenschen als ihre eigene anerkannten. Er berichtet von der sexuellen Energie, die sich im Park verbreitete, als die Polizei zum ersten Mal den Rückzug antrat, davon, wie queere Aktivisten für einen Moment Seite an Seite mit den konservativen Nationalisten kämpften – und ihnen, als sie die Polizisten homophob beleidigten, klarmachten: „nicht die Polizisten sind die fags, sondern die Menschen, die hier gerade verbündet an eurer Seite stehen – also lasst die degradierenden Schimpfwörter weg“. Der Film zeigt auch die wenige Wochen nach den Protesten stattfindende Gay Pride, die Stimmung ist gelöst und vorsichtig optimistisch.

Nachdem der Film abgedreht war, fand in der Türkei keine einzige Gay Pride mehr statt. Und die unzähligen Briefe, die Pınar Selek im Gefängnis erhielt, wurden bei der brutalen „Operation Rückkehr ins Leben“ im Jahr 2000, welche die Hungerstreiks türkischer Gefangener brutal niederschlug und Dutzende Gefangene das Leben kostete, allesamt verbrannt. Und trotzdem hat es diesen Hoffnungsschimmer gegeben. In Form von Gedichten finden sie ihren Weg in die abendlichen Konzerte. Etwa wenn die deutsch-persische Sängerin und Komponistin Cymin Samawatie gemeinsam mit dem türkischen Improvisationskünstler Korhan Erhel Zitate der iranischen Lyrikerin Forugh Farrochzad an Goethes Signierungen über die Freiheit reiht. Oder wenn die Festivalinitiatorin İpek İpekçioğlu ihre elektronische Neuinterpretation türkischer Folklore unter die Barlama-Klänge der Österreicherin Petra Nachtmanova mischt und den alewitischen Dichter Pir Sultan Abdal rezitiert: „Wach auf, du bist nicht allein, wir sind viele.“ Donna Schons

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