piwik no script img

Einfach machen

Kunststudium An der Kunsthochschule Weißensee hilft eine *foundationClass Kunststudenten unter den Geflüchteten. Besuch in einem Workshop, der nach Bildlösungen für bedrückende Geschichten sucht

von Susanne Messmer

Marina Naprushkina steht vor sieben zusammengerückten, verschmierten und verkratzten Tischen. Zeitschriften, Bücher und Skizzenblöcke stapeln sich. Wie auf gut Glück greift die in Berlin lebende Künstlerin und Aktivistin nach einem Magazin und schlägt eine Seite mit Arbeiten des Künstlers Nikita Kadan auf, der sich mit den Foltermethoden der Polizei in der Ukraine beschäftigt hat. Dann zeigt sie einen Text über den Künstler Khaled Jarrar, der einen Passstempel und eine Briefmarke für den Staat Palästina entworfen hat.

„It is up to you, alles ist möglich“, sagt sie im charmanten Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch. Dann bittet sie einen ihrer Studenten, dies ins Arabische zu übersetzen.

Marina Naprushkina sorgte im Herbst 2015 mit ihrem Buch „Neue Heimat?“ für Furore, in dem sie über ihre Arbeit in einer 2013 in Moabit gegründeten Nachbarschaftsinitiative für Flüchtlinge schrieb. Nun steht sie in der Kunsthochschule Weißensee vor der zweiten *foundationClass. Acht junge Männern und zwei junge Frauen von insgesamt 12 Teilnehmenden sind heute gekommen. Sie alle wollen in Deutschland Kunst studieren. Sie haben in ihren Herkunftsländern entweder ein Kunst- oder Designstudium aufnehmen wollen oder bereits begonnen zu studieren. Die meisten von ihnen sind 2013, 2014 und 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen.

Die einwöchigen Workshops sind fakultativ und von einem Deutschkurs begleitet. Sie füllen ein ganzes Semester und liefern die Grundlagen für eine Bewerbung an einer deutschsprachigen Kunsthochschule. Am Ende werden die Studierenden eine Mappe in der Hand halten, mit der sie sich bewerben können. Neun der zwölf Teilnehmenden aus der ersten *foundationClass im Sommersemester studieren seit diesem Herbst: Fünf in Weißensee, an der Universität der Künste und in Leipzig und drei als Gasthörer mit Aussicht auf Übernahme, erzählt Ulf Aminde später stolz. Er ist Professor an der Kunsthochschule Weißensee und Initiatior der *foundationClass. Und wirklich ist das ein toller Erfolg und starkes Zeichen an Senat und DAAD, die *foundationClass, die übrigens die erste ihrer Art ist, auch weiterhin finanziell zu fördern.

Kurzfilm über ein Kind

Aber zurück zum Workshop. Heute ist der vierte Tag des Kurses Zeichnen und Druckgrafik von Marina Naprushkina in der *foundationClass – und der erste, an dem die Studierenden frei zu einem von ihnen gewählten Thema arbeiten sollen: An einem Poster, einem Buchcover oder an einem Storyboard. Ragda A., die wie alle hier lieber nicht ihren vollen Namen in der Zeitung lesen will, hat sich für ein Storyboard für einen Kurzfilm entschieden – einen Kurzfilm über ein Kind, dass vor dem Krieg flüchten muss.

Seit 2014 lebt Ragda A. in Berlin. Sie hat in Syrien Journalismus studiert. Jetzt will sie am liebsten Filme machen. Zum Workshop ist sie mit ihrer vier Monate alten Tochter gekommen, die noch im Kinderwagen vor der Tür schläft. Sie hat sich mit drei weiteren Studierenden, die ebenfalls ein Storyboard machen wollen, um einen Tisch gesetzt. Nach ein paar Minuten kommt Naprushkina zu ihnen und wirft lapidare Stichpunkte in die Runde, die viel Raum lassen für Interpretation. „Geschichte reduzieren“, sagt sie. „Grobe Skizzen“ und „guter Rhythmus“, auch „Ausschneiden“, „Schieben“, „Aussortieren“. Dann malt sie ein paar große und ein paar kleine Kästen auf ein weißes Blatt Papier, füllt sie mit einfachen Mondgesichtern. „Das Storyboard ist nur für euch“, schließt sie ihren 3-Minuten-Crashkurs ab.

„Aber wie malt man ein Kind, das sich gerade aus einem Fenster nach unten abseilt“, will Ragda A. wissen, während sie ihr Baby, inzwischen aufgewacht, auf den Knien schaukelt. „Mach es so einfach wie möglich,“ sagt Naprushkina und lässt sie dann allein.

„Für viele ist vor allem das freie Arbeiten eine Herausforderung, weil sie zu Hause ein eher klassisches Studium voller Pläne und Aufgaben kennengelernt haben“, erklärt Naprushkina später. Sie weiß, wovon sie spricht: Seit vielen Jahren ist sie als Künstlerin erfolgreich. Ihre Auseinandersetzung mit der politischen Propaganda oder den Übergriffen staatlicher Sicherheitskräfte auf politisch aktive Frauen in ihrem Heimatland Weißrussland wurden viel beachtet. Aber am Anfang in Deutschland, sagt sie, da hätte sie auch gern jemanden gehabt, der ihr erklärt, wie hier Kunsthochschulen funktionieren.

Neben Ragda A. sitzt Ahmed A., ebenfalls aus Syrien, 26 Jahre alt. Auch er arbeitet mit seinem weichen Bleistift an einem Storyboard. Zwei Jahre lang hat er in Syrien Grafikdesign studiert, bis er flüchten musste. Seit 2014 ist er in Deutschland, seit drei Monaten in Berlin. Während Radga A. noch über die Perspektive nachdenkt, die ihre Kamera einnehmen soll, hat er schon das dritte Bild seines Storyboards fertig.

Mit leiser Stimme erklärt Ahmed A.: „Meine Geschichte handelt von zwei Mäusen in einem schönen Dorf. Eines Tages kommt ein Fremder ins Dorf und bringt Waffen mit.“ – „Ich sage dir was“, liest er den Text vor, den er unter die Bilder geschrieben hat. „Ich habe gutes Spielzeug für dich.“ Das Gesicht des Fremden ist nicht zu erkennen auf Ahmed A.s präziser Zeichnung, man sieht ihn vom Kinn abwärts, seinen Anzug, seine Krawatte. Die Stimmung, die von Ahmed A.s Geschichte ausgeht, ist bedrückend und bedrohlich.

Brüche produktiv machen

In der Pause, als die meisten zum Rauchen vor die Tür gehen, sagt Marina Naprushkina: „Kunst ist eine Chance, die Brüche, die man erlebt hat, produktiv zu machen.“ – „Aber da muss jeder selbst hinkommen.“ Nie würde sie einen Kursteilnehmer nach seiner persönlichen Geschichte fragen. Manchmal ist es eben einfacher, über Perspektiven, Techniken oder Erzählstrategien zu sprechen als über die Erzählung selbst. Manchmal reicht das vielleicht auch.

Manchmal ist es einfacher, über Techniken zu sprechen als über die Erzählung

Die Pause ist vorbei, einer der Studenten setzt sich an einen der beiden Computer im Raum. Er stellt sich als Mohammed H. vor. 23 Jahre ist er alt und hat drei Jahre in Syrien Bildhauerei studiert, bevor er im September 2015 in Deutschland ankam. Gerade koloriert er eine Bleistiftzeichnung, ein Cover für ein erotisches Buch, eine Art Knäuel aus rosigen Zungen und glänzenden Speicheltropfen. Er sagt, dass er sich seit der *foundationClass wieder so etwas wie eine Zukunft vorstellen kann.

Marina Naprushkaja läuft derweil mit dem Baby von Ragda A. auf dem Arm herum, ermuntert hier jemanden, zeigt da jemandem, wie man ein Foto hochlädt. „Entschuldigung, darf ich?“, fragt sie einen Studenten, der mit seinem Plakat nicht zufrieden ist, und setzt als Vorschlag ein paar Bleistiftstriche. Er kann sie auch wieder wegradieren.

Ragda A. hat eine Lösung für ihr Problem gefunden. Sie hat ihr Kind auf der Flucht als einfaches Strichmännchen gezeichnet, das an einem Seil hängt – der Blick der imaginären Kamera auf das Kind ist nicht mehr von oben, wie sie es anfänglich wollte, sondern von unten herauf. „So war es einfacher, und es geht sogar besser“, lacht sie.

Auch Ahmed A., der vor seinem letzten Bild sitzt, dem schwersten, wie er findet, und immer wieder ins Übersetzungsprogramm seines Handys schaut, entscheidet sich am Ende fürs Einfachste.

Das Dorf der Mäuse ist zerstört. Um dies auf den Punkt zu bringen, reicht ein schlichter, dünner Rauchfaden über ihren Hütten.

www.foundationclass.org

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen