Amerikanischer Albtraum

Die deutschen Beziehungen zu den USA werden sich ändern, das steht fest. Höhere Verteidigungsausgaben sind wahrscheinlich

Rätselraten am Tag danach

Deutschland Die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen ist offen. Berliner Außenpolitiker fragen sich, mit wem sie es in Washington künftig zu tun haben – und welche Pläne Donald Trump umsetzt

„Wir wären ­aufgeschmissen, wenn wir Trump hinterherkriechen“

Omid Nouripour, Grüne

Aus Berlin Tobias Schulze

Tja“, seufzt Frank-Walter Steinmeier und schaut müde durch seine Brille. „Freue mich über Ihr Interesse“, sagt er und lässt die Mundwinkel hängen. „Wir alle haben vermutlich eine lange Nacht gehabt“, schiebt er hinterher, dann blickt er auf sein Manuskript und legt los.

Mittwochmorgen, 10.45 Uhr im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Der Außenminister ist auf dem Weg in den Auswärtigen Ausschuss, vor der Tür zum Sitzungssaal stellt er sich noch kurz vor die Kameras und gibt sein erstes Statement zum US-Wahlergebnis ab. Ein heikles Thema: Im Wahlkampf war Steinmeier auf Konfrontation zu Donald Trump gegangen, nannte ihn einen „Hassprediger“. Sollte er seine Äußerungen jetzt, da die Bundesregierung mit Trump irgendwie klarkommen muss, nicht geschwind wieder einfangen?

„Ich will nichts schönreden. Nichts wird einfacher, vieles wird schwieriger werden“, sagt Steinmeier. „Das Ergebnis ist anders, als die meisten in Deutschland es sich gewünscht haben.“ Natürlich akzeptiere er den Wahlausgang. Aber eine Gratulation an den kommenden US-Präsidenten? Fehlanzeige.

Hinter verschlossenen Türen im Ausschuss wird er seine Abneigung gegenüber Donald Trump kurz darauf wiederholen. Dafür lobt ihn während der Sitzung sogar die Opposition. Der Grüne Omid Nouripur sagt hinterher: „Steinmeier sagt das Richtige. Wir wären aufgeschmissen, wenn wir Trump jetzt auch noch hinterherkriechen.“

Das Dilemma der deutschen Außenpolitiker ist ein doppeltes. Erstens wissen sie bislang nicht, mit wem sie es in Washington in Zukunft überhaupt zu tun haben werden. Kaum jemand aus dem engsten Beraterkreis des neuen US-Präsidenten war in der Vergangenheit schon politisch aktiv, Kontaktversuche des Außenministeriums und der deutschen Botschaft in Washington verliefen vor der Wahl zäh. Am stabilsten sind noch die Verbindungen zu den wenigen etablierten Republikanern, denen Trump vertraut. Der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani zum Beispiel reiste im Sommer nach Berlin und führte hier auch Gespräche mit deutschen Regierungsvertretern. Ob er und andere Republikaner seines Kalibers eine Rolle in Trumps Kabinett erhalten werden, ist allerdings vollkommen offen.

Entsprechend weiß die Bundesregierung auch nicht, welche Außenpolitik sie von der neuen US-Regierung zu erwarten hat – das zweite Problem. „Es sind viele brennende Fragen trotz unseres Bemühens auch in den letzten Tagen offen geblieben“, sagt Steinmeier.

Mehr oder weniger deutlich zeichneten sich im Wahlkampf nur wenige außenpolitische Vorhaben des neuen US-Präsidenten ab. Eines davon: ein neuer Kurs bei den Militärausgaben. Den Verteidigungsetat will Trump zwar erhöhen, den Beitrag zur Nato aber senken. Umgekehrt könnte das bedeuten: Deutschland und die übrigen Nato-Staaten müssen in Zukunft mehr zahlen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußert sich am Morgen als eines der ersten deutschen Regierungsmitglieder zum Wahlausgang. „Europa muss sich darauf einstellen, dass es besser selber vorsorgt“, sagte die CDU-Politikerin in der ARD. Dazu gehörten auch höhere Verteidigungsausgaben.

Der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner sieht die Sache allerdings anders als die Ministerin. Der Haushaltspolitiker der Grünen sagt: „Es wundert mich, wie schnell sich die Ministerin zu Wort gemeldet hat. Entweder war das vorauseilender Gehorsam oder sie will wirklich jedes Argument nutzen, das ihre Politik stützt, die Verteidigungsausgaben hochzufahren.“ Man müsse nun in der Nato Gespräche führen und erst mal abwarten, ob Trump seine Ankündigung tatsächlich umsetze.

So steht die Frage der Verteidigungsausgaben in einer langen Reihe der Ungewissheiten: Ist TTIP nun tatsächlich gestorben? Lässt der neue US-Präsident sämtliche Klimavereinbarungen platzen? Wie sieht die Zukunft der Geheimdienstkooperation aus? Und was passiert eigentlich mit den amerikanischen Atombomben, die in Deutschland lagern? Eine klare Antwort auf all diese Fragen hat am Mittwoch in Berlin keiner.