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Flagge zeigen?

TerrorWelcher Toten soll man am Brandenburger Tor gedenken? Briten? Russen? Darüber streitet Deutschland – am Tag eines mörderischen Angriffs auf Zivilisten in Syrien mit 58 Giftgas-Opfern

Es ist schon fast ein Ritual: Nach jedem Terroranschlag, der die Welt bewegt, werden die Nationalfarben des betroffenen Landes auf ein bekanntes Gebäude gestrahlt. Eiffelturm, Freiheitsstatue, Tower Bridge, die ägyptischen Pyramiden, Türme in China oder Dubai, das Brandenburger Tor – mit Toten in Frankreich, Belgien, Deutschland, Großbritannien, der Türkei, Russland, auch Indien und Pakistan und anderen Ländern zeigten Metropolen Solidarität.

In Syrien hat es jetzt den wohl schwersten Chemiewaffenangriff seit fast vier Jahren gegeben. Mindestens 58 Zivilisten sind tot, darunter viele Kinder. Die Regierung behauptet, ihr Luftangriff auf einen Ort im Rebellengebiet habe einer Giftgasfabrik gegolten. Selbst wenn das stimmen würde, wofür derzeit nichts spricht – der Angriff an sich ist unbestritten, ebenso seine zivilen Opfer, und es wurde nachträglich ein Lazarett bombardiert. Es ist nach allen Maßstäben ein Verbrechen. Sind die syrischen Sarin-Opfer es nicht wert, dass man ihrer gedenkt? Welche Solidarität zeigt die Weltgemeinschaft mit den Hunderttausenden Toten des Syrienkriegs überhaupt oder den Opfern staatlichen Terrors weltweit? Die Frage wurde bereits während des Bombenterrors in Aleppo gestellt. Sie ist jetzt wieder aktuell.

In Deutschland wird nämlich gerade diskutiert, warum es für die Terroropfer von London am 22. März gleich ein Farbenspiel am Brandenburger Tor gab, aber erst einmal nicht für die Terroropfer von St. Petersburg am 3. April. Sind Russen weniger wichtig als Briten? Natürlich nicht. Nun schlug Berlins Kultursenator vor, noch einmal die russischen Farben einzusetzen und dann mit dem Brauch ganz Schluss zu machen. Was ist also mit Syrern? Nigerianern? Afghanen?

Eine Flagge ist auch ein politisches Statement. Syriens rot-weiß-schwarze Staatsflagge wird seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime von allen Oppositionellen abgelehnt, als Kampfflagge einer Diktatur. Die Revolutionäre machten sich die grün-weiß-schwarze Flagge der Vor-Assad-Ära zu eigen, als Symbol des freien Syriens. Von den Revolutionären ist nicht viel übrig, zermalmt zwischen einem mörderischen Staatsapparat und der menschenverachtenden schwarzen Fahne des Dschihadismus. Aber auf das, was übrig ist, zielte der Luftangriff von Chan Scheichun, und die toten Kinder sind Opfer von Terror. Wenn man Terroropfer ehren will, dann auch sie. Und auch in Berlin. Dominic Johnson

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Pro & Contra zu Farben am Brandenburger Tor

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