Jürgen Gottschlich über das türkisch-israelische Abkommen: Eine taktische Freundschaft
Neben den internationalen Katastrophenmeldungen dieser Tage mutet die Nachricht wie ein Lichtblick an: Nach sechs Jahren Eiszeit nehmen die Türkei und Israel ihre diplomatischen Beziehungen zueinander wieder auf und streben eine Normalisierung an. Der Tod zehn türkischer Zivilisten nach einem Angriff der israelischen Armee auf ein Schiff voller islamischer Aktivisten, die die Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollten, war 2010 der Anlass zum Abbruch der Beziehungen. Doch der wirkliche Grund waren die Bestrebungen des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, sich als Vorkämpfer der Palästinenser zu profilieren, um so größeren Einfluss im Nahen Osten zu bekommen.
Seitdem ist einiges passiert: 2011 begann die mittlerweile weitgehend gescheiterte Arabische Revolution, die unter anderem Erdoğans Nahostpolitik ins Desaster führte. Statt zum Führer der Massen wurde er zu einem isolierten Despoten, ist mit seiner Außenpolitik rundum gescheitert. Mit dem Westen sind er und seine AKP im Grunde verfeindet, mit den arabischen Staaten wird, außer mit Saudi-Arabien und Katar, nicht mehr geredet. Mit Ägypten gibt es keine diplomatischen Beziehungen mehr.
Das Abkommen mit Israel, das am gestrigen Montag auch formell unterschrieben wurde, kam nur auf massives Drängen der USA zustande. Es ist sozusagen ein letzter Erfolg der Obama-Administration und für Erdoğan ein erster Schritt, aus seiner Misere herauszukommen.
Mit einer echten Versöhnung mit Israel oder einer politischen Wende hat das Abkommen aber nichts zu tun. Weder die nationalistisch-religiöse Regierung in Jerusalem noch die islamische Truppe in Ankara will einen echten freundschaftlichen Neuanfang. Für beide ist das Abkommen ein taktischer Schritt, der ihnen wirtschaftliche Vorteile bringen soll und eventuell hilfreich bei einem späteren Deal in Syrien sein könnte.
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