Sachsen In Bautzen jagen Rechtsradikale Flüchtlinge durch die Stadt. Die bekommen Ausgangssperre. Und die Deutschen feiern: Ein nationales Volksfest
Aus Bautzen Hanna Voss
Nein, die Flüchtlinge dürfen nicht mit der Presse sprechen, sagt eine junge Frau mit langem, dunkelrotem Zopf, die vor der Unterkunft auf Journalisten wartet. Immerhin seien sie alle minderjährig. Solche Anfragen laufen ausschließlich über das Jugendamt. Und sie selbst werde auch nichts zur Nacht am Mittwoch sagen. Dann lächelt sie und wendet sich ab.
Hinter ihrem Rücken sitzen vier Jungs mit etwas dunkler Hautfarbe. Ihre Unterarme haben sie auf die Oberschenkel gestützt, die Hände baumeln zwischen den Beinen, ihre Köpfe sind gesenkt. Kurz wandert der Blick eines Jungen nach oben, wendet sich aber schnell wieder den eigenen Schuhspitzen zu. Sie alle sind dünn und höchstens 15 Jahre alt.
Hierher, in das sandsteinfarbene Haus in einem Hinterhof der Dresdner Straße, waren die Flüchtlinge am Mittwochabend geflohen, nachdem ein rechter Mob sie über die Bautzener Friedensbrücke gejagt hatte. Hierher versuchte der Rettungswagen durchzukommen, um einen jungen Flüchtling mit Schnittverletzungen zu versorgen. Weil der Krankenwagen von Rechtsextremen mit Steinen beworfen wurde, erreichte er sein Ziel nur unter Polizeischutz.
Am Mittwochabend sind in Bautzen etwa 20 junge Asylbewerber und ungefähr 80 Rechtsextreme aufeinander losgegangen. Der Bautzener Polizeichef Uwe Kilz sagte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, dass die Gewalt von den jungen Flüchtlingen ausgegangen sei. Sie hätten Flaschen und Steine auf die Rechten geworfen. Auch die Polizei hätten sie angegriffen. Daraufhin sei die Situation eskaliert.
Jürgen Kasek, der Landeschef der Grünen in Sachsen, sagt, mit solchen Aussagen zündele die Polizei mit. Er gehe davon aus, dass die Ausschreitungen von Rechtsextremen organisiert waren. Seit vergangener Woche waren rechte Gruppen in der Stadt präsent, unter anderem die „Brigade Halle/Saale“ oder der „Widerstand Bischofswerda“, die die angespannte Lage auf dem Kornmarkt nutzten.
Auf dem Kornmarkt trafen sich in der Vergangenheit viele junge Flüchtlinge, weil es dort kostenloses WLAN gibt. Deshalb war es immer wieder zu Beschwerden von Anwohnern gekommen. Am Dienstagabend wurde ein Bautzener von einem Flüchtling mit einer abgebrochenen Flasche angegriffen. Daraufhin postete der „Jungnationale Widerstand Bautzen“ bei Facebook: „Wieder eine Messerstecherei auf der Platte! Videos werden folgen! Dieses Pack bekommt langsam die Oberhand! Bürger von Bautzen wehrt euch!“ Am Mittwoch folgten die Ausschreitungen.
„Diese Rechten wollen zeigen, wem Bautzen gehört“, sagt Jürgen Kasek. „Sie sagen: Die Zeit ist gekommen. Wir holen uns die Stadt zurück.“
Für die Jungs aus der Dresdner Straße und alle anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge hat der Landkreis Bautzen nun eine Ausgangssperre ab 19 Uhr und ein Alkoholverbot verhängt. Die „Rädelsführer“ wurden in andere Unterkünfte verlegt. Zwei Tage nach den Ausschreitungen sieht man auch tagsüber keine Flüchtlinge mehr in der Stadt. Die Rechten dagegen haben für das Wochenende weitere Demonstrationen angekündigt.
Die Altstadt von Bautzen ist ein Gewirr aus Kopfsteinpflaster-Gassen. Direkt neben dem Stadtmuseum markiert der Kornmarkt, den die Bautzener selbst „Platte“ nennen, die Grenze zur Innenstadt.
