Leben und Leiden eines Stars: „Verzeiht mir“

Die Sängerin Dalida lebte auf der Bühne. Sie hat 150 Millionen Alben verkauft. Depression und Todessehnsucht waren auch ihre Begleiter.

eine Frau in Nahaufnahme

Die ägyptische Sängerin Dalida 1982. Sie war 54 Jahre alt, als sie im Mai 1987 mit einer Überdosis Schlafmittel ihrem Leben ein Ende setze Foto: dpa

PARIS taz | Charles de Gaulle steht an erster Stelle, dahinter Dalida an zweiter. So ist das Ranking seit Jahren – in Umfragen, die nach der einflussreichsten Persönlichkeit in Frankreich suchen. Über 1.000 Lieder in 15 Sprachen hat die Sängerin aufgenommen, über 150 Millionen Alben verkauft, als weltweit erste Künstlerin eine Diamantene Schallplatte erhalten. Und sie ist mit den höchsten Orden der Republik dekoriert.

Am 3. Mai nun ist es 30 Jahre her, dass Dalida, diese „schwarze Orchidee“, starb, sich das Leben nahm. „Das Leben ist mir unerträglich geworden, verzeiht mir“, schrieb die androgyne Frau mit dem leichten Silberblick, der blonden Löwenmähne, dem tiefen Timbre und dem rollenden R zuvor auf einen Zettel.

Jetzt, dreißig Jahre später, an einem grauen, verregneten Sonntagnachmittag im März, wirkt Paris wie eine Leinwand für den neuen Film über die Diva, eine Filmbiografie über sie, die erste. Auch sonst laufen überall in Paris die Vorbereitungen für die großen Erinnerungsveranstaltungen im Mai: Ausstellungen, Konzerte, Buchvorstellungen, Matinees.

Und an der Place Dalida wird gerade das Messingschild unter der Büste Dalidas gereinigt. Es gibt neben der in Ägypten geborenen Sängerin nur zwei weitere Frauen in der französischen Hauptstadt, von denen Statuen in der Öffentlichkeit stehen: die Schauspielerin Sarah Bernhardt und Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orléans.

Touristen berühren die Brüste der Büste

Dalidas Bronze steht unweit von ihrem Wohnhaus auf dem Montmartre, dem über den Dächern der Stadt gelegenen legendären Künstlerviertel, von wo aus einem Paris zu Füßen liegt. „Wir sind wegen ihr nach Paris gekommen. Sie ist unser größter Star“, sagt ein Tourist aus Kairo und greift an die Brüste der Büste, vor der er mit Freunden steht und Selfies macht. „Fass die Frau nicht an. Sie ist auch unser Star“, ruft ein libanesischer Tourist, lachend schlägt er dem Ägypter auf die Hände.

Täglich kommen Touristen hierher, viele aus Ägypten und dem Libanon, wo Dalida 1977 eine Konzerttournee mit dem auf Arabisch gesungenen Hit „Salma Ya Salama“ feierte. In Deutschland war Dalida zu Lebzeiten ebenfalls auf allen Kanälen. Heute kennt man sie hier am ehesten noch aus ihrem Duett mit Alain Delon, „Paroles, paroles“.

Auf dem Montmartre beginnt es erneut zu regnen, und die arabischen Touristen fangen spontan an zu singen: „Il y a ceux qui veulent mourir un jour de pluie. Et d’autres en plein soleil. Moi qui ai tout choisi dans ma vie, je veux choisir ma mort aussi. Je veux mourir sur scène“. – Es gibt die, die an einem Regentag sterben wollen. Und andere in der prallen Sonne. Ich, die ich alles entschieden habe in meinem Leben, ich werde auch meinen Tod aussuchen. Ich will auf der Bühne sterben.

Das Lied ist eine Metapher für ihr Leben

Diese Hymne, „Mourir sur scène“, ist einer von Dalidas größten Erfolgen und wurde posthum zur musikalischen Metapher ihres Lebens. Sie stammt aus dem Jahr 1983 – dem Jahr, in dem Dalidas langjähriger Geliebter Richard Chanfray Selbstmord beging. Er war nicht der Erste. Er war der dritte Geliebte, der sich tötete.

Dalidas Biografie hätte sich auch ein Blockbusterregisseur ausdenken können. Dalida, als Yolanda Gigliotti 1933 in Kairo geboren, Tochter italienischer Einwanderer, wächst ohne ihren Vater auf, der, Erster Geiger an der Kairoer Oper, nach dem Zweiten Weltkrieg als Kollaborateur der italienischen Faschisten interniert wird.

Die seit einer in jungen Jahren erlittenen Augenentzündung leicht schielende Schönheit wird 1954 Miss Ägypten. Im selben Jahr fliegt sie allein nach Paris. Sie will die Welt erobern, Schauspielerin werden. Doch mit ihrem starken Akzent kommt sie nicht weit.

Als sie die Spanierin Gloria Lasso im Radio Französisch mit Akzent singen hört, wittert sie ihre Chance. Sie beginnt zu singen, gewinnt eine Talentshow und steht 1956 zum ersten Mal auf der Bühne des Olympia, der ältesten Music Hall von Paris, wo schon Josephine Baker und Edith Piaf groß wurden.

Dalidas Lied „Bambino“ ist ein Jahr lang Nummer 1 in den französischen Charts, sie wird zur „Königin der Jukebox“, ihr Lidstrich und ihre immer eleganteren und opulenteren Garderoben machen sie zum Modevorbild. Sie hat unzählige Affären, heiratet 1961 ihren Entdecker, den Produzenten Lucien Morisse, verlässt ihn einen Monat später für einen polnischen Künstler und trifft den italienischen Sänger Luigi Tenco, was ihr Leben in Richtung Tragödie verändern wird. Sie verliebt sich in diesen Bob Dylan Italiens und tritt mit ihm 1967 beim wichtigsten europäischen Musikfestival in San Remo auf.

Ihr Freund erschießt sich

Doch Tencos Lied, das ausgerechnet „Ciao amore, ciao“ heißt, kommt nicht ins Finale. Tenco erschießt sich im Hotel und hinterlässt eine Nachricht: „Ich tue dies nicht, weil ich des Lebens überdrüssig bin, sondern als Akt des Protests gegen das Publikum.“

Dalida fällt in tiefe Depression, unternimmt einen Selbstmordversuch, vergräbt sich in ihrem Haus und liest Sigmund Freuds „Unbehagen in der Kultur“, und Jean-Bertrand Pon­talis’ „Nach Freud“. „In dieser Zeit beginnt die Phase der zweiten ­Dalida“, sagt ihr jüngerer Bruder Orlando, der zu dem Zeitpunkt ihr Manager und Produzent ist und bis heute ihr Erbe verwaltet.

Die erste Dalida hatte schwarze Haare, ihre Lieder waren hell, fröhlich, unbeschwert. Die zweite ist blond, ihre Lieder sind dunkel, leidend und fatalistisch. Diese Lieder gehören zu ihren schönsten: „Pour ne pas ­vivre seul“, „Je suis malade“, „C’est fini la comédie“, „Ils ont changé ma chanson“, Lieder von großer Düsterheit. Als Dalida wieder auf die Beine kommt und nach vier Jahren ihr erstes Album aufnimmt, erschießt sich 1970 ihr Exmann Morisse am Küchentisch.

In der ersten Hälfte der 70er Jahre tritt Dalida meist in weißem Kleid, mit strähnigem Haar und schmerzverzerrtem Gesicht auf. Sie ist keine Helene Fischer, sondern eine Helene Waigel oder eine Maria Callas des Chansons: Dalida singt nicht, sie spielt. Ihre Gesten und Mimiken sind so ­intensiv wie die einer Stummfilmdarstellerin. Wie diese liefert sie sich den Texten auf der Bühne so sehr aus, dass sie am Ende minutenlang in sich zusammenfällt oder den Kopf im Nacken liegen lässt, wie ein lebloser Körper nach einem Todeskampf.

