Kommentar Nordkorea: Mehr Verständnis gesucht

Wer die Atomkrise lösen will, muss sich mit den Motiven der Aufrüstung befassen: die Bombe als Überlebensgarantie für das Regime.

Ein Raketenmodell, zwei Frauen, viele Blumen

Ein Raketenmodell bei einem Blumenfest in Pyöngyang Foto: dpa

Die Nordkoreakrise ist auch eine von Medien gemachte Krise: Als Katalysator um die allgemeine Kriegshysterie diente die Behauptung von NBC News, Washington würde einen Erstschlag gegen Pjöngjang vorbereiten.

Bei kaum einen anderen Thema hätte ein Bericht eines amerikanischen TV-Senders, der sich ausschließlich auf anonyme Quellen beruft, von offizieller Seite umgehend dementiert und von Experten als „Angstmacherei“ bezeichnet wird, derart hohe Wellen geschlagen: Fast alle Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen und Online-Medien haben die aufmerksamkeitsversprechende Überschrift trotz der dünnen Quellenlage angenommen.

Längst deutet jedoch vieles darauf hin, dass sich Donald Trumps Nordkorea-Strategie gar nicht so fundamental von seinem Vorgänger unterscheiden wird. Klar, die aggressive Rhetorik wurde um ein paar Stufen aufgedreht, doch einen Krieg in der Region mit möglicherweise mehreren Millionen Opfern scheint auch der US-Präsident nicht leichtfertig in Kauf nehmen zu wollen.

Vielleicht haben es die Südkoreaner richtig gemacht – und auf die Angst um einen Krieg vor der eigenen Haustür mit demonstrativer Gelassenheit reagiert. Jedes Jahr erleben sie schließlich dasselbe Theater von Neuem: Im Frühling beginnen die gemeinsamen Militärmanöver mit den US-Streitkräften, Nordkoreas empört sich und startet einen Raketentest, der wiederum von der internationalen Gemeinschaft verurteilt wird. Im letzten Akt flauen die Spannungen schließlich wieder ab – bis zur nächsten Krise, denn das gut einchoreografiertes Stück läuft seit Jahrzehnten in Dauerschleife.

Was natürlich nicht heißt, dass es dabei zu verheerenden Fehleinschätzungen kommen kann. Zumal, wenn ein neuer Spieler wie Trump das Parkett betritt, der nicht nur mit traditionellen Regeln bricht und aus dem Bauchgefühl zu handeln scheint, sondern auch seine Ahnungslosigkeit ganz offen zur Schau stellt.

Libyen als abschreckendes Beispiel

Legendär ist Donald Trumps Ausspruch über das gemeinsame Treffen mit Xi Jinping im Feriendomizil in Florida, bei dem er seinem Kollegen dazu drängen wollte, sich doch endlich des Nordkorea-Problems anzunehmen. Xi hielt Trump darauf hin eine Standpauke über die komplexe und durchaus schwierige Beziehung zwischen China und Nordkorea. „Nach zehn Minuten Zuhören realisierte ich, dass es doch nicht so einfach ist“, erinnert sich Trump später in einem Interview.

Es ist geradezu paradox: Die Amerikaner nehmen Nordkorea zwar als dringlichstes außenpolitisches Problem wahr, doch scheinen keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, die Sichtweise ihres Gegners zumindest im Ansatz nachvollziehen zu wollen. Das gegenseitige Misstrauen ist nämlich durchaus für beide Seiten gerechtfertigt.

Seit den 50er Jahren, als hunderte Nuklearbomben in Südkorea stationiert waren, hat Nordkorea die Atommacht Amerikas im Nacken. Nach der Jahrtausendwende beobachtete das Regime am Beispiel des Diktators Muammar al-Gaddafi in Libyen, was ihm drohen könnte, wenn es das Waffenprogramm aufgibt. Dass also für den Despoten Kim Jong Un eine nukleare Lebensversicherung als durchaus erstrebenswert erscheint, ist keinesfalls abwegig, sondern aus seiner Sicht sinnvoll und logisch.

Erst wenn man den Zweck der nordkoreanischen Atombombe wirklich begriffen hat, kann man erfolgreiche Verhandlungen über eine Abrüstung führen. Entgegen der öffentlichen Meinung ist es dafür nicht zu spät. Zumindest ein Stillstand des Programms oder UN-Kontrollen sind mittelfristig in Reichweite. Wer jedoch schon die Verhandlungen an die Vorbedingung einer vollständigen Abrüstung knüpft, hat daran kein ernsthaftes Interesse.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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