piwik no script img

Gabriel zieht ab

INCIRLIK Letzter Versuch gescheitert. Im Streit mit der türkischen Regierung sieht Außenminister Gabriel keine Alternative mehr: Soldaten sollen Incirlik verlassen

Nützt ja alles nix: Sigmar Gabriel kratzt sich am Kopf Foto: Umit Bektas/reuters

Aus Berlin Martin Kaul

Schluss mit dem ewigen Zinnober: Die Soldaten sollen raus. Im Tauziehen um ein Besuchsrecht deutscher Bundestagsabgeordneter auf einem Nato-Luftwaffenstützpunkt im türkischen Incirlik hat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) die Reißleine gezogen. Beim letztem Versuch, in Ankara eine Lösung in dem festgefahrenen Konflikt zu erreichen, hatte die türkische Seite am Montag auf stur gestellt und angekündigt, deutschen Abgeordneten auch weiterhin kein Besuchsrecht bei deutschen Soldaten einzuräumen.

Gabriel sagte daraufhin in Ankara, in diesem Fall müssten deutsche Soldaten leider aus Incirlik verlegt werden. Der Prozess dazu werde nun spätestens nächste Woche anlaufen. Die Entscheidung muss allerdings der Bundestag treffen. Die Abgeordneten bestehen auf ihr Besuchsrecht, weil sie als Auftraggeber der Parlamentsarmee die Möglichkeit haben wollen, deren Arbeit selbst zu kontrollieren.

Damit hat sich aus dem Konflikt, der Mitte 2016 als politische Posse begann, ein solider Störfall innerhalb der Nato entwickelt. Hintergrund der Auseinandersetzung sind zahlreiche Verstimmungen zwischen der Türkei und Deutschland.

Im Juli 2016 hatte die Türkei erstmals deutschen Verteidigungspolitikern aus dem Bundestag einen Besuch bei den Soldaten verwehrt. Die Bundeswehr soll vom Luftwaffenstützpunkt mit Aufklärungsflügen den Kampf gegen IS-Milizen in Syrien unterstützen (siehe unten). Hintergrund der Entscheidung war die sogenannte Armenier-Resolution des Bundestages, mit der das Parlament den türkischen Völkermord an den Armeniern als solchen bezeichnete. Die türkische Regierung lehnt diesen wissenschaftlich belegten Befund ab und strafte die Parlamentarier mit dem Besuchsverbot. Der Stützpunkt liegt auf einem Landstück, das durch Enteignungen an Armeniern in Besitz des Osmanischen Reiches gekommen war.

Auch die CDU redet nun über einen Umzug nach Jordanien

Die Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland gehen jedoch tiefer: Erst am Montag erneuerte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu seine Behauptung, der in der Türkei inhaftierte Welt-Korrespondent und frühere taz-Redakteur Deniz Yücel habe als Spion gearbeitet (Anmerkung der Redaktion: LOL!). Çavuşoğlu verlangte die Auslieferung von Gülen-Anhängern und ein härteres Vorgehen Deutschlands gegen die PKK. Umgekehrt kritisierte die deutsche Bundesregierung das türkische Vorgehen gegen Andersdenkende und bot zuletzt zahlreichen türkischen Diplomaten Asyl in Deutschland.

Und so erhielt Gabriel am Montag viel Unterstützung in Deutschland. Sämtliche Oppositionsparteien – von der Linken, über die Grünen und FDP zur AfD – forderten ebenso wie SPD-Politiker den Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik. Auch aus der CDU, die zuletzt reservierter über einen Truppenabzug gesprochen hatte, mehrte sich die Kritik an der türkischen Haltung. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen forderte die Bundesregierung auf, darzulegen, ob die Truppe auch von Jordanien aus ihr Mandat erfüllen könne. Das Verteidigungsministerium hatte im Mai bereits ein Erkundungsteam der Bundeswehr in das Land geschickt, um einen neuen Standort zu prüfen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen