piwik no script img

HipHop siegt gegen Kraftwerk in Karlsruhe

JUSTIZ Bundesverfassungsgericht erlaubt Sampling einzelner Tonfetzen aus fremden Musikstücken

BERLIN taz | HipHop-Künstler dürfen kurze Sequenzen aus anderen Musikstücken verwenden. Ob sie dafür bezahlen müssen, hat der Gesetzgeber zu entscheiden. So urteilte jetzt das Bundesverfassungsgericht im langen Streit zwischen HipHop-Produzent Moses Pelham und den Elektro-Pionieren von Kraftwerk.

Pelham hatte 1997 – ohne zu fragen – ein kurzes Sample aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ benutzt. Es war dann als durchlaufender Beat auf dem Stück „Nur mir“ der Rapperin Sabrina Setlur zu hören.

Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter verklagte Pelham daraufhin – zeitweise mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied 2012, das Leistungsschutzrecht der Plattenfirmen gelte auch für „kleinste Tonfetzen“. Diese dürften nur dann frei genutzt werden, wenn sie nicht „in gleichwertiger Weise“ nachgespielt werden können. Bei dem Kraftwerk-Sample wäre das möglich gewesen.

Dieses Urteil verletzte jedoch die Kunstfreiheit von Moses Pelham, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. „Der Einsatz von Samples ist ein stilprägendes Element des HipHop“, stellten die Verfassungsrichter fest. Der Zugriff auf das Originaldokument diene der „ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften“.

Die Eigentumsrechte von Kraftwerk und ihrer Plattenfirma seien dabei nur geringfügig beeinträchtigt worden. Schließlich sei das entnommene Sample nur zwei Sekunden lang gewesen, betonte der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof. Der Song von Setlur sei dem Kraftwerk-Stück auch keineswegs ähnlich gewesen.

Nach der Auslegung der Verfassungsrichter konnte Pelham das Sample also benutzen, ohne Kraftwerk fragen zu müssen. Deshalb konnte Kraftwerk damals auch keine Lizenzgebühren verlangen. Der Gesetzgeber könnte allerdings für solche Nutzungen künftig eine automatische Vergütungspflicht einführen, er muss es aber nicht.

Wie geht es nun weiter? Zunächst muss sich der BGH wieder mit dem Fall beschäftigen. Für die Zeit bis 2002 sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts klar. Hier wird Pelham den Prozess gewinnen.

Eigentumsrechte seien nur gering­-fügig beeinträchtigt

Für Nutzungen (etwa CD-Verkäufe) ab 2002 ist die Situation komplizierter. Denn seitdem gilt die EU-Urheberrechts-Richtlinie. Hier sind deutsche Grundrechte nur noch anwendbar, soweit die Richtlinie dem deutschen Gesetzgeber „Umsetzungsspielräume“ belässt. Ob es solche Spielräume gibt, muss zunächst der Bundesgerichtshof klären. Im Rahmen solcher Umsetzungsspielräume gilt dann weiter die Karlsruher Vorgabe, dass das Sampling kurzer Sequenzen ohne Erlaubnis möglich sein muss.

Sollte nun das Grundgesetz im Urheberrecht keine Rolle mehr spielen, müsste der BGH die EU-Richtlinie im Sinne der EU-Grundrechte auslegen. Schließlich sei auch auf EU-Ebene die Kunstfreiheit geschützt, mahnt das Verfassungsgericht. Falls der BGH dabei zum Schluss kommt, dass die EU-Richtlinie gegen die EU-Kunstfreiheit verstößt, muss er den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorlegen. Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen