Kommentar Türkisches Parlament: Abmarsch in den totalitären Staat

Die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten ist der nächste Schritt in Richtung Diktatur. Für Oppositionelle und Kurden wird es noch schlimmer.

Erdogan sitzt auf einem goldenen Sessel

Nächster Schritt Präsidialdiktatur? Foto: reuters

Die Türkei ist dabei, sich Schritt für Schritt zu einem totalitären Staat zu entwickeln. Die Entscheidung zur Aufhebung der Immunität von einem Viertel der Abgeordneten, darunter fast alle Parlamentarier der wichtigsten Oppositionspartei, der kurdisch-linken HDP, macht das Parlament endgültig zu einem willfährigen Instrument von Präsident Erdogan.

Zwar ist die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zugunsten einer Präsidialverfassung formal noch nicht beschlossen, doch de facto ist Erdogan diesem Ziel wieder einen Schritt nähergekommen. Ohne die HDP steht ihm im Parlament nur noch eine völlig zerstrittene rechtsnationalistische MHP und eine desorientierte sozialdemokratisch-kemalistsche CHP gegenüber.

Dieses Parlament wird einer neuen Verfassung, durch die die parlamentarische Demokratie abgeschafft und in eine Ein-Mann-Diktatur umgewandelt wird, nicht mehr viel entgegensetzen.

Bis es endgültig soweit ist, hat Erdogan innerhalb seiner Partei und der Regierung schon einmal dafür gesorgt, dass alle Befehlsstränge direkt zu ihm führen. Ahmet Davutoglu war der letzte Ministerpräsident, der sich noch einige wenige eigene Initiativen zugetraut hat, doch seit Erdogan ihn geschasst und durch den devoten Binali Yildirim ersetzt hat, gibt es niemanden mehr, der dem Präsidenten (in der Partei nur der Führer genannt) in irgendeiner Weise widersprechen wird. Ein Führer, eine Partei, ein Volk, die aus der Vergangenheit bekannten Parolen drohen neue Wirklichkeit zu werden.

Wer sich in diesem Volk Erdogans nicht wiederfindet, wird in Zukunft nicht mehr viel zu lachen haben. An die Adresse des säkularen Teils der türkischen Gesellschaft sandte der Bruder des zukünftigen Premiers Binali Yildirim nach dessen Nominierung eine klare Botschaft: Ihr könnt ab jetzt den Mund halten und euch verstecken oder auswandern.

An die Adresse der widerständigen Kurden, und damit sind nicht nur die Hardcore-Kämpfer der PKK gemeint, gibt es eine andere Botschaft: Wir werden die Gewalt soweit eskalieren, bis ihr alle tot seid. Je mehr Tote es dabei gibt, umso stärken werden Extremismus und Fanatismus auf beiden Seiten. Damit wird sich Erdogan seine Gefolgschaft für lange Zeit sichern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.