Die Stimmung ist hier am Donnerstagnachmittag ausgelassen, fast wie bei einem Stadtfest. Bierkästen werden zu Sitzgelegenheiten, getrunken wird reichlich. Während manche sich eindeutig dem rechten Spektrum zuordnen lassen, sehen viele ganz gewöhnlich aus. Männer in Hemd und Dreiviertelhose schlendern über den Platz und essen Eis, Frauen in Bluse und Dreiviertelhose zücken ihre Handykameras und fotografieren die vielen Fernsehteams, die sich am Rand positioniert haben.
Als Oberbürgermeister Alexander Ahrens auftaucht, wird er von aufgebrachten Bürgern umringt. „Ich bin Ungar“, schreit ihm einer in tiefstem Sächsisch entgegen und schiebt sein Gesicht in die Kamera. „Und wir sind stolz auf unseren Präsidenten, den Herrn Orbán.“ Ahrens, großgewachsen und in gut sitzendem Anzug, blickt auf den kleinen Mann hinab, seufzt. „Du kannst in Bautzen nicht mal mehr mit deiner eigenen Tochter spazieren gehen“, brüllt der Mann weiter, erhält Applaus. Ahrens hat einen Arm auf seinen Bauch gelegt, die andere Hand stützt sein Kinn, er hört zu. „Das hätten sich unsere Jungs mal erlauben müssen“, murmelt eine ältere Frau, etwas abseits vom Geschehen. „Aber unsere Jugend kümmert ja eh keinen.“
Ein wutentbranntes „Aber unsere Frauen!“ schallt an diesem Abend ständig über die Platte. Frauen könnten nicht mehr ins Schwimmbad gehen, nicht mit dem Hund raus, von überall müssten ihre Männer sie abholen. Von all den betroffenen Frauen ist übrigens kaum eine selbst gekommen, der Männeranteil dürfte bei etwa 90 Prozent liegen. Ahrens versucht auf jeden von ihnen einzugehen, selbst dann noch, als ihm vorgeworfen wird, dass er „Neger und Kinderficker“ ins Land lasse. Seine Finger kneten weiter nachdenklich das Kinn.
Später, fernab der Platte, wird Ahrens von seinen eigenen Kindern erzählen, von seiner 16-jährigen Tochter, die groß und blond ist und helle Augen hat. Schlechte Erfahrungen mit Asylsuchenden hat sie bislang keine gemacht, sagt er, ebenso wenig ihre Freundinnen. Den Dialog wolle er trotzdem aufrechterhalten, mit jedem, der das möchte. Mehr Ideen hat er noch nicht.
Als er weg ist, kommen die Rechtsextremen, die, die sich gar nicht erst als „besorgte Bürger“ tarnen. Und die sich schon vergangene Woche über Facebook verabredet haben. Viele sind aus anderen sächsischen Städten angereist. Insgesamt sind es etwa 350 Menschen, die gegen halb zehn auf dreißig linke Gegendemonstranten treffen. Die Atmosphäre ist angespannt. „Bautzen bleibt braun“, skandieren die Rechtsradikalen. Und: „Frei, sozial und national!“ Auf der anderen Seite steht der Versammlungsleiter und Grünen-Abgeordnete Jürgen Kasek mit Megafon. Kaseks langer brauner Zopf liegt auf seinem Rücken, sein weißes Hemd ist bis zur Brust aufgeknöpft. Er schaut ungläubig zu seinen Gegnern. „Das“, sagt Kasek und zeigt auf die Neonazis, „das ist der Bürgerkrieg von Frauke Petry.“
Am nächsten Tag wird er sagen, dass er in Bautzen eine Mischung aus Volksfest und Pogromstimmung erlebt habe. Die Polizei brachte die linken Demonstranten in einem „Wanderkessel“ zum Parkhaus und bat sie, die Stadt schnell zu verlassen, da sie ihre Sicherheit nicht gewährleisten könne. Die Pressestelle der Polizei wies die Aussage am nächsten Tag zurück: „An allen Einsatztagen hatte die Polizei ausreichend Kräfte zur Verfügung.“ Ob sich die Rechten gezielt in Bautzen getroffen hätten, um die Flüchtlinge vom Kornmarkt zu vertreiben und eine „national befreite Zone“ zu schaffen, wisse man noch nicht. Das sei Gegenstand intensiver Ermittlungen.
Mitarbeit: Stefanie Unsleber
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