„Fast vergessenes Pogrom“

Aufarbeitung Für das Festival „eigenarten“ inszeniert Dan Thy Nguyen sein Dokutheater „Sonnenblumenhaus“ über das rassistische Pogrom 1992 in Rostock-Lichtenhagen neu und nimmt Bezug auf aktuelle Anschläge

Das „Sonnenblumenhaus“, in dem sich die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (Zast) und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter befanden, die zwischen dem 22. und 26. August 1992 von Neonazis und einem jubelnden Mob angegriffen wurden Foto: dpa

Interview Petra Schellen

taz: Herr Nguyen, ist über das Progrom von Rostock-Lichtenhagen, das Ihre Theater-Doku „Sonnenblumenhaus“ thematisiert, nicht schon alles gesagt?

Dan Thy Ngyuen: Das ist ein Irrtum. Dieser 1992 von Neonazis verübte Brandanschlag auf eine Erstaufnahmestelle für Asylsuchende und einen angrenzenden Wohnblock vietnamesischer DDR-VertragsarbeiterInnen ist das größte rassistische Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte. Aber es ist fast vergessen, in keiner Weise aufgearbeitet und bis heute bloß ein Diskurs. Außerdem wird es meist als Einzelereignis inszeniert. Aber auch wenn Rostock in seiner Massivität einzigartig war, gab es in den 1990er-Jahren fast täglich ausländerfeindliche Anschläge.

Und heute gibt es wieder rassistische Anschläge.

Ja. Allein für 2016 hat das Bundeskriminalamt schon 800 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gezählt. Statistisch sind das mehrere pro Tag. Deshalb habe ich in die Neuinszenierung meines vor zwei Jahren verfassten Stücks Filmsequenzen über die Anschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte im sächsischen Tröglitz und Heidenau von 2015 eingebaut.

Sind diese Anschläge wirklich mit Rostock-Lichtenhagen vergleichbar?

Einerseits nicht: Die ostdeutsche Gesellschaft der Nachwendezeit war ganz anders geprägt; inzwischen haben neue Sozialisationsprozesse stattgefunden. Andererseits eint die Anschläge in Rostock, Tröglitz und Heidenau eine Vehemenz, die sich so nur auf dem Gebiet der einstigen DDR findet. Da frage ich mich: Gibt es Kontinuitäten zum nicht aufgearbeiteten Rassismus der NS-Zeit, mit dem sich die DDR-Bürger – als Antifaschisten a priori „reingewaschen“ – nie identifizierten? Wie stand es um den Alltagsrassismus der DDR?

Das packen Sie alles in Ihr Stück?

Ja. Wir verbinden Zeitzeugenberichte von Überlebenden der Rostocker Anschläge mit gespielten Szenen und Fimausschnitten. Wir sprechen zum Beispiel über die Bedingungen der Vertragsarbeiter in der Ex-DDR. Diese Menschen – ob aus Vietnam, Kuba oder Mosambik – waren mit einer staatlich regulierten Integrationsverweigerung konfrontiert.

Inwiefern?

Das fing mit dem isolierten Wohnen in Heimen an, ging weiter bei Deutschkursen, die Arbeits-, aber kein Alltagsvokabular lehrten und endete beim Verbot, Kontakte oder gar Liebesbeziehungen zu DDR-Bürgern zu pflegen.

Das erinnert an die Nazi-Zeit, in der die Deutschen keinen Kontakt zu Zwangsarbeitern haben durften.

Ich möchte die DDR nicht mit dem NS-Staat vergleichen, aber wenn man hört, wie die Vietnamesen angeworben wurden, wird man skeptisch: Ein Zeitzeuge erzählte mir, dass ein Arzt aus der damaligen DDR anreiste und die Menschen nach Arbeitsfähigkeit sortierte. Sie bleiben Menschen zweiter Klasse.

Trotzdem galt der Rostocker Anschlag 1992 zunächst nicht den Vietnamesen.

Nein. Anfangs wurden Roma angegriffen, die vor dem Wohnblock lagerten, in dem die Zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge (Zast) lag. Die war überfüllt, sodass einige draußen campierten. Nachdem Neonazis sie unter dem Jubel der Anwohner angegriffen hatten, brachte die Stadt Rostock die Roma weg. Das war eine Schutzmaßnahme, aber die Neonazis dachten, ihr Protest sei erfolgreich gewesen.

Warum griffen sie danach das Vietnamesen-Wohnheim an?

Darüber gibt es verschiedene Theorien. In einer NDR-Doku haben Journalisten erzählt, dass das Pogrom nach dem Abzug der Roma eigentlich vorbei war. Aber dann kam die internationale Presse, wollte unbedingt noch eine Story, baute Scheinwerfer für die Kameraleute auf und lenkte sie auf das Wohnheim.

Das klingt nach Verschwörungstheorie.

Ja, aber Überlebende haben mir bestätigt, dass sie von Scheinwerfern der Presse angestrahlt wurden, als sie übers Dach aus dem brennenden Haus flohen. So konnten die Neonazis sie gut sehen und auch dort attackieren. Und die Kameraleute konnten alles gut filmen.

Alle Vietnamesen haben überlebt. Wie gelang das?

Viele von ihnen hatten Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg und haben das Haus systematisch nach oben hin evakuiert. Übers Dach sind sie ins Nachbarhaus geflohen. Später brachte man sie in einem Bus – wo sie sich auf dem Boden versteckten, weil Neonazis ihn verfolgten – in eine Turnhalle. Essen für die Vietnamesen haben die Sozialarbeiter allerdings aus eigener Tasche gezahlt. Die Stadt Rostock, deren Polizei nicht eingriff und die nie eine Entschädigung zahlte, stellt sich ihrer Verantwortung bis heute nicht.

Sind die Überlebenden, die Sie für Ihre Interviews aufsuchten, deshalb verbittert?

Von denen, die in Deutschland blieben, gehen viele bewundernswert pragmatisch damit um und sagen, das Leben müsse ja weitergehen. Ich habe allerdings auch mit einem Überlebenden gesprochen, der noch im Sonnenblumenhaus lebt. Er erträgt das gar nicht gut.

Und wie haben Sie die Anschläge von Tröglitz und Heidenau ins Stück integriert?

Wir werden Filmausschnitte aus Dokumentationen zeigen und versuchen, die Stimmung aufzufangen.

Haben Sie mit in Heidenau verletzten Polizisten oder mit dem von Rechten bedrohten Tröglitzer Ex-Bürgermeister Markus Nierth gesprochen?

Nein. Um diese Erfahrungen künstlerisch-dokumentarisch zu verarbeiten, sind sie zu frisch.

„Sonnenblumenhaus“: Fr, 28. Oktober, + Sa, 29. Oktober, 20 Uhr, Zinnschmelze, Maurienstraße 19

Interkulturelles Festival Eigenarten: ab 27. Oktober, Hamburg; www.festival-eigenarten.de