Rebellengebiet im syrischen Ost-Aleppo: Unklarheit über Evakuierungsaktion

Die Evakuierung in Ost-Aleppo scheint unterbrochen zu sein. Noch immer sollen sich Zehntausende Menschen im Rebellengebiet befinden.

Menschen drängen sich an der Eingangstür eines Busses

Am Donnerstag konnten noch Menschen in den Bus nach Idlib steigen, am Freitagmorgen sieht die Lage wieder anders aus Foto: dpa

ALEPPO dpa/afp/rtr | Über den Stand der Evakuierung Ost-Aleppos hat es am Freitag widersprüchliche Informationen gegeben. Während aus dem russischen Verteidigungsministerium verlautete, alle Rebellen und deren Familien hätten den Stadtteil verlassen, widersprach dem ein Vertreter der Rebellengruppe Fastakim.

Die Nachrichtenagentur Interfax meldete unter Berufung auf das Ministerium, insgesamt seien mehr als 9500 Personen aus Ost-Aleppo gebracht worden, darunter 4500 Kämpfer und 337 Verletzte. Alle Frauen und Kinder seien in Sicherheit gebracht worden. Allerdings seien noch einige radikale Kämpfer in Aleppo verblieben und feuerten auf syrische Truppen.

Dagegen sagte ein Fastakim-Sprecher, die Evakuierung sei bei weitem nicht abgeschlossen. Nur Verletzte und einige Zivilisten hätten den Stadtteil verlassen.

Zuvor meldete die französische Presseagentur afp, dass die russische Armee die Evakuierungsaktion von Rebellen und Zivilisten für beendet erklärt habe. Das russische Verteidigungsministerium habe am Freitag mitgeteilt, dass Einheiten der syrischen Regierungstruppen die Kämpfe zur Rückeroberung der Stadt weiter fortsetzten. In einigen Stadtvierteln hielten sich noch „radikale“ Kämpfer der Rebellen verschanzt.

Auch die Deutsche Presse-Agentur berichtete unter Berufung auf Kreisen von Hilfsorganisationen, dass die Evakuierung der Rebellengebiete in der syrischen Stadt Aleppo ausgesetzt worden sei, ebenso die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. In der Region seien mehrere Explosionen zu hören gewesen. Die Ursache dafür war zunächst unklar. Der regimenahe Sender Al-Mayadeen berichtete, Rebellen hätten das Feuer eröffnet.

Die Evakuierung hatte am Donnerstag begonnen. Ein inoffizielles Abkommen zwischen Regierung und Rebellen sieht vor, dass Kämpfer und Zivilisten die Stadt verlassen und in andere Gebiete unter Kontrolle der Opposition gebracht werden. Ein erster Anlauf zur Umsetzung war am Mittwoch gescheitert, weil neue Kämpfe ausgebrochen waren.

Zehntausende warten

In Ost-Aleppo warten noch Zehntausende auf den Transport. Dort sitzen nach Angaben des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura immer noch Zehntausende Menschen fest. Auch Frankreichs Präsident François Hollande erklärte, es seien noch 50.000 Menschen eingeschlossen. Hilfsorganisationen rechnen sogar mit rund 70.000 Menschen, die aus der Stadt gebracht werden müssen. Wegen einer monatelangen Blockade durch das Regime ist die humanitäre Lage dort katastrophal.

Abdulkafi, Aktivist

„Die Menschen sind alle erschöpft. Und sie haben Angst, dass die Waffenruhe wieder scheitern könnte“

Bilder aus Ost-Aleppo zeigten volle Straßen, in denen Einwohner neben Trümmern mit Koffern auf den Transport warteten. „Die Menschen sind alle erschöpft“, berichtete ein Aktivist mit dem Namen Abdulkafi. „Und sie haben Angst, dass die Waffenruhe wieder scheitern könnte.“

Die Sprecherin des Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Ingy Sedky, erklärte, die Evakuierungsoperation sei über Nacht weitergelaufen. Es lasse sich jedoch nur schwer sagen, wie viele Menschen Ost-Aleppo verlassen hätten. Das Rote Kreuz hatte am Donnerstag erklärt, die Evakuierung könne noch Tage dauern.

Bundespräsident Joachim Gauck warf der internationalen Gemeinschaft schwere Versäumnisse im Syrien-Konflikt und eine Mitverantwortung an den Gräueln des Bürgerkriegs vor. Die „Mechanismen der internationalen Ordnung“ hätten kläglich versagt, sagte er dem Berliner Tagesspiegel.

Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel erhob auch der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament heftige Vorwürfe gegen Russland und den Iran. „Der Iran, Russland – (Präsident) Putin, muss man sagen – hat Blut an den Händen“, sagte Manfred Weber (CSU) im rbb-„Inforadio“. Derzeit habe humanitäre Hilfe oberste Priorität. „Und dann brauchen wir Klartext. Das heißt, wir müssen deutlich machen, wer schuld ist an dieser Situation.“

Russland und der Iran sind die engsten Verbündeten der Regierung in Damaskus und unterstützen sie militärisch. Merkel hatte beiden Ländern nach dem Brüssler EU-Gipfel schwerste Vergehen im Kampf um Aleppo vorgeworfen. Sie sprach von „gezielten Angriffen auf Zivilpersonen (…), auf Krankenhäuser“ und nahm auch das Regime von Baschar al-Assad in die Pflicht.

Treffen könnten in Kasachstan stattfinden

Putin setzt auf ein neues Format von Syrien-Gesprächen mit der Türkei als Schutzmacht der Opposition. Russland versuche, die syrische Regierung dafür zu gewinnen, die Türkei wiederum die Gegner von Präsident Assad. Das habe er mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan vereinbart, sagte Putin am Freitag bei einem Besuch in Tokio. Die Treffen könnten in Kasachstan stattfinden.

Syriens Armee hatte nach dem Beginn einer Offensive den allergrößten Teil der bisherigen Rebellengebiete in Ost-Aleppo eingenommen. Unter Vermittlung Russlands und der Türkei vereinbarten die Konfliktparteien in dieser Woche ein Abkommen über den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus der Stadt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.