: Russische Justiz auf dem Holzweg
Prozess Ein Provinzgericht verurteilt den Oppositionellen Alexei Nawalny wegen Holzdiebstahls zu einer Haftstrafe auf Bewährung und verhindert so, dass er bei den nächsten Präsidentschaftswahlen antreten darf
„Haben Sie gute Nachrichten für mich?“, lachte der Angeklagte, als der Richter zur Urteilsverlesung den Saal betritt. „Erfahren Sie gleich“, schmunzelte Richter Alexei Wtjurin. Was er dann zu verkünden hatte, war für den russischen Antikorruptionskämpfer Alexei Nawalny und den mitangeklagten Geschäftsmann Pjotr Ofizerow keine frohe Botschaft. Das Gericht in der Stadt Kirow befand beide Angeklagte der Unterschlagung für schuldig. Wtjurin verlas den gleichen Schriftsatz, der schon beim ersten Verfahren im Juli 2013 vorgetragen wurde – das sagte jedenfalls Nawalny. Am Ende standen fünf Jahre Haft auf Bewährung und damit verbunden ein Verbot, an Wahlen als Kandidat teilzunehmen.
Der charismatische Oppositionelle hatte für den Fall, dass er noch im Gerichtssaal festgenommen werden sollte, schon eine gepackte Reisetasche mitgebracht. Nawalny und Ofizerow, so lautete die Anklage, sollen das staatliche Unternehmen „Kirowles“ um Bauholz in Höhe von 250.000 Euro geprellt haben.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGHM) hatte das Urteil von 2013 mit der Begründung, es hätte sich bei dem Holzgeschäft um eine übliche unternehmerische Transaktion gehandelt, zurückgewiesen. Russlands oberstes Gericht wies den Fall zur Neubehandlung zurück – wieder an das Gericht im 800 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Kirow. Dort saßen dieselben Staatsanwälte, die schon 2013 für Nawalny fünf und für Ofizerow vier Jahre Haft gefordert hatten.
Im Dezember wurde das neue Verfahren eröffnet. Zeitgleich hatte Nawalny seine Kandidatur für die russischen Präsidentschaftswahlen 2018 angekündigt. Die Aufhebung des Urteils machte ihn wieder „wählbar“. Nach der russischen Gesetzgebung verlieren wegen schwerer Delikte Verurteilte den Anspruch, an Wahlen teilzunehmen zu dürfen.
Das einzige neue Gesicht in dem kleinen, stickigen Gerichtssaal in Kirow war Richter Alexei Wtjurin, der zu dem Spektakel gelegentlich noch eine humoristische Note beisteuerte. Für ihn war es sein wichtigster Prozess. Sonst verurteilt er in der Provinz Kleinkriminelle. Am Ende befolgte aber auch er offenbar nur Anweisungen von höherer Stelle. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass der Kreml im Verfahren versus Nawalny das Drehbuch geschrieben hat.
Der neue Schuldspruch verurteilt den Volkstribunen dazu, auch die nächsten Wahlen nur als Zuschauer zu verfolgen. Auch öffentliche Auftritte und politisches Engagement sind ihm verboten. Nawalny hatte von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass es sich um einen Prozess handele, der ihn abhalten sollte, Politik zu machen. „Das ist ein politischer Fall“, meinte der Jurist. Schon im Vorfeld kündigte er an, das „Urteil beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beim obersten Gericht anzufechten“.
Nawalnys Tätigkeit beschränkt sich zurzeit auf die Leitung einer „Stiftung für den Kampf gegen die Korruption“. Ihm gelingt es immer wieder, haarsträubende Korruptionsfälle der russischen Elite aufzudecken.
Seine Popularität aber hat gelitten. Nach dem Urteil im Juli 2013 konnte er unerwartet an den Bürgermeisterwahlen in Moskau teilnehmen. Aus dem Stand erreichte er damals sensationelle 27 Prozent – und das ohne einen Zugang zum Fernsehen.
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