Islamismus in Deutschland: Jugendliche unter Beobachtung

Safia S. war 15, als sie in Hannover auf einen Polizisten einstach. Der Verfassungsschutz will deshalb Daten von unter 16-Jährigen speichern dürfen.

Ein Mann steht auf der Bühne und spricht in ein Mikrofon

Salafistenprediger Pierre Vogel spricht vor Jugendlichen in Offenbach Foto: imago/epd

Verschmitzt blickt die Siebenjährige unter ihrem fliederfarbenen Kopftuch zu Pierre Vogel hoch. Mit heller Stimme rezitiert sie dann auf Anweisung des Salafistenpredigers aus dem Koran. „Besser als ich“, sagt Vogel begeistert. Das Video ist acht Jahre alt. Im Netz sind zwei weitere Filme zu finden, die die beiden Monate später erneut im Gespräch zeigen.

Safia S., das Mädchen mit dem fliederfarbenen Kopftuch, ist heute 15 Jahre alt und sitzt in Untersuchungshaft. Als zwei Bundespolizisten die Gymnasiastin Ende Februar am Hauptbahnhof Hannover kontrollierten, stach sie einem der beiden mit einem Messer in den Hals und verletzte ihn schwer. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Terrorverdachts. Es gibt Hinweise darauf, dass Safia S. im Auftrag der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gehandelt hat.

Safia S. verkehrte seit ihrer Kindheit in Salafistenmoscheen, ihre Mutter nahm sie und die beiden Brüder dorthin mit. Anfang des Jahres reiste das Mädchen nach Istanbul. Vermutlich wollte sie von dort weiter nach Syrien. Die Mutter ging zur Polizei und meldete ihre Tochter als vermisst. Schließlich fuhr sie an den Bosporus und holte Safia S. zurück. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat auf. Wenige Wochen nach ihrer Rückkehr stach Safia S. zu.

Der Fall ist – wie auch der Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen durch vermutlich islamistisch motivierte Jugendliche längst zum Politikum geworden. Müssen sich die Sicherheitsbehörden auf eine neue Tätergruppe einstellen? Auf radikalisierte Teenager, die zu schweren Gewalttaten bereit sind? Wie kann es sein, dass die Sicherheitsbehörden die Gefahr nicht erkannten, die von der 15-jährigen Safia S. ausging?

Verschärfungen: Nach Anschlägen lassen Gesetzesverschärfungen nicht lange auf sich warten. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein neues Anti-Terror-Paket auf den Weg gebracht.

Informationsaustausch: Der Verfassungsschutz soll gemeinsame Dateien mit „wichtigen ausländischen Nachrichtendiensten“ einrichten können. Das Ziel: mehr Informationen über Terrorverdächtige und ihre Reisebewegungen.

Prepaid-Handys: Künftig soll es nur noch dann möglich sein, eine Prepaid-Karte für ein Handy zu kaufen, wenn man ein ­Ausweisdokument vorlegt.

Verdeckte Ermittler: Das Bundeskriminalamt setzt schon lange verdeckte Ermittler ein – also Beamte, die unter falscher Identität Informationen sammeln. Das soll nun auch der Bundespolizei erlaubt sein. (dpa)

Fragt man Hans-Georg Maaßen, den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, guckt er genervt. „Wir haben das Problem, dass wir Daten von Personen unter 16 Jahren grundsätzlich nicht speichern dürfen, es sei denn, es gibt konkrete Hinweise auf eine terroristische Bedrohung“, sagte er bei einem Symposium des Verfassungsschutzes Anfang Mai. Die Behörden wissen von 80 Kindern und Jugendlichen, die mit ihren Familien oder allein nach Syrien und in den Irak ausgereist sind. Deshalb macht der Verfassungsschutzchef intensive Lobbyarbeit für eine Absenkung dieser Altersgrenze.

Hier kann Maaßen, wegen anderer Themen stark unter Druck,erste Erfolge verbuchen. Die Bundesregierung prüft derzeit, ob eine Gesetzesänderung sinnvoll ist, Union und SPD sind nicht abgeneigt. „Ich halte die Schaffung einer Speicherungsbefugnis der Verfassungsschutzbehörden auch für Minderjährige für sinnvoll und aus sicherheitspolitischer Sicht für geboten“, sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer. „Wir werden in Kürze hierüber mit unserem Koalitionspartner Gespräche führen.“ Die SPD sei „grundsätzlich gesprächsbereit“, signalisiert Mayers Kollege von der SPD, Burkhard Lischka. „Klar ist aber, dass eine mögliche Speicherung solcher Daten nur unter engsten Voraussetzungen und ausschließlich bei besonderen Anlässen erfolgen darf.“

Auf Landesebene haben der Angriff von Safia S. und der Anschlag auf den Sikh-Tempel bereits Konsequenzen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) kündigte eine Änderung des Landes-Verfassungsschutzgesetzes an: Daten gewaltbereiter Minderjähriger sollen künftig schon ab 14 Jahren gespeichert werden können, bislang liegt die Altersgrenze bei 16. In Niedersachsen ist das bereits der Fall. Dort wollte die rot-grüne Landesregierung bislang eigentlich ein absolutes Speicherungsverbot für unter 16-Jährige einführen. Diese Reform will Innenminister Boris Pistorius (SPD) jetzt abblasen.

Allerdings ist fraglich, ob eine abgesenkte Altersgrenze auf die Taten in Hannover und Essen Einfluss gehabt hätte. In beiden Fällen lagen den Behörden Hinweise auf die Radikalisierung der Jugendlichen vor, in beiden Fällen hatten sich die Mütter sogar selbst an die Polizei gewandt. Zudem sind die Jugendlichen, gegen die im Fall des Anschlags auf den Sikh-Tempel ermittelt wird, bereits 16 und 17 Jahre alt.

„Eine Speicherung hätte in beiden Fällen nicht weitergeholfen, die Informationen lagen ja vor“, sagt denn auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic. Sie lehnt eine Ausweitung der Speicherbefugnisse ab. Das Problem sei, „dass die Informationen anscheinend nicht mit der gebotenen Sorgfalt verarbeitet worden sind“. Dort müsse man ansetzen.

Es ist fraglich, ob eine Datenspeicherung Einfluss auf die Taten gehabt hätte

Ähnlich sieht es die Innenexpertin der Linken, Martina Renner: „Attentäter sind, wie auch in Paris und Brüssel, in der Regel bekannt, es folgen aber nicht die richtigen Konsequenzen.“ Bei Minderjährigen müsse man einen solchen Eingriff besonders scharf prüfen. „Wenn Jugendliche, die noch in der Findungsphase und deren Einstellungen häufig noch gar nicht gefestigt sind, aufgrund von Verdächtigungen in den Fokus der Geheimdienste geraten, hängt ihnen das lebenslänglich an.“ Um der Radikalisierung von Jugendlichen vorzubeugen, müsse die Prävention gestärkt werden.

Dass dies allein aber auch nicht hilft, zeigt der Essener Fall. Einer der mutmaßlichen Täter ist im Landes-Präventionsprogramm „Wegweiser“ betreut worden.

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