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Beschreibung sexualisierter GewaltDebatte statt Hetze

Nach einem Text in der taz zum Thema Vergewaltigung bekommt die Autorin Vergewaltigungsdrohungen – aber auch differenzierte Kritik.

Das sieht nicht unbedingt nach solidarischer Diskussionsbereitschaft aus Foto: photocase/stefan m.

Es gibt sie, diese Texte, die man zweimal lesen muss. Einmal für den Überblick, ein zweites Mal, nachdem man sich den Schaum vom Mund gewischt hat. Mithu Sanyal und Marie Albrecht haben einen solchen in der taz veröffentlicht.

Sie beschäftigen sich darin mit dem Begriff „Opfer“ in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt und argumentieren, dass mit „Opfer“ bestimmte Vorstellungen verbunden sind, aus denen es schwer sei auszubrechen. Daher brauche es eine andere, aktivere Selbstbeschreibung. Sie schlagen „Erlebende sexualisierter Gewalt“ als mögliche Form vor.

Darüber lässt sich streiten, unbedingt. Ebenfalls in der taz erschien ein Debattenbeitrag von Simone Schmollack. Die Passivität, die Sanyal und Albrecht in ihrem Text am Opferbegriff kritisieren, hält Schmollack gerade für wichtig.

Später veröffentlichte der Blog „Störenfriedas“ einen „Offenen Brief gegen die sprachliche Verharmlosung sexueller Gewalt“, der gegen Sanyals These Unterschriften sammelte. Darüber wiederum berichtete die Emma.

Ungeladene Gäste

Mit der steigenden Aufmerksamkeit für den Text kam der Hass – denn rechte Trolle sind leider treue Leser feministischer Seiten. Mittlerweile ist bei „Politically Incorrect“ ein Eintrag zu finden, in dem direkt auf Sanyals E-Mail-Adresse verwiesen wird. Diese ist ohnehin zugänglich, ja, aber auf einer Seite, die Sanyals These als „Ideologie der Menschenverachtung“ beschreibt, ist die Veröffentlichung nur schwer anders als eine Einladung zu Hass-Mails zu verstehen. Natürlich bittet die Seite aber um eine „höfliche und sachlich faire Ausdrucksweise“.

Wie höflich die E-Mails sind, die Sanyal nun bekommt, beschreibt die Autorin in einem Beitrag bei der Huffington Post: Ihr schrieben Menschen, „die mich nicht kennen und nichts über mich wissen, und wünschen mir, dass ich vergewaltigt werde, weil sie Opfer schützen wollen. Wie kann das Schutz von Opfern sein?“

Die „Wünsche“ in anderen Nachrichten sind noch brutaler. An anderer Stelle im Netz seien ihre Telefonnummer und Adresse veröffentlicht worden. Woher kommt der Hass?

Oft wird in den Beiträgen angenommen, dass Sanyal, weil sie als Expertin für dieses Thema gilt, nie Gewalterfahrungen gemacht habe. 40 Prozent der Frauen über 16 Jahren in Deutschland haben körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Die Koautorin des Textes hat sexualisierte Gewalt erfahren und im Heimweg-Blog der taz darüber geschrieben.

Sachliche Kritik

Überhaupt: Der Wunsch, einen anderen Begriff für Opfer sexualisierter Gewalt zu finden, entsprang einer Debatte unter Opfern sexualisierter Gewalt, die meinten: „Ich bin kein Opfer.“ Diese Aussagen ernst zu nehmen ist nun genauso wichtig wie diejenigen, die der genau entgegen gesetzten Meinung entspringen.

Während sich die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch en détail und sehr differenziert kritisch mit den Argumenten Sanyals und Albrechts auseinandersetzt, werden in dieser „Debatte“ ansonsten Textstellen der Autorinnen wiederholt so verkürzt dargestellt, dass sich so auch gar nicht erst sinnvoll diskutieren lässt.

So werden aus „Erlebenden sexualisierter Gewalt“ im Originaltext nur noch „Erlebende“. Außerdem heißt es, die beiden Autorinnen würden fordern, überhaupt nicht mehr von „Opfern“ zu sprechen. Dabei schreiben sie explizit: „Selbstverständlich soll ‚Erlebende‘ andere Bezeichnungen nicht ersetzen.“ Mit jedem Teilen des Textes im Netz geht ein bisschen Wahrheit verloren.

Es geht schon längst nicht mehr um den Text. Wir sehen hier eine Netzjagd auf eine Frau, wie sie leider immer wieder zu beobachten ist. Debatten sind gut. Debatten sind wichtig. Aber was ist eine Debatte wert, die dazu führt, dass eine Frau Vergewaltigungsdrohungen zugeschickt bekommt? Wie müssen Medien damit umgehen, dass sie ihre Autor*innen realer Gewalt aussetzen, wenn sie sie über Triggerthemen wie Feminismus oder sexualisierte Gewalt schreiben lassen? Mithu Sanyal erlebt gerade verbale Gewalt. Sie ist Opfer verbaler Gewalt. Und hier ist es nun reichlich egal, wie wir diesen Satz bilden.

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15 Kommentare

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  • Gewalt zu erfahren, sich damit auseinander zu setzen und das aufzuarbeiten, ist für alle Geschlechter alltäglich. Aber die Art und Weise der Konfrontation mit Gewalt unterscheidet sich je nachdem, ob wir männlich, weiblich oder transgeschlechtlich sind. Traditionell gilt die Fähigkeit, sexuelle Gewalt auszuhalten, bei Mädchen und Frauen als erwünscht. So eine Haltung erleichtert den Männern den Sexualverkehr mit der jeweiligen Partnerin. Hochzeitsbräuche und Mythen über den ersten Sexualakt veranschaulichen das. Mag er, ob aus Unerfahrenheit, Aggression oder Sadismus heraus auch noch so ungeschickt, grob oder brutal vorgehen, sie hält still. Oder besser noch: macht mit, tut so, als ob ihr das alles Freude bereite. Eine Frau, die das klaglos aushält, sogar ihren Mann noch in seiner Sexualität bestätigt, gílt als gute Partnerin und wird, so mutmaßt man, auch die Schmerzen und Belastungen einer Geburt besser aushalten. Treu ergeben, robust, aber anschmiegsam. In der Pornokultur, dem Zerrspiegel des sexuell Verdrängten führen diese eigentlich als überkommen angesehenen Vorstellungen ein munteres Dasein.

    Von Jungen und Männern erwartet unsere Kultur dagegen, sich ständig mit Seinesgleichen zu messen und auseinanderzusetzen. Auch mit Gewalt. ER muss austeilen, aber auch einstecken können, sonst ist er kein „richtiger“ Mann. Das führt dazu, dass wir die vielen männlichen Opfer sexueller Gewalt, Übergriffigkeit und Misshandlung gar nicht wahrnehmen.

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    “Diese Aussagen ernst zu nehmen, ist nun genauso wichtig, wie diejenigen, die der genau entgegen gesetzten Meinung entspringen.”

     

    Damit habe ich ein Problem. Die Annahme das jede Meinung wertvoll und alle Meinungen erstmal gleichwertig wichtig sind halte ich für ausgemachten Unsinn.

    Wer solche Vorschläge macht der muss sich auch fragen wie praktikabel ist das und wie gut kann man das vermitteln! Hätte man sich diese Gedanken gemacht wäre uns der Artikel sicher erspart geblieben. Das gilt nicht nur für besagten Artikel, sondern für alle Ansätze die auf einer künstlich herbezuführenden Modifikation der Sprache basieren.

     

    Was ich an dieser ganzen Sprachfrickelei echt pervers finde ist der dahinter stehende Gedanke. Und der ist soweit ich das sehe: Man hat das Recht anderer Menschen Sprache so zu modifizieren das Gesagtes dem eigenen Selbstbild nicht widerspricht. Das ist Narzissmus pur!

    Diesem Wunsch nachzugeben wäre inetwa so hilfreich wie einem trockenen Alkoholiker eine Flasche Vodka zu spendieren. Menschen die Vergewaltigt wurden haben mein volles Mitgefühl und grade deshalb werde ich ihnen nicht aktiv dabei helfen sich vor der Verarbeitung mit solch billigen Tricks zu drücken! Und ja ich bin der Meinung das es in jedem Fall einer aktiven Verarbeitung bedarf!

     

    “Mithu Sanyal erlebt gerade verbale Gewalt. Sie ist Opfer verbaler Gewalt.”

     

    Verbale Gewalt,... echt jetzt?

    • @33523 (Profil gelöscht):

      Sie haben sämtliche Gedanken.

       

      Dass die Leser den Schreibern einer Zeitung vorraus sind, beruhigt mich.

      Sie sollten Artikel schrieben.

       

      Verbale Gewalt: Vielleicht ungeschickt ausgedrückt, aber: Bei (ernstzunehmender) Androhung von Gewalt bzw. dem Aufruf hierzu begibt man sich ausserhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit (meine Meinung).

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @Oi Gevalt!:

        "Sie sollten Artikel schrieben."

         

        Vielen Dank! Allerdings sehen das hier sicher nicht viele so und ich habe da auch keine Ambitionen. Schreiben tue ich hier hauptsächlich um andere Standpunkte besser zu verstehen. Meine Beiträge sind oft vorsätzlich provokaiv, weil ich sehen will was man meinem Standpunkt entgegensetzen kann.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      “Diese Aussagen ernst zu nehmen, ist nun genauso wichtig, wie diejenigen, die der genau entgegen gesetzten Meinung entspringen.”

      In dem Artikel wird der Satz ganz eindeutig auf die Selbstwahrnehmung Betroffener bezogen. Und ja, deren Einschätzung ihrer Situation (die einen sagen: Ich bin Opfer, die anderen sagen: Ich bin kein Opfer) ernstzunehmen kann nicht verkehrt sein.

      Das betrifft aber nur die Art, in der Betroffene über sich selbst sprechen. Frau Sanyal geht es allerdings darum, wie Dritte über die Betroffenen sprechen. Und erst an diesem Punkt stimme ich mit Ihnen überein.

      • 3G
        33523 (Profil gelöscht)
        @Ewald der Etrusker:

        Sie haben völlig recht, niemand kann und sollte versuchen anderen Menschen vorzuschreiben wie sie über sich selbst denken sollen. Das wollte ich aber auch nicht gemeint haben. Wenn Frau Sanyal sich selber als erlebende sexueller Gewalt beschreiben möchte soll sie das tun.

         

        Allerdings sollte man die Reaktion seines Umfeldes beachten und nicht mit aller Gewalt ausblenden. Man kann sich eine Identität zusammenschustern die diametral dem entgegengesetzt ist was andere Menschen über einen denken aber das ist nicht Gesund und das ist mein Kernanliegen! Früher oder später führt solch ein Verhalten an einen sehr düsteren Ort an dem niemand sein will!

        • @33523 (Profil gelöscht):

          Vielleicht lesen Sie einfach mal folgenden Artikel, bevor Sie hier weiter schwallern: http://www.huffingtonpost.de/mithu-m-sanyal/vergewaltigung-mob-netz-brief_b_14958974.html

          • 3G
            33523 (Profil gelöscht)
            @Uranus:

            Das was Frau Sanyal passiert ist hätte nicht passieren dürfen aber es ändert nichts daran was von ihrer These zu halten ist. Opfer sein ist keine Tugend und macht aus einer schlechten Idee keine Gute.

  • Interessant. Als vor ein paar Tagen über Milo Yiannopoulos zu lesen war hier in der taz, ging es um die gleiche Sache. Er will auch kein Opfer sein und legitimiert seinen Missbrauch lieber statt als Opfer tituliert zu werden.

     

    Schade das der Text nichts davon enthielt. Liegt wohl dran das er ein konservativer Troll ist oder?

    http://www.taz.de/!5386845/

  • Da sieht man, wie sehr die politisch inkorrekten die Meinungsfreiheit achten. Es wäre so einfach, Frau Sanyal vor Augen zu halten, dass ihr Formulierungsvorschlag weder praxistauglich ist, noch irgendeiner Betroffenen irgendwie weiterhilft (Stichwort Euphemismustretmühle). Statt dessen wird nur wahrgenommen, die ist irgendwie links, also, zack! her mit den Hassmails. Vorgeblich aus Mitgefühl mit, ähem, Opfern sexualisierter Gewalt, denen "nicht so links orientierte" gern auch mal vorwerfen, sie seien ja eigentlich selber schuld (was seit der Kölner Silvesternacht 2015 freilich auch von denen, die keine "Gutmenschen" sein wollen, manchmal etwas differenzierter gesehen wird).

  • 3G
    36855 (Profil gelöscht)

    Frau Gottschalk schreibt:

    "Sie ist Opfer verbaler Gewalt!"

     

    Wenn wir die vorgeschlagene Bezeichnung verwenden würden, wäre der Satz folgendermaßen:

    "Sie ist Erlebende verbaler Gewalt."

     

    Das hört sich doch einfach furchtbar an, jedenfalls für mich, und würde die Tat verharmlosen und auf eine ganz andere Ebene heben.

  • Auch wenn Drohungen kommen, ist Schweigen keine Lösung. Oft - selbst IT-technisch - ist es möglich, herauszufinden, wer eine konkrete Drohung ausgesprochen hat. Danach kann man eine Strafanzeige stellen oder den Täter öffentlich diskreditieren.

     

    Viel zu viele Opfer von Vergewaltigungen sind minderjährig, dass muss Menschen wie Frau Mithu Sanyal Kraft geben, gegen solche Verbrechen zu schreiben.

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1588/umfrage/opfer-von-vergewaltigung-sexueller-noetigung-nach-altersgruppen/

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @Stefan Mustermann:

      "... oder den Täter öffentlich diskreditieren"

       

      Echt jetzt? Sie empfehlen hier Selbstjustiz? Bevor das jemand umsetzt würde ich einen juristischen Beistand konsultieren. Das kann teuer werden, wenn die Tat nicht nachgewiesen werden kann!

      • 2G
        2730 (Profil gelöscht)
        @33523 (Profil gelöscht):

        Ey Janus, ich stimme oft genug mit Ihren Meinungen überein. Heute aber ging's weit neben das Ziel. Denn auch wenn ich den Vorschlag "Erlebende" völlig banane finde: Netz-Mobbing hat niemand verdient. Ich behaupte mal, dass Sie das ähnlich sehen, aber ich will's mal explizit machen.

        Zum zweiten Kommentar: Selbstjustiz ist was anderes als den über ip ermittelten Namen von jemanden öffentlich machen, der sich hinter seinem Bildschirm versteckend miese Mails verschickt. Kann nicht so teuer werden.. würde ich gerne mal ausprobieren.

        • 3G
          33523 (Profil gelöscht)
          @2730 (Profil gelöscht):

          “Netz-Mobbing hat niemand verdient.”

           

          Der Grund aus dem ich mich an der Formulierung “Verbale Gewalt” störe ist nicht das ich etwas für Netz-Mobbing übrig hätte. Das ist nicht der Fall. Es geht mir hier um das Wording das diesen Artikel am Ende, aus meiner Sicht, noch total ins Abseits schießt.

           

          Frau Sanyal erhält Gewaltandrohungen,... okay das ist schlecht. Sieht hier wohl jeder so. Soweit halte ich das erstmal für unstrittig. Aber dann kommt das Wording mit rein und das lässt Frau Sanyal in der Tat wie ein hilfloses, bemitleidenswertes Opfer erscheinen, bald infantil würde ich sagen. Denn der einzige Ort an dem man vor “verbaler Gewalt” beschützt wird ist der Kindergarten und dann vielleicht noch die Grundschule. Danach ist man soweit auf sich gestellt das ein entsprechender Schutz nicht mehr möglich ist und er sollte vor allem auch nicht mehr nötig sein! Frau Sanyal hat den Artikel freilich nicht selbst geschrieben und ich habe die vermutung das Frau Gottschalk ihr keinen Gefallen mit dieser Formulierung getan hat.

           

          “Kann nicht so teuer werden.. würde ich gerne mal ausprobieren.”

           

          Verleumdung, Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung,... wenn der Prozess am Ende verloren wird kann das sehr teuer werden und wenn es keinen Prozess gibt auch.