: Die Kriegsparteien sollen sich selbst überwachen
SyrienDas Astana-Abkommen über Deeskalationszonen in Syrien sieht vor, dass Russland, der Iran und die Türkei die Feuerpausen in bestimmten Gebieten überwachen. Das ist paradox, aber besser als die ungehemmte Fortsetzung des Blutvergießens
von Karim El-Gawhary
Die Kampfhandlungen in Syrien sind rückgängig, auch wenn in einigen Gebieten rund um die Hauptstadt Damaskus und in Zentralsyrien, nördlich von Hama, noch geschossen wird. Das bestätigten Rebellengruppen wenige Tage nach Inkrafttreten der neuesten Übereinkunft, die eine Wende im syrischen Bürgerkrieg bringen soll.
Was wurde vereinbart?
Der Name ist Programm. Nicht „Schutzzonen“ werden sie genannt, wie sie schon lange für die Zivilisten im syrischen Bürgerkrieg gefordert wurden, sondern „Deeskalationszonen“. Das sind vier von den Rebellen kontrollierte Gebiete, in denen fortan nicht mehr gekämpft werden soll. So haben es Russland, der Iran und die Türkei in der vergangenen Woche in Astana beschlossen. Deren Truppen sind es auch, die den Gürtel zwischen den Zonen und den vom Regime kontrollierten Gebieten sichern und die dortige Waffenruhe überwachen sollen. Auch aus der Luft darf nicht mehr bombardiert werden. Es soll auch sichergestellt werden, dass humanitäre Hilfe die Gebiete erreicht. Es gilt eine Probezeit von sechs Monaten.
Wo liegen die Zonen?
Die syrische Regierung lehnt eine Überwachung der geplanten Deeskalationszonen durch die Vereinten Nationen ab. Sie werde auch nicht akzeptieren, dass „internationale Kräfte“ dabei eine Rolle spielen, sagte der syrische Außenminister Walid Muallim in Damaskus.
Muallim sprach sich für eine Überwachung durch „Militärpolizei“ aus. Offen blieb jedoch, wessen Militärpolizei er meinte.
Laut der Vereinbarung von Russland, Iran und der Türkei sollen deren eigene Truppen die Zonen kontrollieren. „Drittparteien können eingesetzt werden“, heißt es. (afp, taz)
Geografisch gilt die Übereinkunft für die Provinz Idlib, die an Aleppo angrenzt und in die viele Menschen geflohen sind, nachdem Ost-Aleppo im vergangenen Jahr von Regimetruppen erobert wurde. Das ist das größte zusammenhängende Rebellengebiet. Von der Opposition gehaltene Vorstädte von Damaskus sind ebenso einbezogen wie ein Gebiet nördlich der Stadt Homs im Zentrum des Landes, in dem Rebellen Territorium kontrollieren. Auch die Rebellenenklave in Deraa und Kuneitra an der jordanischen Grenze ist Teil des Abkommens.
Die Erfolgschancen
Die Frage ist, ob der Deal, der von keiner der syrischen Kriegsparteien unterzeichnet wurde, eine ähnlich schwache Geburt ist wie der Waffenstillstand, den Putin mit der Türkei und dem Iran im Dezember vereinbart hatte. Dieser hat nicht zum Ende der Kriegshandlungen geführt. Jetzt herrscht die größte Skepsis aufseiten der Rebellengruppen. In einer Erklärung des obersten Verhandlungskomitees der Rebellen heißt es, dass der Plan keinerlei Garantien oder Mechanismen enthalte, wie er durchgeführt werden soll.
International herrscht sehr vorsichtiger Optimismus, wohl auch weil die Zonen derzeit „the only game in town“ sind. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, erklärte, der Plan sei ein Schritt in die richtige Richtung. UN-Generalsekretär António Guterres nannte das Übereinkommen ermutigend. Im US-Außenministerium gibt man sich nicht grundsätzlich ablehnend, ist angesichts der iranischen Mitarbeit aber skeptisch.
Die Fallstricke des Deals
Ein Paradox stellt den Plan infrage. Ausgerechnet diejenigen, die die Rebellengebiete bombardiert und angegriffen haben, sind diejenigen, die den Deal überwachen sollen. Russland hat die Rebellengebiete aus der Luft bombardiert, vom Iran kontrollierte Milizen versuchten, die von den Rebellen kontrollierten Gebiete am Boden zu erobern. Auch die Türkei kämpft militärisch in Syrien, vor allem gegen die Kurden. Es gibt also ein Glaubwürdigkeitsproblem. Alle drei Staaten sind aktive Kriegsparteien in Syrien, die sich nun über Nacht zu Friedenstruppen wandeln sollen. Möglicherweise hat man den Bock zum Gärtner gemacht. Aber es gibt derzeit keine neutralen Truppen in Syrien, die eine Waffenruhe überwachen könnten, obwohl diese Möglichkeit dem neuen Abkommen zufolge zumindest theoretisch besteht.
Ein weiteres Problem ist die vage Formulierung, wie die Deeskalationszonen aussehen sollen. Wo genau deren Grenzen liegen, ist genauso wenig formuliert wie die Frage, wie viele und welche Truppen dafür eingesetzt werden sollen. Mit einer Friedenstruppe mit UN-Mandat, die üblicherweise in solche Einsätze geschickt wird, hat das Ganze nichts zu tun. Hier sollen sich die Kriegsparteien selbst überwachen.
Was kommt als Nächstes?
Die Deeskalationszonen könnten sich als Weg erweisen, die Kampfhandlungen in Syrien zurückzuschrauben und eine Situation zu schaffen, in der weitere Schritte zur Beendigung des Krieges verhandelt werden können.
Möglich ist aber auch, dass das Abkommen an seinen vagen Formulierungen und Widersprüchen scheitert. Das könnte eine Situation schaffen, die noch instabiler ist als die derzeitige. So könnten beispielsweise die beiden heutigen Blöcke – Russland, Iran und das syrische Regime auf der einen und die Türkei und Rebellen auf der anderen Seite – auseinanderbrechen und jeder sein eigenes Süppchen kochen. Erste Widersprüche zwischen Russland, dem Iran und dem Regime schimmern schon heute durch. Auch die Rebellen und die Türkei beäugen sich mittlerweile skeptisch. Das könnte dazu führen, dass sich der Konflikt noch stärker atomisiert und verselbstständigt. Das würde die Situation verkomplizieren, da es noch schwerer sein würde, Gesprächspartner für Friedensverhandlungen zu finden.
Mangels besserer Optionen sind die Deeskalationszonen trotz der eingebauten Fallstricke und Widersprüche derzeit allemal besser als die ungebremste Fortsetzung des Krieges – mit all den offenen Fragen und Risiken, die mit dem Astana-Abkommen verbunden sind. Es ist derzeit die einzige Hoffnung für die kriegsmüde syrische Zivilbevölkerung.
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