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Prozessauftakt Anschlag auf SikhsDer Plan, „Ungläubige“ zu töten

Drei Jugendliche sollen für den Anschlag auf ein Gebetshaus der Sikhs in Essen verantwortlich sein. Ab Mittwoch stehen sie vor Gericht.

Am Nachmittag des 16. April zerstörte die Wucht der Detonation eine Eingangstür des Gebetssaals Foto: dpa

Essen dpa | Dieser Anschlag war nicht verhindert worden: Vor knapp acht Monaten explodierte vor einem Gebetshaus der Sikh-Religion in Essen eine selbstgebaute Bombe. Drei Menschen wurden verletzt. Drei junge Männer, die zur Tatzeit 16 Jahre alt waren, sollen verantwortlich sein. Als radikalisierte Muslime sollen sie geplant haben, „Ungläubige“ zu töten. Eine Jugendkammer des Landgerichts Essen verhandelt den Fall vom kommenden Mittwoch an – wegen des jugendlichen Alters der mutmaßlichen Täter unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Anklage wirft ihnen versuchten Mord vor.

Am Nachmittag des 16. April zerstörte die Wucht der Detonation eine Eingangstür des Gebetssaals. Im Inneren erlitt ein Priester Brandverletzungen und einen offenen Bruch am Fuß, zwei Gemeindeglieder kamen mit Schnittverletzungen davon. Erst kurz vorher war in dem Saal eine indische Hochzeit mit vielen Gästen gefeiert worden. Die Religion stammt aus Nord-Indien. Die Angeklagten sollen laut Anklage die Sikh-Gemeinde ausgewählt haben, weil sie mit der Behandlung von Muslimen durch Sikhs in Nord-Indien nicht einverstanden seien und die Sikhs von ihnen als „Ungläubige“ angesehen würden.

Die drei Jugendlichen, die alle in Deutschland geboren wurden, sollen sich im vergangenen Jahr über soziale Netzwerke kennengelernt haben. Sie kommen aus Gelsenkirchen, Essen und Schermbeck am Niederrhein. Im Laufe der Zeit hätten sie sich radikalisiert. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen sollen sie eine Gruppe gebildet haben, die über einen Chatanbieter in Verbindung stand und plante, „Ungläubige“ zu töten. „Dies soll schließlich in den Anschlag vom 16. April gemündet sein“, sagt Gerichtssprecher Johannes Hidding.

Für die Bombe wurde ein Feuerlöscher mit Sprengstoff gefüllt. Die Chemikalien für den Sprengstoff soll der Junge aus Essen im Internet bestellt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten aus Gelsenkirchen und Essen vor, diese Bombe dann vor der Eingangstür gezündet zu haben. Der Junge aus Schermbeck soll an der Planung und Vorbereitung beteiligt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft wirft allen dreien versuchten Mord vor. Hinzu kommen gefährliche Körperverletzung, Herbeiführen einer Explosion und Sachbeschädigung als Tatvorwürfe. Das Gericht rechnet mit einem umfangreichen Verfahren: Es wurden bereits 21 Fortsetzungstermine bis Ende Februar bestimmt.

Offene Erscheinung als Salafist

Der Junge aus Gelsenkirchen hatte bereits seit November 2014 am nordrhein-westfälischen Projekt „Wegweiser“ teilgenommen, einem Präventionsangebot, das gefährdete oder schon radikalisierte junge Salafisten in die Gesellschaft zurückführen soll. Schon damals habe sich das Kind als typischer Salafist gezeigt, hatte der Chef des NRW-Verfassungsschutzes, Burkhard Freier, Ende April vor Journalisten gesagt.

Schulpsychologische Gutachten und Schulwechsel hätten eine typische „Versagenskulisse“ dokumentiert. Vier Tage vor dem Bombenanschlag hatte er noch ein Gespräch mit einem „Wegweiser“-Mitarbeiter. Seine Mutter schrieb später ein Buch. „Mein Sohn, der Salafist“ heißt es. Es beschreibt den verzweifelten Kampf einer Frau, dessen Sohn in den extremistischen Islam abrutscht.

Der Anwalt des inzwischen 17-Jährigen Jungen aus Gelsenkirchen, Burkhard Benecken, ist „wirklich überzeugt, dass Yusuf sich geändert hat“, sagt er. „Er hat sich immer mehr geöffnet – mittlerweile auch einem Psychiater gegenüber.“ Diesem habe er auch die Hintergründe seiner Radikalisierung geschildert und welche Personen dabei eine Rolle gespielt hätten. Auch hat Yusuf laut Benecken schon im Sommer einen Entschuldigungsbrief an die Sikh-Gemeinde geschrieben. Im Prozess wolle er aussagen.

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1 Kommentar

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  • Die Mutter hat wahrscheinlich insgesamt mehr Zeit mit ihrem Buch verbracht als mit ihrem Sohn. Ansonsten wäre es vermutlich auch nicht so weit gekommen.