Modern in unmoderner Zeit

An Dalidas mit Dutzenden frischen Blumensträußen geschmücktem Grab auf dem Friedhof Montmartre steht Lisa Azuelos, die Regisseurin des Biopics, das gerade überall in Frankreich zu sehen ist. „Ich wollte einen Film über die Einsamkeit machen, über die Suche nach Liebe und den Tod“, sagt sie. Azuelos ist außer für ihre Filmen für ihre Kampa­gnen gegen Frauenfeindlichkeit bekannt. „Dalida hatte das Pech, eine moderne Frau in einer Zeit zu sein, die das nicht war.“

Azuelos spielt darauf an, dass Dalida mit Anfang 30 einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließ, nach dem sie unfruchtbar wurde. Laut Dalidas Biografin Catherine Rihoit litt Dalida sehr darunter, keine Kinder zu haben. Was in der Biografie aber nicht steht: Dalida war schwanger. Von einem 11 Jahre jüngeren Mann, um den es in ihrem Hit „Il venait d’avoir 18 ans“ geht. Ob sie das Kind einfach nur nicht haben wollte oder kein Kind, das damit konfrontiert würde, nach damaligem Verständnis aus einer Skandalbeziehung hervorgegangen zu sein, lässt sich nicht mehr ­klären.

Dalida, das erfährt man auch, wenn man sich durch die unzähligen TV-Interviews gräbt, hatte paradoxerweise die Bühne als ihren Rückzugsort vor der angriffslustigen Öffentlichkeit gewählt. Auf der Bühne aber gibt es nur ein Leben „als ob“. Als ob die Realität vor dem Saal nicht existiert. So sagt sie beispielsweise einem Reporter: „Ich weiß jetzt, warum ich singe: um eine Frau zu sein. Es ist der einzige Moment, in dem ich Frieden finde.“

In einer TV-Sendung von 1985 – da ist sie in ihrer dritten Phase, der „Queen of Disco“ – fragt eine Studentin sie, ob sie wirklich der Meinung sei, ihr Leben ohne Kind und Ehemann sei erfolgreich. Dalidas Gesicht gefriert kurz, dann antwortet sie, was alle hören wollen: „Ja, ich habe versagt.“ Dalida scheute sich, ihr Publikum zu konfrontieren, und fügte sich öffentlich in die Rolle der Femme fatale. „Je suis toutes les femmes“, singt Dalida 1979, ein Lied, das sich heute so wie fast alle ihre Lieder als eindeutige Botschaft lesen lässt. Als Botschaft einer unerbittlichen Universalistin, für die das Leben außerhalb der Bühne zu eng war. „Die Chansons sind meine Kinder, ich bin mit der Bühne verheiratet, und wenn ich auftrete, ist das wie Geschlechtsverkehr“, sagt sie in einem anderen Interview.

Da war Todesahnung

Zwischen Place Dalida und Dalidas Wohnhaus liegt das alte Kino „Studio 28“. Seit zwei Monaten läuft hier Azuelos Film. Es ist Sonntagnachmittagsvorstellung. Etliche Frauen unterschiedlichen Alters sind allein gekommen. Zwei Freundinnen, beide Mitte 30, Hipster-Style, die während des Films immer wieder den Kopf einziehen, um ihre Tränen zu verstecken, erzählen nach der Vorstellung, wie sie den Film fanden: „Durch den Film hab ich die Lieder erst richtig verstanden“, sagt eine. „Die lebte in einer anderen Welt als wir. Aber sie hat die gleichen Kämpfe geführt. Für die Freiheit der Frau.“

Um die Ecke, in der kleinen rue d’Orchamp, steht ein französisches Ehepaar vor Dalidas Wohnhaus. „Als junge Frau hab ich immer so sein wollen wie sie“, sagt die Dame und greift sich in ihre ondulierten grauen Haare. „So frei, so selbstbewusst, so lebenshungrig.“

1986 spielt Dalida ihre erste Hauptrolle in dem Film „Le si­xième jour“ des ägyptischen Regisseurs Youssef Chahine. Ohne Lidstrich, ohne Lippenstift, die Haare unter einem schwarzen Schleier, erzählt sie in einem Interview am Set, dass sie in dieser Verkleidung ihre Identität verloren habe. „Ich weiß nicht mehr, wer Dalida ist.“ Ein paar Monate später ist Dalida tot.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.